Mindestmaß an Menschlichkeit
18. Oktober 2004Im Prozess um den Tod des Abschiebehäftlings Aamir Ageeb hat das Frankfurter Landgericht die drei Begleitpolizisten am Montag (18.10.04) zu je neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) hätten sich der Körperverletzung mit Todesfolge in einem minder schweren Fall schuldig gemacht, erklärte der Vorsitzende Richter. Dem BGS warf er schwere Versäumnisse bei der Ausbildung der für die Abschiebungen eingesetzten Beamten vor.
Klage auf Schadensersatz geplant
Die Staatsanwaltschaft hatte für die drei Grenzschützer, die Ageeb in einer Lufthansa-Maschine begleiten sollten, je ein Jahr Haft beantragt. Die Verteidigung wollte Freisprüche erreichen. Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty International (ai) sehen in dem Fall vor allem ein Versagen der BGS-Führung. Die Beamten sind aus ihrer Sicht nicht ausreichend für die Abschiebungen ausgebildet worden. Die Familie des Verstorbenen will die Bundesrepublik auf Schadensersatz verklagen.
Ageeb starb einen langsamen Tod. Der 30-jährige Sudanese wehrte sich an jenem 28. Mai 1999 gegen seine Abschiebung. Regelrecht verschnürt saß er in der letzten Reihe des Airbus' auf dem Weg nach Khartum. Er war gefesselt mit elf Kabelbindern, einem fünf Meter langen Seil, Klettbändern. Auf dem Kopf hatte er einen Motorradhelm - als "Beißschutz". Die drei BGS-Beamten drückten und pressten ihn immer stärker in den Sitz, je mehr er sich wehrte. Dass die scheinbare Renitenz der Todeskampf war, ahnten die Beamten nicht. Ageeb erstickte. Die Obduktion ergab mehrere Rippenbrüche.
"Ein Sauhaufen"
Der Prozess gegen die drei Beamten kam nur schleppend zustande. Eigentlich hätte es auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben müssen, meinte der Richter und nannte die damaligen Zustände beim BGS einen "Sauhaufen". Die angeklagten Beamten berichteten von Ausbildungsmängeln für die Rückführung von Abschiebehäftlingen. Lehrgänge seinen freiwillig gewesen und hätten eher dem Erfahrungsaustausch gedient. Von "organisierter Verantwortungslosigkeit" spricht Bernd Misovic von Pro Asyl.
15 Tote forderten die Abschiebungen aus Europa seit 1991 - soweit die Fälle bekannt wurden. Menschenrechtsorganisationen haben Dutzende Fälle von Misshandlungen von dokumentiert. Über die Schicksale nach der Abschiebung sind oft nur schwer zuverlässige Informationen zu bekommen.
Richtungweisend - im Prinzip
Doch zumindest eine weiterer Fall Ageeb sollte in Deutschland verhindert werden: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) reagierte und gab ein umfangreiches Konvolut an Dienstanweisungen heraus, im Behördendeutsch "Best. Rück Luft" gennant. Dort ist von der Ausbildung der Beamten bis hin zur Bestimmung der erlaubten Zwangsmaßnahmen das Procedere genau festgeschrieben. Neu eingeführt wurden eine Art Hightech-Zwangsjacke "Bodycuff" und ein nun TÜV-geprüfter Beißschutzhelm. Neu war aber vor allem die Prämisse der Anweisungen: "Keine Abschiebung um jeden Preis". Heute beispielsweise dürfen etwa nur noch Beamte fliegen, die eine Spezial-Ausbildung absolviert haben. Zwangsmaßnahmen werden nun genau nach den Richtlinien durchgeführt. "Fortschrittlich und richtungweisend", nennt auch Misovic die neuen Bestimmungen - zumindest im Prinzip.
