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Falls die Taliban das Internet abschalten

Oliver Linow
27. August 2021

Bisher konnten die Menschen in Afghanistan das Internet weitgehend ohne Zensur und staatliche Kontrolle nutzen - doch wie lange noch? Wir zeigen, mit welchen Tools eine Kommunikation ganz ohne Internet möglich ist.

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Frauen fotografieren eine Versammlung in Kabul mit ihren Smartphones.
Wer auch nach einem Internet-Shutdown kommunizieren will, sollte sich jetzt technisch darauf vorbereitenBild: SAJJAD HUSSAIN/AFP/Getty Images

Ändern sich in einem Land durch einen undemokratischen Prozess plötzlich die Machtverhältnisse, schränken die neuen Machthaber immer auch Freiheitsrechte massiv ein. So zum Beispiel nach einem Militärputsch wie in Myanmar, nach unfreien Wahlen wie in Belarus oder nach einer militärische Eroberung wie jetzt in Afghanistan durch die Taliban.

Das Internet hat sich weltweit als Massenmedium durchgesetzt und gewinnt deshalb auch meistens als erstes die Aufmerksamkeit der neuen Herrscher. Abhängig von ihren technischen Fähigkeiten blockieren sie dann bestimmte Webseiten oder ziehen einfach den Stecker.

In Afghanistan benutzen die Taliban allerdings selber populäre Messenger-Apps und sind deshalb auf das Internet angewiesen. Es ist also noch völlig unklar, wie es weitergeht.

Temporäre landesweite oder regionale Abschaltungen des Internets, sogenannte Internet Shutdowns, sind dabei trotzdem sehr gut möglich.

Kein Internet, keine Kommunikation, so könnte man heute im digitalen Zeitalter denken. Ein paar rettende Strohhalme gibt es aber, und diese möchten wir kurz vorstellen:

Briar – mit Bluetooth oder Wifi von Smartphone zu Smartphone

Briar ist eine Android App, die eine sogenannte Peer to Peer (P2P) Kommunikation ermöglicht. Zwei Smartphones verbinden sich direkt über Bluetooth oder über Wifi, ohne dabei auf eine vorhandene Infrastruktur wie Netzwerk Router, Mobilfunk usw. zuzugreifen.

Der Nachteil ist die geringe Reichweite. Bei Bluetooth liegt sie etwa bei zehn Metern und bei Wifi kann sie bis zu 100 Meter betragen. Der große Vorteil ist aber die direkte Verbindung, welche durch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung abgesichert wird. Geheimdienste, Mobilfunkprovider oder Hacker können also nicht mitlesen.

Zwei Smartphones mit Pfeilen verbunden. Unter den Pfeilen die Symbole von Bluetooth, Wi-Fi und die TOR-Zwiebel.
Möglichst viele Zwiebel-Handys: Briar erzeugt ein verschlüsseltes und anonymisiertes Tor-Kommunikations-NetzwerkBild: briarproject.org

Die größte Stärke von Briar ist die Fähigkeit, ganz viele dieser direkten Verbindungen miteinander zu vernetzen. Dann können nicht nur zwei, sondern sehr viele Menschen miteinander über größere Distanzen kommunizieren.

Diese Technologie nennt man Mesh-Network. Besitzt eine Person in diesem Mesh-Network noch eine funktionierende Verbindung zum Internet, weil sie zum Beispiel eine ausländische Sim-Karte nutzt, kann sie ihren Internetzugang mit allen Menschen teilen, mit denen sie verbunden ist.

Die Verbindung in das Internet erfolgt dann üblicherweise anonymisiert über Tor. Auch an dieser Stelle kann also niemand mitlesen.

Jeder, der Teil eines Mesh-Networks ist, sollte sich aber bewusst sein, dass er automatisch auch Daten versendet, die er nicht kennt und die möglicherweise gegen Gesetze verstoßen können.

Briar ist kostenlos und Open Source. Finanziert wird das Tool von Organisationen, die sich für die Freiheit im Internet einsetzen, wie Accessnow oder dem Open Technology Fund.

Erhältlich ist Briar über den Google Playstore oder F-Droid. 

Bridgefy – auch für Apple-Nutzer

Bridgefy verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie Briar und erlaubt Kommunikation über ein Mesh-Network, welches ebenfalls mittels Bluetooth und Wifi aufgebaut wird.

Bridgefy lässt sich neben Android  auch auf iOS-Geräten  nutzen, was ein Vorteil gegenüber Briar ist. Vermutlich hat auch die Protestbewegung in Hong Kong aus diesem Grunde Bridgefy stark genutzt.

Screenshot von Bridgefy Mesh auf Englisch mit folgendem Text: Mesh Chat - Chat with people more than 300 feet from you by connecting with others in the middle. Example: Person 1 can talk to person 3 if person 2 is in the middle.
Bridgefy ermöglicht Internet-freie Kommunikation zwischen SmartphonesBild: bridgefy.me

Bridgefy ist nicht Open Source und wird von einer gleichnamigen US-Firma vertrieben. Die Finanzierung erfolgt über Werbung.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Sicherheitsbedenken aufgrund der Verschlüsselung. Inzwischen wird das als sicher geltende Signal-Protokoll eingesetzt, welches große Bekanntheit durch die Messenger-Apps Signal und WhatsApp erlangte und ein hohes Ansehen unter Sicherheitsforschern hat.

Silence – Verschlüsselte Nachrichten per SMS

So lange Telefonie und klassische SMS-Nachrichten noch funktionieren, das Internet aber abgeschaltet wurde, kann die App Silence für sichere Text-Kommunikation sorgen.

Klassische SMS-Kommunikation ist unverschlüsselt und einfach für Dritte mitzulesen. Silence schließt diese Sicherheitslücke und verschlüsselt SMS-Nachrichten.

Geschützt vor der Überwachung ist allerdings nur der Inhalt der Kommunikation. Metadaten, also mit wem und wann man Nachrichten austauscht, können nicht verschlüsselt werden. Weil Apple keine 3rd Party Apps für SMS-Dienste zulässt, gibt es Silence aktuell nur für Android.

Silence ist kostenlos und Open Source.  Die Entwicklung wird durch Spenden finanziert.

Hinweis für Nutzer mit einem QR-code: Die neue TOR-Router Onion Addresse lautet wie folgt: https://dwnewsgngmhlplxy6o2twtfgjnrnjxbegbwqx6wnotdhkzt562tszfid.onion

Lösungen für unfreies Internet

Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation ohne Internet sind begrenzt. Aber im Kontakt bleiben ist nicht unmöglich. Abhängig von der Sicherheitslage und von lokalen Gesetzen sollte man allerdings bei der Nutzung solcher Tools entsprechend vorsichtig sein. 

Ist dagegen eine Internetverbindung verfügbar, diese wird aber stark zensiert oder bestimmte Webseiten werden blockiert, können Tools zur Zensurumgehung  weiterhelfen.

Dazu gibt es zum Beispiel Psiphon oder Tor.

 

 

Oliver Linow - Internet Freedom Specialist
Oliver Linow DW Internet Freedom Specialist@OliverLinow