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"Messewirtschaft braucht dringend Perspektiven"

Klaus Ulrich
12. April 2021

Auch wenn am Montag die Hannover Messe startet: Die Messewirtschaft liegt am Boden und verlangt von der Politik Konzepte, damit wieder Messen mit Menschen stattfinden können. Ein DW-Gespräch mit AUMA-Chef Jörn Holtmeier.

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Verband: Messebranche hat drei Viertel ihres Umsatzes eingebüßt
Verband: Messebranche hat drei Viertel ihres Umsatzes eingebüßtBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Deutsche Welle: Die deutschen Messeveranstalter haben im Corona-Jahr 2020 fast drei Viertel ihres üblichen Umsatzes eingebüßt. Wie erleben Sie die aktuelle Situation der Branche?

Jörn Holtmeier: In der aktuellen Situation warten wir wirklich sehr auf ein Signal der Politik, wann wir wieder Messen in Deutschland durchführen können. Das ist uns derzeit nicht möglich und wir scharren sozusagen mit den Hufen, um endlich wieder unseren Kunden, den ausstellenden Unternehmen und auch den Besuchern die Branchenplattformen bieten zu können, die sie seit Jahrzehnten gewohnt sind. Die aktuelle Situation ist für uns auch deshalb sehr unbefriedigend, weil wir nie wissen, was jeweils auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz entschieden wird. Deshalb erhoffen wir uns mehr Perspektiven, mehr Planungssicherheit für die Zukunft. Damit wir bei Messen, die lange Vorläufe und Vorbereitungszeit haben, rechtzeitig wieder starten können.

Pressebild Jörn Holtmeier
Jörn Holtmeier, Geschäftsführer des Branchenverbands der MessewirtschaftBild: Michael Fahrig/AUMA

Blicken wir nochmal kurz zurück Welcher Schaden ist der Branche bisher entstanden?

Der Schaden ist immens. Wir hatten 2020 das katastrophalste Jahr seit Jahrzehnten. Das lässt sich ganz klar belegen. Gemeinsam mit dem Ifo-Institut erheben wir regelmäßig, wie hoch der volkswirtschaftliche Beitrag von Messen in unserem Land ist. Normalerweise beläuft sich dieser Beitrag jährlich auf rund 28 Milliarden Euro. Da zählen natürlich auch die Leistungen der Standbauer dazu, die Gastronomen, die Hoteliers, das lokale Handwerk, der Einzelhandel, also alle die, die an dem gesamten Ökosystem Messe beteiligt sind. Denn es braucht ja viele Hände, um so eine Messe erfolgreich zu gestalten.

Und von diesen 28 Milliarden Euro haben wir letztes Jahr 22 Milliarden Euro nicht erbracht. Das heißt, dass wir lediglich sechs Milliarden Euro zur Volkswirtschaft beigetragen haben. Und dazu muss man auch wissen, dass ein Großteil davon in den zwei starken Monaten Januar und Februar entstanden ist, als wir noch ohne größere Corona-Einflüsse Messen machen konnten. Wenn man das berücksichtigt, dann ist die Zahl noch wesentlich gravierender. Das waren wirklich sehr harte Einschnitte und eine katastrophale Situation für uns im letzten Jahr.

Auf Onlineplattformen konnten die Organisatoren kaum ausweichen?

Die Messeveranstalter - das wird man auch jetzt bei der Hannover Messe sehen - haben ganz viele kreative und engagierte Ideen umgesetzt in den virtuellen Raum, um ihren Branchen und dem Publikum zu ermöglichen, sich miteinander zu vernetzen, im Kontakt zu bleiben in Zeiten der Corona-Pandemie. Es gab ja auch weitreichende Reiseeinschränkungen, was physische Treffen so oder so unmöglich machten. Aber das ist natürlich kein Äquivalent zu einer richtigen, realen Messe. Gerade für viele Produktgruppen, die wirklich von Haptik, von Geruch, von Geschmack leben, wenn ich jetzt zum Beispiel an Kosmetik oder Nahrungsmittel denke.

