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Politik

Das tragische Scheitern der Agent Orange-Kläger

10. Mai 2021

In der Sache wurde gar nicht verhandelt, das Gericht in Frankreich hat die Klage abgewiesen. Damit ist die letzte Chance einer juristischen Aufarbeitung des Gifteinsatzes in Vietnam gescheitert, meint Rodion Ebbighausen.

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Vietnamesische Kleinkinder mit verkrüppelten Gliedmaßen - Opfer von Agent Orange
Die Folgen reichen bis in die Gegenwart - vietnamesische Kinder als Opfer von Agent OrangeBild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance

Agent Orange beschäftigt seit Jahren die Gerichte. Mehrfach haben vietnamesische Opfer versucht, gegen die Unternehmen zu klagen, die den massenhaften Einsatz des Entlaubungsmittels durch die US-Streitkräfte in Vietnam erst möglich gemacht haben. Zwei bis vier Millionen Menschen haben unter Agent Orange gelitten, 100.000 wurden mit schwersten Behinderungen oder Krankheiten geboren.

Das Verfahren in Frankreich wäre die letzte Chance auf eine juristische Aufarbeitung gewesen, nachdem ein New Yorker Gericht die Klage der NGO " Vietnamese Association for Victims of Agent Orange" bereits 2005 mit fragwürdigen Argumenten zurückgewiesen hat. Möglich wurde die neue Klage durch eine Gesetzesänderung in Frankreich von 2013, nach der französische Staatsbürger ausländische Unternehmen belangen können, wenn sie nachweisen, durch diese geschädigt worden zu sein.

Hoffen auf späte Gerechtigkeit

Die 1942 in Vietnam geborene Französin Tran To Nga hatte das Verfahren angestrengt. Sie war 1966 Opfer einer Agent Orange-Sprühaktion geworden, bald darauf ein Kind verloren und später ein zweites geboren, das, wie sie selbst, an für Agent Orange-Opfer typischen Erkrankungen wie einem Herzfehler, Diabetes und Asthma litt. Ein deutsches Labor bestätigte, dass als Ursache hierfür ein erhöhter Dioxin-Wert im Blut wahrscheinlich ist. Die Wirkung von Agent Orange basierte auf Dioxin.

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DW-Redakteur Rodion EbbighausenBild: DW

Doch seit jeher leugnen die großen Produzenten wie Monsanto, das heute zur Bayer AG gehört, Dow Chemical und zwölf weitere kleinere Hersteller die Verantwortung - mit immer den gleichen Argumenten. Zum ersten könne für Einzelfälle nie eindeutig nachgewiesen werden, dass Agent Orange direkt ursächlich sei für schwere Fehlbildungen, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Nervenleiden, Diabetes, Parkinson oder Krebs. Das ist für den Einzelfall sicher richtig. Es ist aber auch klar, dass die Zahl dieser Erkrankungen in Regionen, die besonders stark von Agent Orange betroffen waren, viel häufiger auftreten als im Rest des Landes. Es besteht also wenig Zweifel, dass es einen Zusammenhang zwischen Agent Orange und schwersten Krankheiten sowie Behinderungen gibt.

Zum zweiten war den Herstellerfirmen und der US-Regierung schon vor Beginn des Einsatzes 1961 bekannt, dass Agent Orange wegen der darin enthaltenen Dioxine extrem gesundheitsschädlich ist. Es war auch bekannt, dass Agent Orange die für die USA geltenden Grenzwerte an Dioxin deutlich überschritt. Die Hersteller nutzten außerdem riskante, dafür aber schnellere Herstellungsmethoden, die zu höheren Konzentrationen von Dioxin führten. Nur so konnten sie die gewaltige Nachfrage der US-Armee befriedigen und ihren Profit maximieren.

Die Genfer Konvention

Zum dritten wird argumentiert, dass allein die US-Regierung die Verantwortung trage, da sie festgelegt habe, was die Chemikalie bewirken und wo und wie sie eingesetzt werden sollte. Die US-Regierung ließ allerdings keinen Zweifel daran, wofür das Mittel gedacht war: den großflächigen Einsatz in Südvietnam. Dabei ging es nicht nur um Entlaubung, um dem sogenannten Viet Cong den Rückzug in den Dschungel zu erschweren, sondern auch um die gezielte Vernichtung von Ernten und das unfruchtbar machen von riesigen Agrarflächen. Der Gegner sollte ausgehungert werden. Betroffen waren wegen des undifferenzierten Einsatzes hunderttausende Zivilisten. Auch das wussten die Produzenten.

Zum vierten wird erklärt, dass die Genfer Konvention von 1925, die den Einsatz von Chemiewaffen verbietet, nicht explizit die Nutzung von Herbiziden einschließe. Allerdings stellte die Generalversammlung der Vereinten Nationen bereits 1969 fest, und zwar wegen des Einsatz von Herbiziden in Vietnam, dass die Genfer Konvention durchaus auch den Einsatz von Entlaubungsmitteln einschließen kann.

Juristische Aufarbeitung gescheitert

Trotzdem scheiterten vietnamesische Opfer 2005 mit ihrer Sammelklage gegen die beteiligten Chemiefirmen. Das für den Fall zuständige Gericht in New York entschied, dass die Firmen nicht verantwortlich seien. Es führte die bekannten Gründe an: Erstens gebe es keinen Nachweis für die direkte kausale Verursachung, zweitens hätten die Firmen die US-Regierung auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die das Mittel trotzdem eingesetzt habe, und drittens falle Agent Orange nicht unter die Genfer Konvention. Das Gericht widersprach damit der Auffassung der UN-Generalversammlung.

Bei der Verhandlung vor dem französischen Gericht in Évry ging am Montag nun allein darum, ob ein französisches Gericht für den Fall überhaupt zuständig ist. Das Gericht folgte leider der Verteidigungslinie der Konzerne: Ein französisches Gericht sei nicht zuständig für Handlungen eines souveränen Staates, in diesem Fall den USA, in Kriegszeiten. Damit ist die juristische Aufarbeitung des Einsatzes von Agent Orange endgültig gescheitert. Das Leiden der Opfer geht indessen weiter, denn das Dioxin bleibt auf Jahrzehnte in den Böden, lagert sich in den Körpern der Menschen ein und verändert ihre Gene.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia