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PolitikKuba

Die kubanischen Behörden haben Angst vor uns

Kommentarbild Yoani Sanchez PROVISORISCH
Yoani Sánchez
24. Juli 2021

Das wahre Kuba hat sich noch weiter von dem Land entfernt, das in den offiziellen Medien propagiert wird. Die Wut der Bevölkerung wird immer größer, meint Yoani Sánchez.

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Ein kubanischer Demonstrant hält ein Schild hoch mit der Aufschrift "Freiheit und Leben"
Die Wut der Bevölkerung und das Verlangen nach Freiheit und Leben auf Kuba wächstBild: Wilfredo Lee/AP/picture alliance

Keiner in der Warteschlange spricht. Eine Frau schaut auf die Spitze ihres Schuhs und ein junger Mann trommelt mit den Fingern auf die Wand. Einige Tage sind vergangen, seit die Kubaner in einem in den letzten 62 Jahren beispiellosen Protest auf die Straße gingen, und die Empörung durchdringt jeden Raum. In dem Maße, wie Bilder von Polizeibrutalität, mehr Zeugenaussagen von Müttern, deren Kinder seit jenem Sonntag vermisst werden, und Videos von militarisierten Städten auftauchen, wächst die Verärgerung der Bevölkerung. 

Jeder, der die Insel vor diesem historischen Datum nicht kannte, könnte sagen, dass es den Behörden gelungen ist, die Situation unter Kontrolle zu bringen und dass auf den Straßen Kubas wieder Ruhe herrscht. In Wirklichkeit ist diese scheinbare Ruhe jedoch nichts anderes als Angst, Wut und Schmerz. In Havanna ist die Spannung in der Luft zu spüren und überall stehen Polizisten, Militärs und regierungsfreundliche Zivilisten mit improvisierten Knüppeln in den Händen.  

Angst macht sich breit

DW-Kolumnistin Yoani Sanchez
Die kubanische Bloggerin und Kolumnistin Yoani SanchezBild: picture-alliance/dpa/M. Ruiz

Im Inneren der Häuser wächst das Unbehagen und es fließen Tränen. Tausende von Familien suchen in den Polizeistationen nach jemandem, andere warten darauf, dass die Uniformierten an ihre Tür klopfen, um einen Verwandten mitzunehmen, der verdächtigt wird, an den Protesten teilgenommen zu haben. In verschiedenen Teilen des Landes brechen neue Unruhen aus, die von den Spezialtruppen, den gefürchteten "schwarzen Wespen", einer Eliteeinheit der Streitkräfte, mit Schlägen und Schüssen niedergeschlagen werden. Zahlreiche unabhängige Journalisten sind verhaftet, andere stehen unter Hausarrest und der Internetzugang wurde seit Ausbruch der ersten Proteste mehrfach zensiert. 

Die Bürger, die von den Behörden als völlig systemtreu, fügsam und friedlich dargestellt wurden, gibt es nicht mehr. An ihrer Stelle ist ein Land voller Protestrufe getreten, manche laut und manche gedämpft. Und es ist unmöglich, genau vorherzusagen, wann sie wieder zu hören sein werden. Das wahre Kuba hat sich noch weiter von dem Land entfernt, das in den offiziellen Medien propagiert wird. Während das erstere das Gefühl hat, seine zivilgesellschaftliche Stimme wiedergefunden zu haben, ihre Kraft auf der Straße massiv erprobt und das Wort "Freiheit" laut ausgesprochen zu haben, sprechen die von der offiziellen Presse kontrollierten Medien von Verschwörungen aus dem Ausland, von vereinzelten Gruppierungen, die demonstrierten, und von Kriminellen, die Märkte ausplünderten.

Droht ein Bürgerkrieg?

Die beiden Narrative schließen sich gegenseitig aus und werden nicht lange koexistieren können. Der kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel hat versucht, seine ersten Worte zu relativieren, die er am Anfang der Proteste aussprach, als es praktisch stündlich Nachrichten über einen neuen Ausbruch von Protesten gab. "Der Kampfbefehl ist erteilt" und "wir sind zu allem bereit", drohte er damals, und das Gespenst des Bürgerkriegs schwebte über der Insel. Ohne auf diese Worte einzugehen, wirft er nun mit Begriffen wie "Harmonie", "Frieden" und "Freude" um sich, kann aber nicht überzeugen, denn zeitgleich zu diesen zuckersüßen Phrasen fahren Hunderte von Bussen im ganzen Land auf, um militärische Einheiten auf Plätzen und in Stadtteilen auszuladen.

Bisher war die einzige angekündigte Lockerung, um die Proteste zu entschärfen, die Aufhebung der Beschränkung für Reisende, Medikamente, Lebensmittel und Hygieneartikel auf die Insel mitzubringen. Aber diese Maßnahme kommt spät, nach jahrelangen Forderungen, und wurde als eine Brotkrume wahrgenommen, angesichts der Forderungen nach sozialen Veränderungen, dem Rücktritt der politischen Hauptfiguren und dem Beginn eines schnellstmöglichen Übergangs zur Demokratie

"Freiheit passt nicht in einen Koffer", warnen viele in den sozialen Medien, genauso wie Rebellion nicht durch ein Polizeischild gestoppt wird. "Wir waren so hungrig, dass wir unsere Angst gegessen haben", liest man auch überall. Aber jetzt sind wir so wütend, dass sie diejenigen sind, die uns fürchten - und das merkt man ihnen an.