Es ist eben nicht möglich, alles in den virtuellen Raum hinein zu verlagern. Eine große Stärke von Messen besteht eben darin, alle Sinne zu bedienen und die persönlichen Begegnungen von Menschen zu ermöglichen. Das ist im virtuellen Raum nur sehr eingeschränkt möglich. Es haben zwar Dinge im Netz stattgefunden und sicherlich werden auch diese digitalen Brücken zum Teil erhalten bleiben. Aber das, was Leute zusammenbringt, was sie gerne machen, sich nämlich auch durch Zufallsbegegnungen austauschen, über neue Projekte, neue Ideen sinnieren, Lösungen entwickeln, das ermöglicht aus meiner Sicht nur die persönliche Begegnung.

Welche Forderungen haben Sie denn in der jetzigen Situation an die Politik?

Unsere Forderungen an die Politik ist, dass endlich auch Branchen mit langer Vorlauf- und Planungszeit vernünftig berücksichtigt werden. Wir können nicht immer nur in einem Rhythmus von drei bis vier Wochen von Ministerpräsidentenkonferenz zu Ministerpräsidentenkonferenz planen. Aus unserer Sicht müssen auch eventuelle Fortschritte in die Planungen miteibezogen werden. Wie ist das mit dem Thema Testen? Was bedeuten eigentlich diese Faktoren für den weiteren Verlauf des Jahres? Wir sehen andere Länder, auch in Europa, die genau das machen. Die schätzen Entwicklungen ab, setzen bestimmte Prämissen und kommen dann zu Zeithorizonten, in denen Veranstaltungen wie Messen wieder möglich werden sollen. Und genau das wünschen wir uns von der deutschen Politik.

Hannover Messe wegen Coronavirus verschoben
Willkommensgruß am Haupteingang zum Messegelände Hannover. Bild: picture-alliance/dpa/H.-C. Dittrich

Ansonsten haben wir große Nachteile gegenüber anderen Branchen, die innerhalb weniger Tage wieder zurück an ihre Arbeitsstätten oder zurück ans Netz gebracht werden können. Wir hatten im letzten Jahr Anfang Mai die Entscheidung von Bund und Ländern, dass wir Messen wieder durchführen können. Und wir haben dann im September und Oktober 22 Messen gesehen, die erfolgreich und sicher durchgeführt worden sind. Daran erkennt man, dass es halt ein paar Wochen und Monate dauert, bis eine Messe organisiert und durchgeführt werden kann. Deshalb brauchen wir einen vernünftigen politischen Rahmen, das muss die Politik aus unserer Sicht auch leisten können.

Wie gut wären Sie denn auf einen Neustart von Veranstaltungen mit Gästen und Publikum vorbereitet?

Wir sind darauf sehr gut vorbereitet. Wie gesagt, wir hatten im letzten Jahr schon 22 Messen mit über 180.000 Besuchern unter Corona-Bedingungen. Die Hygienekonzepte an den deutschen Messestandorten liegen ja vor. Die sind auch behördlich abgestimmt und genehmigt und können natürlich der aktuellen Situation angepasst werden. Von der Vorbereitung zu einer sicheren Messedurchführung stehen wir in den Startlöchern. Das können wir leisten. Das können wir auch kurzfristig hinbekommen und auch jedem ein sicheres Messeerlebnis gewährleisten. Allerdings, wie gesagt, das Ökosystem Messe umfasst eine ganze Reihe an Akteuren, deren Bedürfnisse aufeinander abgestimmt und organisiert werden müssen. Und das macht die langen Vorlaufzeiten aus, die berücksichtigt werden müssen.

Hannover Messe 2018
Damals wars: Besucherandrang zur Hannover messe 2018Bild: DW/H.Böhme

Was würde es denn für die Branche, für Zulieferer, für Messebauer, für Hotels, für die Gastronomie und Taxiunternehmen bedeuten, wenn es nicht bald wieder losgehen würde mit den Messen?

Dann ist der wirtschaftliche Schaden immens. Wir sind jetzt schon bei über 180 Messeabsagen für dieses Jahr von ursprünglich 380 geplanten Messen. Und damit geht natürlich ein wirtschaftlicher Schaden einher. Hotels können ihre Zimmer nicht vermieten, Messebauer können ihre Stände nicht bauen und auch die Taxifahrer können keine Gäste befördern. Im Ökosystem Messe arbeiten mehr als 230.000 Menschen in unserem Land und viele davon leben jetzt schon über ein Jahr in Kurzarbeit. Zu den wichtigen Aufgaben der Politik gehört auch, diesen Menschen, diesen Kolleginnen und Kollegen in der Messewirtschaft eine Perspektive zu geben. Weil ansonsten sich natürlich jeder fragt, ob er sich eventuell persönlich umorientiert, was uns dann auch beim Neustart natürlich schadet, wenn die Fachkräfte, die wir dringend benötigen, dann vielleicht nicht mehr in der Anzahl vorhanden sind, die gebraucht wird.

