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Sommerserie: Gorges du Verdon

17. Juli 2017

Die Schluchten im Verdongebiet können viele Geschichten erzählen - von Abenteuern, Freundschaft, Liebe und Tod. Silke Wünsch hat eine davon erlebt und kehrt immer wieder an den Ort zurück, an dem sie einen Freund verlor.

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Frankreich Straße Route des Crêtes
Bild: cc-by-nc-sa3.0/Tobi 87

Im hohen Gras liegt ein Steinhaufen. Zwischen den Steinen Tannenzapfen, getrocknete Lavendelsträuße. Aus einer Ritze lugt ein Zettelchen hervor. Der Steinhaufen lehnt sich an einen etwa einen Meter hohen Findling aus grauem Kalkgestein. Er markiert den Anfang eines weiten Plateaus, dicht bewachsen mit Gräsern und Wiesenblumen, die sich sanft im Wind bewegen. Im Hintergrund erhebt sich eine majestätische Felswand - gut 400 Meter hoch. Die Abendsonne färbt das gewaltige Massiv orange-rot.

Einen schöneren Grabstein hätte Arno sich nicht aussuchen können.

Felsmassiv am Gorges du Verdon
Bild: DW/S. Wünsch

Ich habe die Verdon-Region 2005 kennengelernt. Ein El-Dorado für Felskletterer, Wanderer, Extrem- und Funsportler. Damals gab es dort viele sogenannte Abenteuercamps, wo Leute einen etwas anderen Urlaub buchen konnten. In einem solchen Camp arbeitete Arno als Canyoning-Guide. Bei dieser Sportart bewegt man sich an Seilen, springend, rutschend und schwimmend durch eine Schlucht flussabwärts. Ein Riesenspaß. Arno war Profi, er hatte eine Ausbildung und kannte in der Gegend jeden Stein. Abends im Camp holte er seine Gitarre und verzauberte die Gäste mit seinen Liedern, seiner Stimme. Er konnte auch mal launisch sein, brüllte Kollegen und Gäste an - um im nächsten Moment grinsend ein Steak zu verzehren, eine lustige Geschichte zu erzählen oder sich so lange Chips in den Mund zu stopfen bis er aussah wie ein Breitmaulfrosch.

Fünf Minuten früher…

Im Juni 2008 fuhr Arno mit einer Gruppe los, um mit ihnen den Baou, einen kleinen Nebenarm des Verdon, zu begehen. Es hatte viel geregnet in den Tagen zuvor. Der Bach führte mehr Wasser als sonst - für Arno und seine Abenteurer-Truppe genau richtig. Schließlich hatten die Gäste einen Action-Urlaub gebucht. Der Baou ist nicht besonders lang - bei hohem Wasserstand hat er dennoch seine Tücken. An einer Stelle wird er eng - und die glatten Wände sind hoch. Genau hier befand sich die Gruppe, als sich plötzlich der Wasserspiegel merklich hob. Arno baute gerade eine Seilbrücke, um die Gruppe über eine knifflige Stelle zu bringen. Als er die Gefahr erkannte, schrie er die Gäste an, sie sollten irgendwie rausklettern, die Wände hoch. Dann kam schon die Wand aus Wasser, Dreck und Ästen und riss die Gruppe mit.

Einer konnte sich retten. Die anderen wurden durch den Fluss gespült und überlebten wie durch ein Wunder, teils schwer verletzt. Arno und zwei junge Frauen wurden erschlagen, ihre Leichen fand man weiter flussabwärts.

Es war eine einzige Flutwelle, ausgelöst durch den Bruch eines natürlichen Damms, der sich flussaufwärts gebildet hatte. Es war ein kurzer Augenblick, den die Gruppe genau in dieser kleinen Passage verbracht hat, an der es bei einer Flutwelle kein Entrinnen gibt. Es war ein unglücklicher Zufall.

Lieblingsplatz

Ein Gitarrenkoffer lehnt an einem Felsen
Arnos Spitzname war "Don Simon"Bild: DW/S. Wünsch

Arnos Körper wurde eingeäschert. Seine Asche liegt in der Erde des Plateaus, unter dem Steinhaufen im hohen Gras. Es war sein Lieblingsplatz; er lehnte immer gerne an dem Findling und schaute in die Verdonschlucht hinab - im Rücken das gewaltige Felsmassiv, das abends im Sonnenlicht leuchtet.

Arno hatte einen großen Freundeskreis; ich habe ihn am Verdon kennengelernt und viele lustige, schöne und intensive Zeiten mit ihm verbracht - am Feuer, im Canyon, auf Partys. Jedes Jahr im Juni komme ich an den Verdon - wie seine Familie und viele seiner Freunde auch, um an seinem Todestag bei ihm zu sein. Jedes Jahr besuchen wir den Ort, an dem er verschlungen und weggespült wurde - von der Natur, die er so geliebt hatte. Wir gehen durch den Baou und bleiben vor der Gedenkplakette stehen, die seine besten Freunde nach dem Unglück an der Stelle angebracht haben, an der es passierte. Jedes Jahr gehen wir hoch auf das Plateau und setzen uns an sein Grab. Manchmal singen wir Lieder. Lieder, die auch er gesungen hat. Oder wir erzählen uns immer wieder die lustigsten Geschichten, die wir mit Arno erlebt haben. Ab und zu fegt ein Wind über das Plateau - dann wir sind sicher, dass er es ist.

Eine Gruppe Canyonisten in der Schlucht
Unter der Gedenkplakette (oben im Bild) versammeln sich die Freunde an der UnglückstelleBild: DW/S. Wünsch

Wenn ich alleine vor dem Steinhaufen sitze und die Felswand betrachte, fällt die Stille sanft auf mich herab und der Zauber, der diesem Ort innewohnt, erfüllt mich. In diesen Momenten bin ich meinem alten Kumpel ganz nah.

Wuensch Silke Kommentarbild App
Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online