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Politik

Die Welt nach Corona ist eine andere

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Gero Schließ
6. Juni 2021

Die meisten freuen sich auf die Rückkehr in ihr altes Leben. Doch manches aus der Corona-Zeit dürfte auch bleiben. Darauf müssen Politik, Unternehmen und die Gesellschaft Antworten finden, meint Gero Schließ.

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Zwei Monitore und eine PC-Tastatur auf einem Schreibtisch vor Fensterfront mit Blick auf die blaue Adria in Kroatien. Auf den Monitoren sind als Bildschirmschoner Kaffeetassen zu sehen
HomeOffice mit Meerblick - mancher hat es während der Pandemie gut getroffen und wünscht keine ÄnderungBild: Nikolina Tomasović-Bock/DW

Wer bin ich, und wenn ja wie viele? Mit dieser etwas verschlungenen Frage hat der Pop-Philosoph Richard David Precht einst seine Leser auf eine Erkundungsreise zu sich selbst genommen. 

Diese Frage stellen sich viele Menschen gerade wieder. Menschen, die nach Monaten des Lockdowns in der jetzt anbrechenden Post-Corona-Zeit endlich Licht am Ende des Tunnels sehen. Das Licht einer Normalität, die Erwartung an einen unbeschwerten Sommer, wie wir ihn in den vielen Monaten des Abstands und Stillstands herbeigesehnt haben.

Bin ich noch der Alte?

Doch plötzlich hält man inne und fragt sich zweifelnd: Bin ich noch der Alte? Bin ich noch der, der ich vor Corona war? Inwiefern bin ich ein Anderer geworden? Und wie werde ich in dieser neuen, alten Welt zurechtkommen?

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Gero Schließ ist Kultur-Korrespondent der DW

Die Politik verkündet die ständig geringeren Inzidenzen mit stolz geschwellter Brust. In Deutschland scheinen wir Corona unter Kontrolle zu bekommen. Das ist ein Grund zur Freude - nicht nur für Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn. 

Doch abseits der anonymen Zahlen wird das Individuum oft vergessen. Wenn es um uns selber, um jeden einzelnen Menschen geht, dann steht den sinkenden Inzidenzzahlen oftmals eine steigende Kurve von Sorgen und Befürchtungen entgegen.

Kein Selbstläufer

Denn eines ist klar: Der Weg in der Pandemie war steinig und stressig. Der Weg aus der Pandemie heraus ist deswegen aber längst kein Selbstläufer.   

Das gilt nicht nur für die stark gezeichneten Long-COVID-Patienten oder die große Gruppe der Genesenen, die einer britischen Studie im Fachmagazin "The Lancet Psychiatry" zufolge überdurchschnittlich stark mit Angsterkrankungen und Stimmungsschwankungen kämpft. Und das gilt auch nicht nur für die Ungezählten, die  häuslicher Gewalt ausgesetzt waren oder die an anderen Traumata leiden.

Freude am langsameren Lebenstempo

Was ist beispielsweise mit den Kindern, die viele Monate auf Präsenzunterricht und Schulfreunde verzichten mussten? Oder ganz einfach: Was ist mit uns, die wir meinen, eigentlich ganz gut durch Zeit der Isolation und Vereinzelung gekommen zu sein? Mit uns, die dem langsameren Lebenstempo etwas abgewinnen konnten, die im Home Office fleißig, aber auch sehr gerne für sich waren? Und die auf den Wahnsinn von überhitztem Business und beruflichem Hyper-Ehrgeiz gut verzichten konnten.

Auch für diese Menschen ist der Weg aus der Pandemie kein Selbstläufer. Wissenschaftliche Studien oder auch die Daten von Krankenversicherungen belegen, dass die Pandemie Vielen auf die Psyche geschlagen hat. Verstärkte Neigung zu Depressionen sind ein weit verbreitetes Phänomen. Sie bleiben - und verschwinden nicht automatisch mit dem Virus.

Da ist es nicht akzeptabel, dass in Deutschland die Wartezeiten für eine ambulante Psychotherapie immer länger werden und Kassenpatienten nach Angaben des "Verbandes für psychologische Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen" mittlerweile 22 Wochen warten müssen.

Nicht nur pandemiebedingte Notopfer

Die Politik ist bei der Ausweitung der Beratungsangebote leider nicht vorausschauend tätig geworden. Wie auch sonst bei den großen Institutionen eine Neigung zum beschleunigten und unsensiblen "Business as usual" zu beobachten ist. Ein gutes Beispiel für diese verbreitete Unart ist der nassforsche Ruf von Unternehmern, ihre Mitarbeitenden mögen doch nun aus dem Home Office gefälligst wieder zügig an die Schreibtische in den Unternehmen zurückkehren.

Der eben noch für seine Flexibilität gelobte Mitarbeitende reibt sich verwundert die Augen. Und mit ihm auch alle jene, die mittlerweile festgestellt haben: nach Corona ist nicht einfach so wie vor Corona. Nicht nur wir haben uns verändert, auch die Welt um uns herum. Die Neugestaltung der Arbeitswelt, die Segnungen digitaler Kommunikation oder die Rückbesinnung auf das Regionale sollten nicht zum pandemiebedingten Notopfer degradiert werden. Sondern sie sollten Teil einer Neugestaltung unserer Umwelt und der Neubestimmung unseres Lebens sein.

Fangen wir damit an. Lassen wir uns von der Begegnung mit einer neuen Wirklichkeit inspirieren! Sonst wären alle Opfer im Kampf gegen Corona umsonst gewesen.