Sie haben Ihr Amt als Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Messe Wirtschaft ja erst im Januar 2020 übernommen. Ihr Vorgänger ist in den Ruhestand gegangen. Haben Sie zu Beginn der Corona-Pandemie erwartet, dass es so lange dauert, bis das Krisenmanagement der Politik Wirkungen zeigt?

Jemand hat mal den schönen Satz geprägt, Pandemie-Bekämpfung hätte er nicht in der Schule gehabt. Von daher habe ich wirklich Respekt vor allen Akteuren, die gerade versuchen, uns als Land durch diese Pandemie zu steuern. In der Tat habe ich nicht erwartet, dass wir auch im Frühjahr 2021 noch nicht so weit sind und mit der Situation vernünftig umgehen können. Die Enttäuschung liegt auch darin, dass wir bei vielen Dingen immer wieder anscheinend gleiche oder ähnlich gelagerte Diskussionen führen. Wir hätten uns da viele Dinge auch im Bereich der Kontakt-Nachverfolgung und Ähnlichem vorgestellt, die schlüssiger gewesen wären, die digitaler gewesen wären, die auch die Politik in eine bessere Entscheidungsgrundlage versetzt hätten. Und nein, das habe ich mir im Frühjahr 2020 nicht vorstellen können, dass uns das über ein Jahr beschäftigen wird.

Frankfurt IAA 2019 Leere Messehalle
Die Messebranche hatte aber schon vor Corona Probleme: Hier eine nicht genutzte Messehalle auf der IAA in Frankfurt 2019Bild: DW/H. Böhme

Werden wir in diesem Jahr nach Ihrer Prognose noch große Messen oder sogar sogenannte Leitmessen sehen, wie sie normalerweise ja üblich sind hier in Deutschland?

Für das erste Halbjahr 2021 sehe ich das wirklich kritisch. Wir haben bereits eine ganze Reihe an Messeabsagen. Im gesamten ersten Quartal haben keine Messen stattgefunden. Die meisten Messen sind auch für das zweite Quartal abgesagt, verschoben oder in ein virtuelles Format verlagert worden. Chancen für den Neustart sehe Ich auf jeden Fall nach dem Sommer für das dritte und vierte Quartal. Und ich denke, das muss auch unser aller Ziel sein. Also nicht nur das Ziel der Akteure der Messewirtschaft, sondern auch das Ziel der Politik, das zu ermöglichen. Wir haben die nötigen Hygienekonzepten, das haben wir unter Beweis gestellt.

Unterschätzt werden darf bei der ganzen Diskussion nicht, dass die deutsche Messewirtschaft auch deshalb so stark ist, weil wir zwei Drittel aller weltweiten Leitmessen veranstalten und ein sehr breites Messeprogramm haben. Davon profitieren natürlich auch viele deutsche Unternehmen, gerade kleine und mittlere Betriebe mit ihren Exportmöglichkeiten. Dadurch, dass diese Messe-Plattformen für die jeweiligen Branchen hier in Deutschland sind, kommt sozusagen auch die Welt nach Deutschland. Das müssen wir wieder ganz schnell ermöglichen. In anderen Regionen der Welt finden schließlich schon wieder Messen statt. Um uns herum wird sozusagen nicht geschlafen. Deshalb müssen wir dringend auch in Deutschland Lösungen finden, damit ab Herbst auch hierzulande wieder Messen veranstaltet werden können.

Das Gespräch führte Klaus Ulrich.

Jörn Holtmeier ist seit 1. Januar 2020 Geschäftsführer des AUMA - Verband der deutschen Messewirtschaft. Dem AUMA gehören 73 Mitglieder an, darunter 38 Verbände der ausstellenden und besuchenden Wirtschaft sowie von Serviceunternehmen und 35 Messeveranstalter.