Migration: Mehr Abschiebungen in Afrika
10. Mai 2023Am Flughafen in Lagos herrscht Aufregung: Zahlreiche Migranten kehren aus Libyen zurück. Eine von ihnen ist Felicity. "Es gibt nichts Schöneres als ein Zuhause", freut sich die 20-jährige Nigerianerin bei ihrer Ankunft. "Jetzt sind wir zurück und sicher. Niemand kann mehr auf uns herabschauen, wir sind glücklich."
Die junge Nigerianerin machte sich im September 2020 auf den gefährlichen Weg durch die Wüste. Ihr Ziel: Europa. Doch wie Tausende anderer Menschen blieb auch sie in Libyen stecken, einem der Länder, die als Ausgangspunkt für die teure Überfahrt nach Europa dienen. Doch so weit kommt es oft nicht. Viele Migrantinnen werden brutal behandelt, kämpfen um ihr Überleben. Felicity schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und wollte schließlich nur noch weg.
Geplatzter Traum von Europa
In den vergangenen drei Jahren sind laut Angaben der Vereinten Nationen mehr als 13.000 Nigerianer mithilfe nigerianischer Regierungsbehörden und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt. Aus dem Traum von einem besseren Leben in Europa ist das Trauma der Erfahrungen von Gewalt und Rassismus in Libyen geworden.
Bei ihrer Ankunft in Nigeria werden die Rückkehrerinnen im Transitlager registriert, erhalten Lebensmittel, eine Unterkunft und medizinische Hilfe. "Die größte Herausforderung ist die mentale Gesundheit der Migranten", sagt Victor Lutenco, IOM-Mitarbeiter im Transitzentrum in Lagos. "Daher ist neben der materiellen Unterstützung die psychosoziale Hilfe unsere Priorität."
Immer wieder geraten Menschen auf dem Mittelmeer in Not, die mit kleinen Schlauchbooten Italien ansteuern. Es sind solche Bilder, die die öffentliche Debatte auch in Deutschland bestimmen, etwa wenn es um die Vorprüfung von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen geht.
Tatsächlich ist Migration in und aus Afrika aber sehr vielfältig und spielt sich mehrheitlich auf dem eigenen Kontinent ab: Laut IOM lebten 2020 rund 21 Millionen Afrikaner in einem anderen afrikanischen Land. Die Zahl der Afrikanerinnen, die in anderen Weltregionen lebten, lag im gleichen Jahr bei über 19,5 Millionen.
In Westafrika machen sich besonders viele Menschen in die Nachbarländer auf den Weg: Über 70 Prozent der Migrationsbewegungen innerhalb afrikanischer Regionen finden laut IOM innerhalb dieser Region statt. Grund ist hier meistens die Suche nach Arbeit. In den letzten Jahren hat zudem die irreguläre Migration aus Subsahara-Afrika nach Europa, aber auch zwischen West- und Zentralafrika erheblich zugenommen.
Abschiebung: Endstation Wüste
Doch mit der Migration steigt auch die Zahl der Abschiebungen. Algerien schiebt seit Jahren massenhaft Menschen ab. Zwischen Januar und Ende März 2023 sollen mehr als 10.200 Migranten an der Grenze zu Niger in der Wüste ausgesetzt worden sein, berichtet das Aktivisten-Netzwerk Alarme Phone Sahara (APS) in der nigrischen Stadt Agadez, das sich für Migranten und Geflüchtete in der Sahelzone einsetzt.
Die Abschiebetransporte lassen sich laut APS-Gründungsmitglied Moctar Dan Yaye in zwei Gruppen unterteilen. In den sogenannten "offiziellen" Transporten finde man hauptsächlich nigrische Staatsbürger. Auf der Grundlage eines Abkommens zwischen Niger und Algerien würden sie direkt in die Kleinstadt Assamaka gebracht, von wo sie dann von den nigrischen Behörden nach Arlit oder Agadez transportiert würden, so Dan Yaye im DW-Interview.
Bei den "inoffiziellen" Transporten handle es sich hingegen um Personen aus West- und Zentralafrika, aber auch aus arabischen oder asiatischen Ländern. "In Algerien werden diese Menschen bei Razzien festgenommen", sagt Dan Yaye im DW-Interview. Mit Lastwagen würden sie durch die Wüste gefahren und dann zu Hunderten am "Point Zero", dem Niemandsland an der algerisch-nigrischen Grenze, abgesetzt.
