1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Spaltet Corona die Gesellschaft?

Scholz Kay-Alexander Kommentarbild App
Kay-Alexander Scholz
10. August 2021

Die Politik in Deutschland will die vierte Infektionswelle abbremsen und die Impfbereitschaft fördern. Doch was folgt dann? Geimpfte und Nicht-Geimpfte könnten getrennte Wege gehen, befürchtet Kay-Alexander-Scholz.

https://p.dw.com/p/3ymdT
Spielkarten: Herz-Dame mit Aufschrift "geimpft", Kreuz-Bube "ungeimpft"
Sticht die Herz-Dame bald den Kreuz-Buben aus, weil sie geimpft ist? Bild: Sascha Steinach/dpa/picture-alliance

Die wohl wichtigste Botschaft des Treffens der Länderspitzen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel lautete: Liebe Impfskeptiker, denkt noch einmal darüber nach, ob ihr Euch nicht doch impfen lasst! Wir wollen auch weiterhin keine Impfpflicht. Aber wenn sich weiterhin so viele verweigern, dann werdet ihr Nachteile haben. Denn der Mehrheit der Geimpften dauerhaft ein halbwegs normales Leben zu verweigern, das geht auch nicht.

Psychologen erwarten, dass ein Teil der Bevölkerung für solche Appelle trotzdem nicht erreichbar sein wird. Im Moment sind in Deutschland etwas mehr als 60 Prozent voll geimpft. 15 bis 20 Prozentpunkte mehr sollten es aber schon sein, meint Kanzlerin Merkel. Ob das erreicht werden kann, ist offen.

Scholz Kay-Alexander Kommentarbild App
DW-Hauptstadtkorrespondent Kay-Alexander Scholz

Und dann?

Vor einem Jahr habe ich in einer Dystopie skizziert, wie das Leben im Jahr 2023 in Berlin bei einer fortdauernden Pandemie aussehen könnte. Der Text blieb unveröffentlicht, weil er mir zu düster schien. Beschrieben hatte ich darin auch eine Szene auf einem Bahnhof mit separierten Bereichen für Geimpfte und Nicht-Geimpfte - getrennt durch Plexiglas und mit verschiedenen Eingängen. Vielleicht war der Gedanke doch nicht so abwegig.

Droht eine Spaltung der Gesellschaft?

Schließlich schützt eine Impfung auch nicht hundertprozentig. Es bleibt immer ein Rest-Risiko. Führt eine individuelle Risiko-Abwägung dann irgendwann dazu, dass ein Anspruch auf Safe-Spaces laut wird? Dass die Bereitschaft sinkt, sich mit Nicht-Geimpften in einen Zug oder in ein Restaurant zu setzen? Werden Nicht-Geimpfte dann noch zur Geburtstagsparty eingeladen? Eine solche Spaltung könnte durch Long-COVID und neue Mutationen - also eine zunehmende Risiko-Wahrnehmung und -Bedrohung - noch verstärkt werden.

Gibt es auf der anderen Seite dann eigene Kneipen für Nicht-Geimpfte? Leben auf eigenes Risiko? Dass, wie jetzt beschlossen, ab dem 11. Oktober Nicht-Geimpfte ihre Tests selber zahlen müssen, weil es nicht gerecht sei, dass die anderen das alles mitbezahlen, könnte der Anfang einer solchen Entwicklung sein.

Exklusive Rechte für Geimpfte und Genesene?

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, er erwarte eine Diskussion über "2G" - also über exklusive Rechte für Geimpfte und Genesene. Das ist erfreulich weit gedacht. Auch wenn es ein Schaudern hervorruft. Die kommende Bundesregierung muss nach der Wahl am 26. September schnell auch darüber nachdenken, was man das "gesellschaftliche Long-COVID" nennen könnte.

Ein Expertenrat aus Philosophen, Sozialwissenschaftlern, Verfassungsrechtlern, Ökonomen, Künstlern und Politikern könnte der geeignete Kreis für eine solche Aufgabe sein. Ein solcher Rat wäre wahrscheinlich eine gute Ergänzung zum jetzigen Entscheidergremium aus Bundes- und Landesregierungen. Denn die Pandemie ist - leider - noch nicht vorbei.