1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Corona stiehlt der jungen Generation die Zukunft

London Junge Menschen ohne Perspektive in der Pandemie Salome Gongadze
Salome Gongadze
2. Mai 2021

Die Begleiterscheinungen der Corona-Pandemie hinterlassen in allen Lebensbereichen tiefe Spuren. Doch eine Gruppe fühlt sich besonders verloren und zurückgelassen, meint Salome Gongadze.

https://p.dw.com/p/3slVh
Karikatur Corona und Aufnahme Prüfung
Das Coronavirus ist längst in Hörsälen und bei Prüfungen präsent - die jungen Leute haben AngstBild: DW/M. Neystani

Ich bin sicherlich nicht die Erste, die in einem in dunklen Raum sitzt und beobachtet, wie der Pfeil des Börsenindex steil nach unten zeigt. Es ist jedoch etwas anderes, zu sitzen und zu beobachten, wie der Pfeil fällt, es aber um mehr als nur um verlorenes Geld geht. Denn für eine 23-Jährige, die eben ihr Universitätsstudium absolviert hat, stellt dieser Pfeil den Verlust von Chancen dar.

Ich bekam Panik, als ich diesen Pfeil beobachtete, der im Februar 2020 plötzlich so rasant abstürzte. Was mir in diesem Moment klar wurde: Meine Aussichten, nach dem Master-Abschluss schnell einen Job zu bekommen, wurden schlagartig trüber. In verwackelten Video-Chats schilderten wir Gleichaltrigen uns gegenseitig ähnliche Befürchtungen: Wir würden enden wie die bislang letzte Generation von Berufseinsteigern, die 2008 Opfer eines Zusammenbruchs der Märkte wurde. Obwohl wir damals noch ziemlich jung waren, sind uns allen deren Horrorgeschichten ziemlich präsent.

Glück im Unglück

Inzwischen haben sich zumindest die Aktien wieder erholt, was wenigstens die Anleger unter uns trösten mag. Aber für diejenigen, die auf der Suche nach dem ersten Job sind, ist die Situation immer noch hoffnungslos.

London Junge Menschen ohne Perspektive in der Pandemie Salome Gongadze
Salome Gongadze lebt in den USA und ist seit einem Jahr auf Job-SucheBild: Privat

Die meisten Menschen meines Alters sind sich sehr wohl bewusst, dass wir eigentlich Glück haben in dieser Pandemie: Da wir jung sind, ist die Gefahr, schwer zu erkranken oder gar zu sterben, vergleichsweise gering. Aber manchmal scheint es, dass die großen Probleme, mit denen meine Generation jetzt konfrontiert ist, dadurch übersehen werden.

Die Nebenwirkungen der Pandemie, insbesondere ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit auf die Einstellung von Hochschulabsolventen, sind wie ein Schlag ins Gesicht. Ich schreibe dies, weil diejenigen, die in diesem und im vergangenen Jahr ihren Uni-Abschluss gemacht haben, bereits ihr Studium unter Bedingungen absolviert haben, die sich noch prekärer waren, als bei unseren Vorgängern 2008.

Heftig umkämpfter Arbeitsmarkt

Die Studiengebühren sind in den Ländern, in denen sie erhoben werden, die höchsten, die es je gab. Hinzu kommt, dass die Lebenshaltungskosten in den Universitätsstädten, insbesondere für Wohnraum, in die Höhe geschnellt sind. Ich finde es schwierig, älteren Menschen - die den studentischen Lebensstil oft romantisieren - zu vermitteln, wie wettbewerbsintensiv und stressig das Leben an vielen Hochschulen heute ist. Und wie viel Druck wir seitens der Arbeitgeber verspüren, die ihre Anforderungen immer weiter in die Höhe schrauben.

Das alles war schon so, bevor die weltweite Pandemie viele Branchen heftig zusetzte und es vielerorts plötzlich unmöglich machte, überhaupt das Haus zu verlassen. Aber aktuellen Absolventen sehen sich mit einem heftig umkämpften Arbeitsmarkt konfrontiert, wie es ihn seit 2008 nicht mehr gab: Kohorten von Arbeitssuchenden - sowohl frisch von der Universität, als auch diejenigen, die aufgrund der Krise entlassen wurden, oder deren Job-Angebote kurzfristig zurückgezogen wurden - bewerben sich alle um die gleichen, wenigen Stellen.

Es fühlt sich unerträglich an

Eine Freundin, die um eine Festanstellung kämpft, hat es klar formuliert: Es fühle sich oft unerträglich an, mitten in einer Pandemie so viele Bewerbungen zu schreiben. Die Jobsuche ist eine Aufgabe, die schon unter normalen Umständen eine positive Einstellung und ein dickes Fell erfordert. Umso schwieriger ist es, wenn man zugleich unter sozialer Isolation, Langeweile und einem Mangel an körperlicher Aktivität leidet. Der Krisenjahrgang 2008 konnte sich wenigstens in Bars und Kneipen ablenken, um seine Sorgen zu vergessen.

Mir geht es ähnlich. Die Zeit vergeht eher langsam, wenn man nur rumsitzt und Bewerbungen schreibt. Der Blick auf den Kalender ist deprimierend, weil ich merke, wie viel Zeit seit meinem letzten Job vergangen ist. Es ist schwierig, mit dem Gefühl umzugehen, wieviel wir - ich und meine ganze Generation - verloren haben.

Junge Arbeitssuchende brauchen Unterstützung

Die Politik muss jetzt versuchen, die Wirtschaft anzukurbeln und die Einstellung von jungen Leuten zu fördern, wo immer dies möglich ist. Auch die Arbeitgeber können einen wichtigen Beitrag leisten: Zum großen Stress bei der Arbeitssuche trägt bei, dass man häufig sehr schlecht behandelt wird. Die meisten Jobsuchenden erwarten wirklich nicht viel. Aber ein gehaltvolles Feedback oder zügige Absagen würden den Bewerbern viel Nervosität nehmen und ihnen mehr Sicherheit geben.

Ich fürchte, dass die Pandemie eine Gesellschaftsschicht hervorbringt, die sich jahrelang abmühen muss, und dadurch das Problem der Ungleichheit zwischen den Generationen noch größer wird. Die langfristigen Folgen für die Verdienstmöglichkeiten und Lebensperspektiven der Generation 2008 sind gut dokumentiert. Das raubt vielen der aktuellen Uni-Absolventen den Schlaf.

Salome Gongadze stammt aus Kiew, hat Anfang 2020 an der London School of Economics ihren Abschluss gemacht und sucht nun seit mehr als einem Jahr den Berufseinstieg in den USA.