Merkel und Putin suchen gemeinsame Linie
11. Januar 2020Der Besuch der deutschen Kanzlerin könnte kaum zu einem dramatischeren Zeitpunkt stattfinden. Allein in dieser Woche griffen sich die USA und der Iran auf irakischem Territorium gegenseitig an, verließ der Iran das Atomabkommen und entsandte die Türkei Soldaten nach Libyen - Grund genug für Russlands Präsident Wladimir Putin, Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Kreml einzuladen. Ganz oben auf der Themenliste, über die sich die beiden beraten wollen, steht der Konflikt zwischen dem Iran und den USA, aber auch Libyen, Syrien und die Ukraine werden nach Angaben von Sprechern behandelt.
Auch wenn Deutschland und Russland traditionell enge Handelsbeziehungen haben und Merkel unter den westlichen Regierungschefs ein besonders häufiger Gast in Moskau war, haben das russische Vorgehen in der Ukraine-Krise und vor allem die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim die Beziehungen bis heute schwer belastet. Der Politologe Alexander Baunow vom Moskauer Carnegie Center glaubt jedoch, die Ukraine sei "nicht mehr so toxisch" für das russisch-deutsche Verhältnis, wie es einmal war. Zeichen eines politischen Tauwetters seien jüngste Fortschritte bei einer Lösung des Ukraine-Konflikts unter dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Vereint durch Trump
Die Ukraine-Krise mag Merkel und Putin auseinandergetrieben haben, die "einseitigen und unberechenbaren US-Aktionen", so Baunow gegenüber der Deutschen Welle, hätten sie zusammengeführt. Dazu zählt der Moskauer Politikwissenschaftler die amerikanischen Sanktionen gegen das deutsch-russische Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 und Präsident Donald Trumps umstrittene Entscheidung, den iranischen General Kassem Soleimani töten zu lassen.
Das russische Außenministerium nannte die Tötung "rücksichtslos", der deutsche Außenamtssprecher Rainer Breul sagte dazu: "Informationen, die uns erlauben würden, die völkerrechtliche Begründung der USA für den Angriff nachzuvollziehen, liegen uns derzeit nicht vor." Diese diplomatisch verklausulierte Formulierung war eine deutliche Distanzierung.
Konfliktbewältigung
Russische Beobachter weisen darauf hin, nach der Tötung des iranischen Generals hätten Merkel und Putin das gemeinsame Ziel, eine weitere Eskalation in der Region zu verhindern. So glaubt der russische Nah- und Mittelost-Experte Andrej Ontikow: "Russland will sicherstellen, dass die Vorgänge im Mittleren Osten keine weiteren, blutigeren Folgen haben." Ontikow glaubt, Deutschland und andere europäische Staaten könnten zur Deeskalation beitragen, daher "muss Russland natürlich seine Politik mit anderen, auch mit Europa, abstimmen".
Während Putin versuchen könnte, sein Treffen mit Merkel als Zeichen einer vereinten Front mit Deutschland und Russland als Vermittler hinzustellen, überlegt man in Berlin, wie man Putins Einfluss im Nahen und Mittleren Osten nutzen könnte. Der russische Einfluss dort ist seit 2015 gewachsen, als Russland direkt in den Krieg eingriff. Zusammen mit dem Iran hat das russische Militär den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gestützt. Dieser gilt als Garant eines fortgesetzten russischen Einflusses in der Region. Putin hat sich in der Syrienpolitik auch eng mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan abgestimmt.
Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour sagte der Deutschen Welle: "Putin tut ja so, als hätte er Einfluss. Dann hoffe ich, dass die Frau Bundeskanzlerin ihn auch drängt, dass er die Iraner wiederum davon überzeugt, dass sie keine Vergeltungsmaßnahmen ausüben."
Der Kreml versucht immer wieder, Deutschland und den Rest der EU auf seine Seite zu ziehen, während er die USA als unzuverlässigen Partner hinstellt, vor allem seit Trump im vergangenen Jahr aus dem Iran-Atomabkommen ausstieg. Sowohl Deutschland als auch Russland haben sich seitdem bemüht, das Abkommen zu retten, selbst nachdem der Iran am Sonntag ausstieg.
Berliner Friedensverhandlungen
Moskau und Berlin drängen ebenfalls auf ein Ende des Konflikts in Libyen. Die Kämpfe um die Städte Tripoli und Sirte haben sich in letzter Zeit verschärft. Ex-General Chalifa Haftar, der den Osten des Landes kontrolliert, setzt dabei die Truppen der international anerkannten Regierung unter Druck. Der deutsche Außenminister Heiko Maas, der mit Merkel nach Moskau reist, warnt inzwischen, Libyen könne ein "zweites Syrien" werden.
Deutschland ist bereit, eine Friedenskonferenz zu Libyen auszurichten, bisher wurde jedoch kein Termin dafür genannt. Falls sie stattfindet, wäre das nach den Worten des CDU-Außenpolitikers Jürgen Hardt "ein großer Erfolg der Diplomatie" Die Bundeskanzlerin setze "mit ihrem politischen Gewicht voll auf diese Karte", so Hardt. Doch es sei "noch ein weiter Weg zu gehen, bis wir wirklich vorankommen".
Am Mittwoch gab Putin eine gemeinsame Erklärung mit Erdogan heraus, in der sich beide hinter den Plan der Friedenskonferenz stellten. Beide Präsidenten fügten jedoch hinzu, Erfolge seien nur möglich "unter Beteiligung und mit dem Engagement der Libyer und der Nachbarländer" Libyens. Putin und Erdogan riefen außerdem zu einer Waffenruhe auf, die am Sonntag beginnen solle.
Moskau hat nie klargestellt, auf wessen Seite es in diesem Konflikt steht. Medienberichten zufolge kämpfen allerdings russische Söldner an Haftars Seite. Die Türkei ihrerseits hat Soldaten nach Libyen entsandt, die die offizielle Regierung unterstützen sollen.
Das Treffen in Moskau könnte nun zeigen, wieviel diplomatischen Einfluss Merkel in Libyen und der gesamten Region hat. Nach Einschätzung von Fjodor Lukjanow vom Russischen Rat für Auswärtige Angelegenheiten hat Putin bei den Verhandlungen klar das Heft in der Hand. "Deutschland ist hier ein passiver Akteur, ein Zuschauer", sagt er, "Russland dagegen ist ein entscheidender Akteur."