Mehr Krieg als Frieden in Kolumbien? Fragen und Antworten
23. Januar 2025Wie ist die aktuelle Lage in Kolumbien?
Seit Donnerstag (16.01.2025) gibt es im Nordosten Kolumbiens in der Region Catatumbo nahe der Grenze zu Venezuela Kämpfe zwischen der Guerillagruppe ELN und Splittergruppen der früheren Guerillaorganisation FARC. Dabei wurden bisher mindestens 80 Menschen getötet. Mindestens 20 weitere Tote gab es bei Kämpfen im Amazonasgebiet im Süden des Landes zwischen rivalisierenden Gruppen von FARC-Abtrünnigen. Mittlerweile haben wegen der Gewaltexzesse nach Angaben des kolumbianischen Militärs fast 20.000 Menschen ihr Zuhause verlassen, um in sicherere Gebiete zu fliehen.
"Sie haben Menschen aus ihren Häusern geholt und grausam ermordet", so Armeebefehlshaber Luis Emilio Cardozo in einem Internetvideo. "Es ist unsere Aufgabe als nationale Armee, das Gebiet zu stabilisieren".
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, forderte eine "unverzügliche Einstellung von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung". UN-Sprecher Stépahen Dujarric: "Der Generalsekretär ist zutiefst besorgt über die jüngste Gewalt in der Region Catatubo in Kolumbien."
Worum geht es in den Konflikten?
Die Konflikte spielen sich vornehmlich in der Unruheprovinz Catatumbo nahe der Grenze zu Venezuela im Nordosten Kolumbiens ab. Dort kämpfen linksextreme Gruppen, die untereinander verfeindet sind, um die Vorherrschaft bei Menschenhandel, Waffenhandel, illegalen Bergbau, Drogenanbau und Kokainhandel. Die Region Catatumbo gilt als strategisch wichtig, da von dort aus die Drogen außer Landes gebracht werden können.
Daniel Parra, Forscher bei der Stiftung für Frieden und Versöhnung in Cúcuta im Nordosten Kolumbiens, kann den konkreten Auslöser für die aktuellen Zusammenstöße zwischen der ELN und den FARC-Splitterguppen nicht genau benennen. "Einige nationale Medien haben behauptet, dass laut militärischen Geheimdienstquellen alles nach dem Verlust einer Kokainlieferung und der Ermordung eines Finanzchefs der ELN passiert sei", sagte er der DW: "Aber wir haben keine Gewissheit über den Ausbruch dieser bewaffnete Konfrontation."
Die Basis für den aktuellen Gewaltausbruch ist laut Roberto García Alonso, Professor für Rechts- und Politikwissenschaften an der Universität La Sabana, aber klar: Drogen. "Der Streit um die territoriale Kontrolle und den Drogenhandel, die immer schon zentrale Elemente in diesem Konflikt waren, üben zunehmend Druck auf diese Grenzregion aus, die zudem als Korridor für den Drogenhandel mit Venezuela dient", sagte Garcia Alonso der Deutschen Welle.
Wie lange bestehen die Konflikte in Kolumbien?
Seit den 1960er-Jahren gibt es in Kolumbien bewaffnete Konflikte zwischen linken Guerillagruppen, Drogenbanden, rechten Paramilitärs und der Armee. Dabei sind Hunderttausende Menschen getötet worden. Sieben bis acht Millionen Menschen wurden vertrieben. Etwa 80.000 Kolumbianer gelten als vermisst.
Wer sind die Akteure?
Die "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) waren die mit Abstand größte Guerillagruppe in Kolumbien. 2016 unterzeichnete sie mit der damaligen Regierung ein Friedensabkommen. Die FARC löste sich auf, mehrere Splittergruppen aber lehnten den Friedensschluss ab.
Die sogenannte "Nationale Befreiungsarmee" (ELN) wurde 1964 gegründet. Sie war an dem Friedensabkommen nicht beteiligt und gilt als die aktuell stärkste noch aktive Rebellenorganisation in Kolumbien.
Welche Rolle spielt Präsident Gustavo Petro?
Gustavo Petro ist seit Mitte 2022 der Staatschef Kolumbiens. Bei Amtsantritt hat er versprochen, mit allen bewaffneten Gruppen des Landes Verhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel, einen umfassenden Frieden zu erreichen. Nach der Gewalteskalation im Norden Kolumbiens sprach Petro von Kriegsverbrechen und stoppte die Friedensverhandlungen mit der ELN-Guerilla. Er rief den Notstand aus und erklärte der ELN den Krieg: "ELN hat den Weg des Kriegs gewählt und Krieg werden sie bekommen." Petro war einst selbst Mitglied einer bewaffneten Gruppe gewesen, einer Stadtguerilla mit dem Namen M-19.
Wie geht es weiter?
Ob der Friedensprozess zeitnah weitergeführt werden kann, ist fraglich. "Es ist sehr schwierig. Denn was hier passiert, nagt an der ohnehin schon geringen Popularität von Präsident Petro", sagt Politologe García Alonso "Dazu kommt, dass die Politik des umfassenden Friedens keine Ergebnisse liefert." Daher sei nicht klar, ob die Regierung diesen Weg weiter gehe. Zudem erzeugten die Gewaltausbrüche großes Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber dem Friedensprozess.
Auch Daniel Parra von der Stiftung für Frieden und Versöhnung in Cúcuta ist skeptisch. So habe Petro zunächst angekündigt, die Verhandlungen mit der ELN auszusetzen. Nun sehe man aber mit Erstaunen die Kriegserklärung gegen diese Guerillagruppe. "Das besorgt uns sehr, weil eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Guerillakämpfern und der Polizei nur mehr Opfer fordern würde, mehr Morde, mehr Tötungen. Wir sind gespannt, wie die Polizei in diesem Fall vorgehen wird." Aber Parra bleibt skeptisch: Die ELN kämpfe seit 60 Jahren mit Waffen und Kolumbiens Regierung habe es nicht geschafft, diese Rebellenorganisation mit direkter Gewalt zu bekämpfen.
Mitarbeit: Emilia Rojas Sasse