Wichtig sei, dass die Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Religionen miteinander auftreten - gemeinsam. Dieser Appell war wiederholt zu hören in den Tagen von Lindau, das in dieser Woche der Knotenpunkt einer weltweit vernetzten digitalen Konferenz von "Religions for Peace" war.
Mal forderte es ein älterer Priester aus Nigeria, mal eine junge Frau aus dem Libanon, mal eine Wissenschaftlerin aus den USA. Als Zeichen im Alltag, als Signal an Konfliktparteien. Das kann der Imam mit dem Erzbischof sein, das können Frauen verschiedener Bekenntnisse sein. Mögen Menschen auch unterschiedlichen Religionen angehören, so stehen sie als Glaubende doch gemeinsam in der Verantwortung vor Gott.
Tagung aus der Perspektive von Frauen
Die Tagung "Frauen, Glaube und Diplomatie" in Lindau brachte hinreichend Beispiele dafür, wie wichtig dieser Ansatz ist. Es war eine Tagung aus der Perspektive von Frauen, bei der selbstverständlich auch Rabbiner, ein Kardinal oder männliche Vertreter anderer Bekenntnisse mitredeten. Aber der Ansatz, auf die Frauen in den eigenen Reihen und auf die Frauen in den Religionen zu setzen und deren eigene Kraft zur Vermittlung und zur Konfliktlösung ernstzunehmen, weitete die Perspektive.
Die Nichtregierungsorganisation "Religions for Peace", die nach eigenen Angaben weltweit größte im interreligiösen Bereich, äußert sich nicht im engen Sinn zu Geschlechterperspektiven und verzichtet auch darauf, dazu Forderungskataloge aufzustellen. Aber der Satz "Religionen präsentieren sich bei den Repräsentanten und im öffentlichen Wort männlich, an der Basis werden sie aber von Frauen getragen" ist hier Allgemeingut. Bei welcher Religion wäre es denn anders?
Und nun macht sich "Religions for Peace" angesichts der weltweit eskalierenden Konflikte und Spannungen, die die Corona-Pandemie noch weiter verschärfen wird, daran, auf die Kraft dieser Frauen in den Religionen zu setzen. Sie einzubinden als Brückenbauerinnen, als Diplomatinnen, als Organisatorinnen, als Repräsentantinnen. Nein - niemand stellte sich in Lindau hin und verkündete platt "Wir Frauen können das besser". Aber jeden Tag neu gab es Zeugnisse von Frauen, die längst Gräben überwinden und gegen Hass oder strukturelle Unterdrückung angehen, unter schwierigen Umständen. In Kamerun oder Nigeria, in Indien oder auf den Philippinen, auf dem Balkan oder in Mittelamerika, am Amazonas oder in Kanada.
Gemeinsame Verantwortung gläubiger Menschen
Es wäre jetzt gemein, die Ausstrahlung jener, die mit "Religions for Peace" auf dem Weg sind und die mit Glaubensfreude und Kompetenz agieren, gegen die Außenwirkung der christlichen Großkirchen in Europa zu setzen. Denn die ist in diesen Monaten gelinde gesagt schwierig. Aber eins könnten die Christen im alten Europa lernen: Die Religionstreffen von Lindau 2019 und 2020 erinnern sie daran, dass die Verantwortung gläubiger Menschen in der Moderne eine gemeinsame Verantwortung ist. Es geht nicht um Abgrenzung im Bekenntnis, sondern um Weggemeinschaft in einer gefährdeten und gefährlichen Welt. Aber warum treten gläubige Menschen in Europa nicht häufiger gemeinsam auf und machen deutlich, dass sie als Glaubende Freunde oder Freundinnen sind? Solche Freundschaft kann interreligiösen Dialog voranbringen, auch den Dialog zwischen den Generationen und Kulturen.
In Lindau brachten die Verantwortlichen von "Religions for Peace" einen interreligiösen humanitären Fonds auf den Weg, für den sie in den kommenden Monaten - und das ist ihnen zuzutrauen - Finanzmittel einwerben wollen. Die Gelder sollen ausschließlich an Projekte gehen, die konsequent interreligiös arbeiten. Schon jetzt liegen Dutzende Anträge gerade von Gruppen jüngerer Akteure vor. Sie werden Klischees in Frage stellen, vermutlich werden sie in manchem Land für Irritationen sorgen. Was unterstreicht, wie wichtig es ist, dass die Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Religionen gemeinsam miteinander auftreten.