Mein Deutschland: Meine Integration
Als ich Ende der 1980er Jahre nach Deutschland kam, hatte ich im Vergleich zu den meisten Migranten einen großen Vorteil: Die Hürde der Sprache hatte ich durch ein Germanistik-Studium in China bereits genommen.
In Köln setzte ich das Studium fort - mit dem Fernziel, eines Tages in China als Germanistik-Professorin zu arbeiten. Bereits am ersten Uni-Tag stellte ich unbewusst die Weichen für meine Zukunft: Als ich in der Mensa von den deutschen Kommilitonen gefragt wurde, ob ich mich zu meinen Landsleuten setzen wolle - ein langer Tisch mit rund 20 chinesischen Studenten war nicht zu übersehen -, sagte ich nach kurzem Überlegen: "Nein." Schließlich bin ich nicht 8000 Kilometer geflogen, um sofort wieder unter Chinesen zu sein. Dadurch habe ich aber auch das Zugriffsrecht auf einen chinesischen Mann verwirkt.
Zwei Monate später, nachdem die Bürokratie rund um den Aufenthalt erledigt war, kaufte ich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Kiosk eine deutsche Zeitung. Es war die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die einzige deutsche Zeitung, die ich aus China kannte. Wir hatten einmal im Deutsch-Unterricht die Annoncen zur Partnersuche in der FAZ durchgelesen - eine sehr amüsante Stunde. Jetzt hielt ich in Köln diese Zeitung in der Hand, um mich über Deutschland zu informieren. Da dachte ich, nun bin ich endlich angekommen.
Kulturschocks
Mit dem Kölner Karneval erlebte ich den ersten Kulturschock. In einer überfüllten Kneipe wurde ich von schweißgebadeten und alkoholisierten Männern mitgeschunkelt.
Auch im normalen Alltag halten die Deutschen nicht so viel körperlichen Abstand wie die Chinesen. An das Küsschen links und Küsschen rechts bei der Begrüßung gewöhnte ich mich nur mühsam. Immer wieder sagte ich mir selbst: "Stell Dich nicht so an. Du bist hier und Du passt Dich an."
Dann wollten mich meine deutschen Kommilitonen in die gemischte Sauna mitnehmen. Nein, das ging definitiv zu weit. Sieben Jahre brauchte ich, um mich zu überwinden. Inzwischen ist aus mir eine leidenschaftliche Sauna-Gängerin geworden.
Pfarrersfrau: Zu viel des Guten
Es folgten zwei aufregende Jahre für mich - die Ehe mit einem Militärpfarrer. Dafür wurde ich von meinem zukünftigen Mann getauft. Warum ein evangelischer Pfarrer eine Katholikin oder eine Muslimin ehelichen darf, aber keine Konfessionslose, ist mir bis heute ein Rätsel. Bald stellte ich fest, dass ich es mit der Integration etwas übertrieben hatte. Militär und Kirche - diese Kombination war für eine nach Freiheit strebende Atheistin zu viel, auch wenn ich die Skat-Abende mit den Soldaten durchaus schätzte.
Die Schmach, auf den vielen Bällen der Bundeswehr den charmanten Offizieren immer wieder auf die Füße zu treten, wollte ich auch nach dem Ende dieser kurzen Episode nicht auf mir sitzen lassen - ich besuchte eine Tanzschule und lernte prompt den Vater meiner Tochter kennen. Nun musste ich endgültig meinen Rückkehrplan begraben.
Es folgte die Erfahrung, dass die tiefergehende Integration erst durch die Kinder geschieht. Und schon lauerte die nächste mir unbekannte deutsche Eigenart um die Ecke: das Kaffeekränzchen. Das ist eine Art Selbsthilfegruppe von Müttern, die sich dann besser fühlen, wenn sie erfahren, dass andere Babys nachts noch öfter aufwachen als das eigene. Das echte Problem dieser Runden besteht jedoch darin, dass jede Mutter als Gastgeberin drankommt. Da ich weder durch meine rudimentäre Backkunst noch durch meine funktionale Tischdekoration glänzen konnte, zog ich es vor, wieder vollzeitig arbeiten zu gehen. (Natürlich gab es eigentlich gewichtigere Gründe.)
Kinderlieder für die Integration
Mit anderen deutschen Sitten und Gebräuchen konnte ich mich eher anfreunden. Vor allem mit dem deutschen Liedergut und den damit verbundenen Festen. Das Jahr fängt mit lokalpatriotischen Songs an wie "Viva Colonia" oder "Kölle am Rhing", dann "summen die Bienchen herum" und "der liebe Mai komme und mache die Bäume wieder grün". Nach den Sommerferien werden die Martinsmelodien mit Inbrunst geübt und den Höhepunkt bildet das ganze Repertoire der Weihnachtslieder. Mein persönliches Highlight ist das Martinsfest - hochphilosophische Liedertexte, kunstvolle Handarbeit, knisterndes Lagerfeuer und eine rührende Geschichte, mit der sich auch Atheisten identifizieren können.
Vieles in Deutschland möchte ich inzwischen nicht mehr missen, am wenigsten meine deutschen Freunde. Mit den Deutschen wird man zwar selten auf Anhieb warm, aber wenn sich eine Freundschaft entwickelt hat, dann kann man sich auch auf sie verlassen. Ich vergleiche die Deutschen deswegen gerne mit einer Thermosflasche - außen kühl, innen warm.
Migranten haben eine Bringschuld
Nun habe ich über die Hälfte meines Lebens in Deutschland verbracht, zähle mehr Deutsche als Chinesen zu meinen Freunden, träume meistens auf Deutsch und schreibe eine Kolumne in deutscher Sprache. Wenn ich mich als gut integriert sehen darf, dann liegt das an meiner Neugier auf das Land und die Menschen, an dem Willen, dazuzugehören und den Kindern eine gute Basis für ihr Leben zu schaffen.
So geht es allen Chinesen, die ich hier kenne, auch wenn sie in der Uni-Mensa erst mal unter sich bleiben wollten. Wer in ein fremdes Land kommt, hat eine Bringschuld. Es bedarf also keines Integrationsgesetzes, um zu integrieren. Wenn die Bundesregierung nun dieses Gesetz als historisch feiert, dann kann das nur bedeuten, dass bisher etwas schiefgelaufen ist und diese Fehlentwicklung damit korrigiert werden soll. Aber dafür gibt es meines Erachtens bessere Instrumente. Das wäre das Thema für eine andere Kolumne.
Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.
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