23.944 Ausländer aus 127 Staaten wurden allein 2003 aus Deutschland auf dem Luftweg abgeschoben, im Jahr zuvor waren es noch etwa 2500 mehr. Dies geschieht nicht nur mit Linienflügen, oft werden auch Maschinen extra zu diesem Zweck gechartert - wie etwa kürzlich bei der Abschiebung des Muslim-Extremisten Metin Kaplan, der sogar per Lear-Jet ausgeflogen wurde. 26.000 Euro kostete alleine dessen Abschiebung. Kosten, die im Prinzip vom "Schübling" zu begleichen sind. "Wir haben schon Rechnungen von über 60.000 Euro gesehen", sagt Misovic.
Problem "Eurocharters"
Menschenrechtsorganisationen sind über diese Charterflüge sehr besorgt - speziell über die so genannten "Eurocharters". Ein federführendes EU-Land mietet dafür eine Maschine und bietet anderen Plätze für Abschiebungen an. Das Flugzeug nimmt dann an verschiedenen europäischen Flughäfen "Schüblinge" auf. Neutrale Zeugen gibt es an Bord nicht, nur Sicherheitsbeamte aus verschiedenen Ländern mit jeweils verschiedenen Dienstanordnungen. Verpflichtende internationale Standards fehlen. Französische oder belgische Beamte dürfen so zum Beispiel bei Zwangsmaßnahmen deutlich härter zupacken als deutsche. "Man kann nur darauf warten, dass es dabei einen Toten gibt", sagt Misovic.
"Wir haben in der EU verbindliche Anweisungen über die Krümmung von Bananen, aber nicht für die Behandlung von Abschiebehäftlingen", sagt Uli Sextro. "Man probiert da etwas aus, bevor man die nötigen Grundlagen schafft". Sextro arbeitet seit 2001 am Flughafen Düsseldorf als europaweit einziger Abschiebebeobachter. Düsseldorf ist hinter Frankfurt der zweitwichtigste Abschiebeflughafen Deutschlands. Beim so genannten Flughafen Forum in Nordrhein-Westfalen (FFiNW) sitzt er regelmäßig mit Vertretern von BGS, Ministerien, Ausländerbehörden, UN-Flüchtlingshilfswerk, Menschenrechtsorganisationen, Flughafenvertretern und Kirchen zusammen, um Fragen der zwangsweisen Durchsetzung von Ausreiseverpflichtungen zu besprechen.
Auch wenn es ihm schwer fällt, beim Thema Abschiebung etwas als positiv zu bezeichnen, sind auch für ihn Verbesserungen spürbar. "Da sitzen alle wichtigen Leute an einem Tisch, wir können da einige Probleme schon im Vorfeld entschärfen", sagt Sextro. Auch an anderen Flughäfen, wie zum Beispiel an der großen Abschiebe-Drehscheibe Fankfurt, wird über die Schaffung eines solchen Forums nachgedacht.
"Weg ist weg"
Neben den Charterflügen sieht Sextro vor allem bei der Abschiebung von Kranken Handlungsbedarf. "Flugfähig wird von vielen Ärzten fast jeder geschrieben", sagt er. Wie es Patienten aber nach der Ankunft in seinem Heimatland ergehen könnte, werde oft nicht berücksichtigt. "Das geht häufig nach dem Motto: Wenn sie weg sind, sind sie weg."
Um die Standards bei der Abschiebung auf ein erträgliches Maß zu bringen, fordern Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl neben der Schaffung von verbindlichen EU-Richtlinien von der Bundesregierung, zumindest die Unterzeichnung des Fakultativprotokolls zur UN-Anti-Folter-Konvention, das eine vor allem weitergehende Transparenz der Polizei-Arbeit beinhaltet. Das Deutschland bisher noch nicht unterzeichnet hat, sieht Misovic schlicht als "Peinlichkeit für eine Land, dass sich der Wahrung der Menschenrechte verpflichtet hat." Zudem seien weitere Monitoring-Projekte wie in Düsseldorf wünschenswert.