Humanitäre Katastrophe in der nigrischen Wüste
"Nach all dem Trauma, das sie erlitten haben, müssen sie jetzt immer noch laufen, um ein Dorf zu erreichen, wo sie erste Hilfe bekommen", sagt Dan Yaye. In der Regel seien es junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, aber auch schwangere Frauen, Kinder oder Ältere seien dabei. Nicht jeder schaffe diese Tortur, manche würden in der Wüste zurückgelassen.
Auch die Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Medico International, eine Partnerorganisation von Alarme Phone Sahara, beklagt diese Abschiebepraktiken. "Die Menschen laufen durch die Wüste in sengender Hitze, ohne Lebensmittel, ohne genügend Trinkwasser", sagt Kerem Schamberger, Migrationsbeauftragter in der Öffentlichkeitsarbeit bei Medico International, der DW. Im vergangenen Jahr seien 24.000 Menschen in "Nacht- und Nebelaktionen" von algerischen Sicherheitskräften über die Grenze abgeschoben worden, darunter viele Verletzte.
Der Grenzort Assamaka ist zunehmend Schauplatz einer humanitären Krise, verschärft dadurch, dass das Aufnahmezentrum der IOM dort seit Dezember 2022 keine neuen Abgeschobenen mehr aufnimmt. Die Menschenrechtsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) beschreibt die Lage in der nur rund 1500 Bewohnerinnen zählenden Stadt in einer Mitteilung vom März als beispiellos und ruft die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS dazu auf, den Gestrandeten umgehend Schutz zu bieten.
Aufstieg der Rechten
Aktivist Dan Yaye macht den "Aufstieg der Rechten in der Welt" für die Ablehnung von Migranten verantwortlich: "Es gibt schon seit einiger Zeit rassistische und hasserfüllte Reden gegen die Migration in ganz Europa, sei es in Italien, Spanien, Frankreich oder Deutschland", sagt er zur DW.
Aber auch in Afrika. Appelle von APS an die Afrikanische Union, ihren Protokollen zu folgen und für den Schutz von Migranten zu sorgen, hätten bisher nicht viel bewirkt, so Dan Yaye: Derzeit säßen auch viele junge Menschen aus Subsahara-Afrika in Tunesien fest, die nicht ausreisen könnten. "Diese Menschen sitzen also in einer Falle, weil sie oft von der Bevölkerung und den Behörden schikaniert werden", kritisiert Dan Yaye.
Nach Äußerungen von Tunesiens Präsident Kais Saied über einen angeblich geplanten Bevölkerungsaustausch häufen sich in dem nordafrikanischen Land rassistische Angriffe auf Menschen aus Subsahara-Afrika.
Schamberger von Medico International sagt, diese Politik der Abschiebungen sei im Sinne der Europäischen Union, die - wenn es um Migranten gehe - fast nur das Wort Abschottung kenne. Er kritisiert ein 2015 in Niger auf "europäischen Druck " verabschiedetes Gesetz, das Migration in den Norden kriminalisiert: Dadurch würden Transporteure zu Schleusern, Verkäufer von Lebensmitteln oder Wohnungsvermieter zu Unterstützern von illegaler Migration.
IOM - ein Grenzregime?
"Das hat konkret auch zu einem Anstieg der Todeszahlen in der Sahara geführt", sagt Schamberger zur DW. Solch ein Gesetz halte die Migration nicht auf, sondern die Menschen würden sich auf noch gefährlichere Routen durch die Wüste begeben, um den Sicherheitskontrollen zu entgehen.
Auch die IOM nimmt Schamberger scharf in die Kritik: Für ihn erfüllt sie die Funktion eines "willigen Vollstreckers" der Politik der Abschottung und Rückführung seitens Europas und der westafrikanischen Staaten macht. Ein "Grenzregime", das Migranten bei ihrer "angeblich freiwilligen Rückkehr" in ihre Heimatländer helfe. In der Realität werde den Migranten das Leben so schwer gemacht, dass sie keinen Ausweg mehr sähen.
Trotz der Gefahren werden sich immer wieder Menschen aufmachen, um in einer anderen Region oder in Europa eine bessere Zukunft zu suchen. Die nigerianische Rückkehrerin Felicity hat nach ihren schlechten Erfahrungen in Libyen jetzt einen anderen Plan gefasst: Sie will in iher Heimat erstmal wieder zur Schule gehen.
Mitarbeit: Olisa Chukwumah (Lagos)