Mein Stück Heimat: Ahmeds Liebesarmband
9. Oktober 2015Tausende Flüchtlinge kommen derzeit in Deutschland an. Menschen, die Freunde und Familie, Arbeit und Wohnung, die ihre Heimat vielleicht für immer verlassen mussten. In unserer neuen DW-Reihe "Mein Stück Heimat" stellen wir Flüchtlinge und deren Geschichten aus ihrer Sicht vor: subjektiv und ohne zu werten. Und wir zeigen, welches Kulturgut ihnen so sehr am Herzen lag, dass sie es trotz lebensgefährlicher Flucht mitgenommen haben: ihr "Stück Heimat".
Wenn Ahmed morgens aufwacht, dann hat er häufig einen Abdruck auf seinem linken Handgelenk. Denn sein Armband nimmt er nie ab. Nicht zum Duschen, nicht zum Schlafen. Es besteht aus kleinen silbernen Kettenelementen - sein Stück Heimat. "Ein Geschenk meiner großen Liebe", sagt er. "Das Wertvollste, das ich besitze."
Den Namen seiner großen Liebe möchte Ahmed nicht geschrieben sehen. Auch seinen Nachnamen nicht. "Ihre Familie würde sie umbringen, wenn sie von uns wüsste."
Ahmed und seine Liebe gehören zwar beide dem Volksstamm der Hashid an, doch sie stammen aus verfeindeten Familien. Und dann auch noch das Alter. Er ist 26, sie schon 28. Auch dass sie älter ist, meint Ahmed, würde im Jemen schon reichen, um eine Heirat zu verhindern. Ihm sei das alles völlig egal. "Ich liebe sie. Ich wünsche mir nichts mehr, als sie zu heiraten. Aber ich weiß, das wird wahrscheinlich nie passieren." Romeo und Julia im Jemen.
Kennengelernt haben sich die beiden an der Universität von Sanaa. "Wir waren Kommilitonen", erinnert sich Ahmed. Beide studierten Englisch. Und träumten davon, das Land mit einem Stipendium zu verlassen. Ahmed setzte sogar extra noch ein IT-Studium drauf, um bessere Chancen im Ausland zu haben. "Das letzte Mal, dass ich sie sah, war bei unserer Abschlussprüfung." Damals gab sie ihm das Silberarmband, und er gab ihr ein ganz ähnliches. Eine Art Verlobungsgeschenk. Beinah zwei Jahre ist das jetzt her.
Dann musste Ahmed fliehen. Weil er nicht kämpfen, nicht "morden" wollte, wie er sagt. Im Jemen tobt ein Krieg zwischen der Regierung und den Huthi-Rebellen statt, er wird häufig als Teil eines Stellvertreterkriegs zwischen Saudi-Arabien und dem Iran wahrgenommen. Ahmed traf jedoch nicht allein dieser, sondern auch ein Konflikt, der im Jemen bereits seit Jahren zwischen den verschiedenen Stämmen geführt wird. "Zwei meiner Onkel wurden ermordet. Die Familie wollte, dass ich sie räche", erzählt er. "Aber das wollte ich nicht. Ich will nicht, dass dieser Krieg immer weitergeht."
In seine Fluchtpläne weihte Ahmed einzig seinen älteren Bruder ein, der schon vor Jahren nach Saudi-Arabien floh. Und er erzählte seiner Liebe von den Plänen, das Land zu verlassen.
"Ich sagte ihr, dass ich nach Deutschland gehe. Und wenn sie in drei Monaten noch nichts von mir gehört hat, ich wahrscheinlich tot bin." Eineinhalb Jahre war Ahmed auf der Flucht. Er schrieb seiner Liebe per WhatsApp, so oft es ging. Seit er in Deutschland ist, viele Male täglich. Ahmed lacht. "Wie geht's dir? Was machst du? Ich esse jetzt. Ich gehe jetzt schlafen. Auch dass wir gerade sprechen, weiß sie."
Ahmed wohnt jetzt in einer Notunterkunft für Flüchtlinge auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr in Putlos, Schleswig Holstein. "Die Soldaten sind sehr nett", sagt er. "Ganz anders als im Jemen. Hier herrschen Gesetze und Regeln. Nicht Korruption und Rachsucht." Ahmed hat sich schon im Jemen über Deutschland informiert, vieles gelesen, und er versteht mittlerweile auch den komplizierten Asylantragsprozess. Er hat einen Plan, er spricht gut Englisch und will als IT-Experte arbeiten. Nur wie er jemals seine große Liebe wiedersehen soll, das weiß er nicht.