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Unter Putins Damoklesschwert

Jennifer Fraczek29. Januar 2014

Reporter ohne Grenzen rät Journalisten, die von Olympia aus Sotschi berichten, zur Vorsicht. Sie sollten ihre Kommunikation und ihre Quellen besonders gut schützen, sagt RoG-Geschäftsführer Christian Mihr.

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Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (Foto: ROG)
Bild: ROG/Günther

DW: In wenigen Tagen beginnen in Sotschi die Olympischen Winterspiele. In der Pressefreiheits-Rangfolge von Reporter ohne Grenzen liegt Russland auf Platz 148 von 179. Wodurch wird die Pressefreiheit in Russland so stark eingeschränkt?

Christian Mihr: Seit Mai 2012, dem Beginn der dritten Amtszeit Wladimir Putins als Präsident, wurden zahlreiche Gesetze verabschiedet, die Zensur und flächendeckende Überwachung, vor allem im Internet, ermöglichen. Viele Journalisten klagen, dass diese Gesetze wie ein Damoklesschwert über ihnen hängen. Das führt zu Selbstzensur. Außerdem beobachten wir viele Angriffe auf Journalisten in Russland. Seit 2000 haben wir 30 getötete Journalisten gezählt. Allein in den vergangenen zwei Jahren gab es mehr als 30 Angriffe, von denen der größte Teil straffrei blieb. Ein Großteil davon geschah im Nordkaukasus, also in der Region, in der die Olympischen Spiele stattfinden.

Wie kontrolliert der russische Staat seine Medien?

Es gibt fast ausschließlich Staats- und staatsnahe Medien. Das Fernsehen in Russland wurde mehr oder weniger gleichgeschaltet. Das ist vor allem deswegen eine Gefahr für die Pressefreiheit, weil das Fernsehen die wichtigste politische Informationsquelle für die meisten Russen ist.

Welche Gesetze behindern die Arbeit von Journalisten in Russland?

Das aktuellste Beispiel ist die Verschärfung des Internetrechts, die am 1. Februar in Kraft tritt. Dann können Webseiten mit "extremistischen Inhalten" gesperrt werden. Dazu gehören unter anderem Aufrufe zu ungenehmigten Protesten, die auch auf journalistischen Webseiten stehen können. Im November 2012 verabschiedete die Duma ein Gesetz über Landesverrat und Spionage. Als Landesverrat gilt nun alles, was die Sicherheit des Landes gefährdet. Das kann ein Problem für Journalisten werden, die über sicherheitssensible Themen berichten. Im April 2013 wurde ein Verbot erlassen, in den Medien Schimpfwörter zu gebrauchen. Es gilt für Journalisten, ihre Interviewpartner und Leserkommentare. Außerdem gibt es das Verbot der "Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen in Anwesenheit Minderjähriger", das sich de facto auch gegen Berichte über Homosexuelle richtet. Es drohen Strafen von bis zu einer Million Rubel, knapp 23.000 Euro. Medien können bis zu 90 Tage geschlossen werden.

Wie wirkt sich Russlands Haltung zur Pressefreiheit auf die Berichterstattung über Olympia aus?

In den Staatsmedien gab es keine kritischen Berichte über Menschenrechtsverletzungen im Umfeld der Olympischen Spiele, etwa über die Zwangsumsiedlungen oder die Korruption beim Bau der Sportstätten. Im Dezember 2013 hat Ministerpräsident Medwedew zudem den Behörden die Befugnis erteilt, die Telefon- und Internetkommunikation von Teilnehmern und Besuchern der Olympischen Spiele vollständig zu überwachen und die Daten bis zu drei Jahre nach den Spielen analysieren zu dürfen. Wenn Aktivisten Journalisten über geplante Protestaktionen im Umfeld der Olympischen Spiele informieren, können diese Journalisten als Unterstützer der Proteste vermerkt und etwa bei künftigen Visumsanträgen benachteiligt werden. Wir raten ausländischen Journalisten, ihre Informationen und ihre Kommunikation konsequent zu verschlüsseln und besonders behutsam mit ihren Quellen umzugehen.

Protest Reporter ohne Grenzen gegen Olympische Spiele in Sotchi (Foto: AFP/Getty Images)
Protest von Reporter ohne Grenzen vor der russischen Botschaft in ParisBild: picture-alliance/dpa

Welche Rolle hat das Internationale Olympische Komitee (International Olympic Committee, IOC), wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten und die Pressefreiheit geht?

Wir sehen das IOC in der Pflicht, bei der Vergabe der Spiele darauf zu achten, ob im Veranstaltungsland die Menschenrechte eingehalten werden. Das IOC kann sich nicht darauf zurückziehen, dass Sport unpolitisch sei. Russland hat, wie vermutlich jedes Land, politische Ambitionen bei der Ausrichtung der Olympischen Spiele. Es will sich als modernes, weltoffenes Land präsentieren. Das ist eine politische Aussage.

Reporter ohne Grenzen kritisiert auch die vom IOC zentral organisierte Olympia-Berichterstattung.

Die Bilder von den Sportereignissen werden über die nationalen Fernsehsender verteilt. Eigene Bilder zu machen, ist für andere Medien nicht möglich. In einem Land, das Rechte von Homosexuellen unterdrückt, wäre es vorstellbar, dass etwa Solidaritätsbekundungen von Athleten von einem Sender nur sehr eingeschränkt gezeigt werden. Wir appellieren deswegen auch an ausländische Medien, transparent und verantwortungsvoll mit Fernsehbildern und journalistischem Material aus Russland umzugehen.

IOC-Präsident Thomas Bach (Foto: Reuters)
Reporter ohne Grenzen sieht auch das IOC (im Bild: IOC-Präsident Thomas Bach) in der VerantwortungBild: Reuters

Christian Mihr ist Diplom-Journalist und seit April 2012 Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen. Davor war er beim Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost und als Journalist, Dozent und in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unter anderem in Ecuador und Russland tätig.

Das Gespräch führte Jennifer Fraczek.