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Meister der Albträume: David Lynch ist tot

Oliver Glasenapp | Stefan Dege
17. Januar 2025

Der Kultregisseur David Lynch starb im Alter von 78 Jahren. Das gab die Familie bei Facebook bekannt. Der Filmemacher litt an einer unheilbaren Lungenkrankheit.

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David Lynch schaut seitlich in die Kamera, in der Hand hält er eine Zigarette.
Kultregisseur David Lynch mit Zigarette in der Hand - so hat man ihn oft gesehenBild: Janus Films/Everett Collection/picture alliance

Mit Werken wie "Blue Velvet", "Mulholland Drive" oder "Twin Peaks" schrieb er Filmgeschichte. Seinen Durchbruch hatte David Lynch in den 1970er Jahren mit "Eraserhead". Zwischen 1977 und 2006 drehte Lynch als Regisseur zehn Spielfilme.

Über viele Jahre war die Zigarette seine ständige Begleiterin, wofür er einen hohen Preis zahlte: Lynch litt unter einem Lungenemphysem. Der 1946 in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Montana geborene Filmemacher besuchte Hochschulen in Boston und Philadelphia, wo er Malerei studierte. "Es gibt eine große Lücke in der Welt, jetzt, da er nicht mehr unter uns ist", heißt es auf seiner Facebook-Seite. "Aber, wie er sagen würde: 'Behalte den Donut im Auge und nicht das Loch'".

Sezierer menschlicher Abgründe

Seinen Zuschauern ließ er die Wahl - die aber nicht immer ganz leichtfiel. Sprung in das Idyll der Kleinstadt Lumberton: Der perfekt weiß gestrichene Zaun vor dem Haus, ein freundlich winkender Feuerwehrmann, die sanfte Stimme von Bobby Vinton, der den Titelsong singt. Ein Mann wässert seinen Garten. Dann wickelt sich der Schlauch um einen Zweig. Das Wasser wird abgeklemmt. Plötzlich greift sich der Mann an den Hals und bricht zusammen. Die Kamera fährt auf ihn runter und taucht dann ab in das so liebevoll gepflegte Gras, in dem er nun liegt. Dort krabbelt und kriecht es. Käfer und andere Insekten verzehren offensichtlich ihre Beute. Unter der Oberfläche von Lumberton, da brodelt es, schön ist nur die Fassade. Das alles passiert auf der Leinwand in nicht einmal zwei Minuten!

So beginnt "Blue Velvet", 1986 eine Sensation. Verstörend, bizarr. Regisseur David Lynch begeistert viele Kinofans. Zunächst aber verschreckt er mit seiner Tour de Force die von ihm favorisierte Hauptdarstellerin. Hanna Schygulla findet das Drehbuch widerlich und lehnt ab. Und so bekommt Isabella Rossellini die Hauptrolle. Vier Jahre später spielt sie wieder bei David Lynch - in "Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula". 1990 gewinnt der Regisseur damit die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes. Da hat er sich längst einen ganz speziellen Namen gemacht: Als Sezierer menschlicher Abgründe, als jemand, der keine Skrupel kennt, sein Publikum unablässig in Albträume zu stürzen.

Filmszene aus Twin Peaks: Zwei Männer vor einem roten Vorhang, einer steht, der andere sitzt am Klavier
Die Serie "Twin Peaks" entwickelte sich in den USA zum StraßenfegerBild: New Line Cinema/Courtesy Everett Collection/IMAGO

Noch im selben Jahr dreht er die Serie "Twin Peaks". Die junge Laura Palmer wird ermordet aufgefunden. Das FBI ermittelt. Die Suche nach dem Mörder wird zum surrealistischen Mix aus Drama und Mystery, die wöchentlich ausgestrahlten Folgen zum Straßenfeger. Am Montag redete man darüber, was sich Lynch wieder hatte einfallen lassen - verrückt, wild, exzentrisch, oft atemberaubend, manchmal völlig schräg und abgedreht. Eine gewöhnliche Krimiserie hätte Lynch nicht interessiert. Er war fasziniert von größtmöglichen Gegensätzen, von Menschen, die Liebe und Romantik ins Zentrum ihres Lebens stellen und von den Geschenken der Natur schwärmen, während sie dabei immer wieder auf dunkle Gestalten treffen, die sich an Sex, Drogen und Geld berauschen.

Ästhetik zwischen Schönheit und Verderben

Seit den Dreharbeiten zu seinem ersten Film, dem Horrorstreifen "Eraserhead", ist Lynch ein Verfechter der Transzendentalen Meditation. "Darin steckt all die Energie und Kreativität", sagte er gut dreißig Jahre später. "Man verliert sich nicht, man bekommt ein stärkeres Gefühl für bestimmte Dinge." Mit "Eraserhead" machte er sich 1977 in der Indie-Film-Szene einen Namen. 1980 folgte "Der Elefantenmensch", ebenfalls ein Schwarz-Weiß-Werk, über den 1862 in den USA geborenen Joseph Merrick, der unter schweren Deformationen des Körpers litt.

Schwarz-weiß-Bild: David Lynch in Jacket mit Schal um den Hals neben einer Kamera
1980: David Lynch in jüngeren Jahren bei den Dreharbeiten von "Der Elefantenmensch"Bild: United Archives/IMAGO

Die besondere Kraft seiner Filme, die morbide Ästhetik, die schroffen Kontraste zwischen Schönheit und Verderben, sie hat viele Filmemacher inspiriert, darunter spätere Kult-Regisseure wie Quentin Tarantino oder die Coen-Brüder. Und nicht zuletzt Lynchs Tochter Jennifer: Als sie 2008 den Film "Unter Kontrolle" in die Kinos bringt, will er es nicht wahrhaben. "Du kannst deinen Film unter keinen Umständen so enden lassen. Das ist so krank", soll er gesagt haben. Jennifer Lynchs Antwort: "Von allen Menschen, die ich kenne, bist du in der schlechtesten Position mir so etwas zu sagen. Sieh dir doch mal deine Filme an."

Vier Mal wurde Lynch für den Oscar nominiert, darunter dreimal für die beste Regie. 2019 erhielt er einen Ehren-Oscar. Auch als die Zeit seiner großen Erfolge vorbei war, setzte er sich nicht zur Ruhe, sondern produzierte weiterhin Kurzfilme, Musik und Gemälde.

Kurz vor seinem 79. Geburtstag ist David Lynch jetzt gestorben. Sein Tod hat Hollywood kalt erwischt - gerade jetzt. Waldbrände halten die Traumfabrik seit Wochen in Atem. Viele Filmleute verloren in den Flammen ihre Häuser. Mindestens 25 Menschen starben. Dramatischer hätte auch ein David Lynch die Wirklichkeit nicht inszenieren können. Wenn er es denn gewollt hätte.