1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die globale Steuer-Revolution kommt voran

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert
3. Juli 2021

130 Staaten unter der Ägide der OECD haben ein besseres Steuersystem vereinbart. Das kann ein echter historischer Fortschritt sein, meint Bernd Riegert.

https://p.dw.com/p/3vvhj
Symbolbild Panama Papers
Flucht in Steueroasen soll sich für große Konzerne nicht mehr lohnenBild: Imago/M. Bäuml

Die Welt steht tatsächlich vor einer "kolossalen" Umwälzung des Steuersystems für größere Unternehmen, wie Finanzminister Olaf Scholz jubelt. Die prinzipielle Einigung von 130 Staaten unter Führung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist wirklich historisch zu nennen. Zum ersten Mal seit 100 Jahren würde sich die Weltgemeinschaft auf einen radikalen Umbau des Steuersystems einigen, der der globalen Wirtschaft, auch im Internet, gerechter würde. 

Internationale Konzerne sollen nicht mehr dort Steuern zahlen, wo sie aus steuerlichen Gründen ihren Sitz anmelden, sondern da, wo sie ihre Umsätze erzielen. Das trifft nicht nur die großen amerikanischen Internet-Riesen wie die Google-Mutter Alphabet und Online-Händler wie Amazon, sondern auch chinesische, französische Konzerne und deutsche Firmen wie Volkswagen, Daimler oder Siemens, die künftig mehr Steuern in ihren hauptsächlichen Märkten zahlen sollen.

Das gilt zunächst nur für hochprofitable Unternehmen mit Umsätzen über 20 Milliarden US-Dollar. Trotzdem ist das eine wahre Revolution, die Steuervermeidungsmodelle, die Luxemburg, Irland, die Niederlande und viele Finanzoasen in der Karibik oder auf den britischen Kanalinseln angeboten haben, unattraktiver werden lässt.

DW-Korrespondent Bernd Riegert
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Als zweite tragende Säule wird eine weltweite Mindeststeuer von 15 Prozent auf Gewinne eingeführt, die zunächst für Unternehmen mit mehr als 750 Millionen US-Dollar Umsatz gilt. Das soll den Wettbewerb der Staaten mit Niedrigsteuern abstellen. Selbst notorische Verdächtige wie Panama oder die Cayman Inseln stimmten zu. Das ist zumindest verdächtig. Gibt es vielleicht doch wieder Schlupflöcher?

Ausnahmen schmälern den Erfolg

Natürlich kennt auch diese "Revolution" bedauerliche Ausnahmen. Die großen Banken und Finanzdienstleister sind auf Druck Großbritanniens ausgenommen, ebenso die Mineralölindustrie - Ergebnis brillanter Lobbyarbeit Saudi-Arabiens, Russlands und der Öl-Multis wie Exxon. Für kleinere Staaten, sprich die bisherigen Steueroasen, gibt es Sonderregeln. Investitionen in physische Produktionsanlagen oder Logistikzentren sollen die Steuerschuld mindern. Die internationale Transportschifffahrt wird aufgenommen.

Die USA haben auf die Tube gedrückt. Die neue Finanzministerin Janet Yellen verspricht sich höhere Steuereinnahmen. Insgesamt sollen laut einer Berechnung der OECD 100 bis 150 Milliarden Euro mehr in die Kassen der Finanzminister fließen. Für Deutschland öffnet sich das Füllhorn nur wenig - etwa 750 Millionen Euro, weil deutsche Konzerne künftig mehr Steuern in China und den USA zahlen würden. Digitale Strafsteuern, die es in Großbritannien und Frankreich bereits gibt und die in der EU geplant waren, müssen abgeschafft werden. Die USA und Europa können so zumindest diesen Teil der Handelsstreitigkeiten beilegen.

Grafik mit möglichen Steuerverlusten wegen Tech-Firmen

Durchbruch geschafft

Noch ist das Ziel nicht erreicht: Die Vereinbarung für die globale Steuerreform ist freiwillig und muss in nationale Gesetze übersetzt werden. Die Gruppe der 20 wichtigsten Staaten wird aber zustimmen. Den Verweigerern in der EU - Irland, Ungarn, Estland und Zypern - wird wohl nichts anderes übrig bleiben als am Ende auch mitzuziehen, weil sie sonst Sanktionen treffen könnten. Entscheidend ist die Zustimmung des US-Kongresses. Die ist wegen der hauchdünnen Mehrheit der Biden-Regierung nicht sicher, aber für die "Revolution" unbedingt notwendig.

Viele Details und der Zeitplan zur Einführung des neuen Steuersystems sind noch vage und müssen bis zum Gipfeltreffen der G20-Staaten im Oktober in Rom noch ausgehandelt werden. Der Durchbruch zu einer besseren und gerechteren Besteuerung ist aber geschafft. Jetzt muss man aber genau beobachten, ob am Ende die Besitzer der Konzerne oder die Kunden - also wir alle - über höhere Preise, die Steuerrechnung begleichen werden.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union