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Politik

Der erfundene Rassismus-Eklat

Porträt Peter Janku
Peter Janku
11. Dezember 2020

Wie ermutigt man Rassisten? Zum Beispiel durch vermeintlich "rassistische" Eklats, die sich aufklären, wenn man sich Zeit nimmt und nachfragt, statt moralisch entrüstet Shitstorms auszulösen, meint Peter Janku.

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Champions League Gruppe H l PSG Paris vs Istanbul Basaksehir l Anti-Rassismus-Banner
Bild: Franck Fife/AFP/Getty Images

Den vermeintlichen Skandal hat der rumänische Schiedsrichter Sebastian Coltescu ausgelöst. Während des Champions League-Spiels zwischen Paris Saint-Germain und Basaksehir soll er sich vermeintlich rassistisch über Pierre Webo, den aus Kamerun stammenden Co-Trainer der Istanbuler Mannschaft, geäußert haben. Der Unparteiische entschuldigte sich umgehend: "Meine Absicht war niemals rassistisch. In einer solchen Umgebung können Menschen ihre Gefühle manchmal nicht richtig ausdrücken und können missverstanden werden. Ich entschuldige mich im Namen der UEFA-Champions League", schrieb Coltescu auf Twitter.

Es half nichts. Das Malheur war passiert. In einer angespannten, von heftigsten Auseinandersetzungen geprägten Lage hatte der vierte rumänische Offizielle am Dienstag den Hauptschiedsrichter über einen Regelverstoß informiert und den Täter, den Co-Trainer der türkischen Mannschaft, als "den Schwarzen, dort" - "ala negru" - identifiziert. Das ist ein im Rumänischen neutraler, keineswegs rassistisch, abwertend oder beleidigend gemeinter, jedoch in einer aufgeladenen Situation gewiss nicht sensibler Begriff.

Keiner war des Rumänischen mächtig

Doch die Anwesenden, des Rumänischen nicht mächtig, ließen sich phonetisch überzeugen, das schlimme N-Wort herausgehört zu haben. Dabei gibt es für diesen beleidigenden Begriff im Rumänischen mindestens drei Übersetzungen. Keine davon hat der rumänische Schiedsrichter verwendet.

Porträt Peter Janku
DW-Redakteur Peter JankuBild: DW/M.Müller

Gefolgt von den Franzosen, verließ die türkische Mannschaft den Platz, zu dem Zeitpunkt war knapp eine Viertelstunde gespielt. Der türkische Präsident Erdogan höchstpersönlich griff per Twitter sofort ins Geschehen ein. Obwohl auch er kein Wort Rumänisch versteht, verlangte er von der UEFA, das "Nötige zu unternehmen", um gegen Rassismus und Diskriminierung vorzugehen.

Die Spieler, allen voran der ehemalige Hoffenheimer Demba Ba, wollten sofort ein Zeichen setzen, wo Sprachkenntnis, Nachfragen und Nachdenken hilfreich gewesen wären. Zornig erdreistete sich der kein Wort Rumänisch verstehende Ba zu erklären, warum die Wortwahl des Rumänen auf jeden Fall feindselig war. Dass sie keineswegs rassistisch gemeint war, sondern der einfachen, klaren, schnellen und kontextgerechten Kommunikation dienen sollte, wollten weder Ba noch viele andere Sportler und Beobachter anerkennen.

Kein Gehör für besonnene Stimmen

Besonnene Stimmen, wie die des Liverpoolers John Barnes, einst selbst Opfer von Rassismus im Fußballstadion, die der Hetzjagd auf Coltescu ein Ende zu bereiten versuchten, blieben weitgehend ungehört. Mit Besonnenheit und Vernunft ist heute kein Blumentopf zu gewinnen.

Da die Lust an Wut und Entrüstung im digitalen Zeitalter kaum zu bremsen ist - schon gar nicht im Lockdown - nahm der weltweite mediale Shitstorm seinen Lauf und riss auch Rumänien mit. Einige begannen am Verständnis der eigenen Muttersprache zu zweifeln. Andere beklagten lautstark den Schaden, der dem Ansehen des Vaterlandes zugefügt worden sei.

Was bei all dem nicht erwähnt wurde: Vor dem Zwischenfall war von der türkischen Trainerbank aus zu hören, Rumänen seien "Zigeuner in meinem Land". Die Videoaufnahme dazu wurde allerdings nur von rumänischen Medien in Umlauf gebracht. Wollte Co-Trainer Webo durch eine lautstarke öffentliche Aufregung die Aufmerksamkeit von diesen Äußerungen ablenken?

"Gründlich untersuchen"

Die UEFA, die viel Geld und Anstrengungen in bitter nötige Antirassismus-Kampagnen investiert hat, ließ lediglich verlautbaren, man werde die Vorfälle aus Paris "gründlich untersuchen". Der rumänische Fußballverband distanzierte sich zwar vom Rassismus, jedoch nicht von den echten Rassisten im tags darauf ohne Schiedsrichter aus Rumänien, aber mit den Antiziganisten auf der türkischen Trainerbank wieder aufgenommenen Spiel.

Der - wie sich später herausstellte - selbstmordgefährdete und vom Shitstorm sichtlich mitgenommene Coltescu ließ derweil auf Twitter wissen, er werde sich für eine Weile vom Internet fernhalten. Ob ihm das gelingt, bleibt vorerst sein Geheimnis. Nicht minder geheimnisvoll ist die Entscheidung der Deutschen Presseagentur, die Falschmeldung von der angeblich widerrufenen Entschuldigung Coltescus unkorrigiert weiter laufen zu lassen. Oder das Unvermögen großer Teile der Presse, Tatsachen gründlich zu recherchieren, Fakten von Nebelkerzen zu trennen, zu analysieren und das Ganze richtigzustellen.

Wirkungslos und kontraproduktiv

Ob man mit solch menschenverachtenden Aktionen die liberale Demokratie schützen und den Rassismus bekämpfen kann? In Rumänien und vor allem unter den Auslandsrumänen hat sich eine gegenüber der politischen Korrektheit feindselige Stimmung breitgemacht, die zum Erfolg einer Partei am rechten Rand des politischen Spektrums bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag beigetragen hat: AUR wurde aus dem Stand heraus mit neun Prozent der Stimmen ins Parlament gewählt. Ideologisierte Debatten dieser Art sind nicht nur wirkungslos im antirassistischen Kampf gegen Rechts, sondern hintertreiben diesen aktiv und fördern Extremismus.