Mehr Extremwetter durch erwärmte Arktis?
31. Oktober 2018Langanhaltender Sonnenschein oder aber Regen: Das Wetter bleibt vor allem im Sommer auf der nördlichen Erdhalbkugel länger gleich, prognostizieren Klimaforscher. Extreme Hitzewellen mit Dürren, Ernteausfällen, Waldbränden oder anhaltende Regenfälle mit Überschwemmungen können eine Folge sein - in Europa, Nordamerika und Teilen Asiens.
Als einen Grund für die Zunahme langanhaltender Extremwetterlagen sehen Klimaforscher stockende Luftströme. Ausgelöst werden sie durch die übermäßige Erwärmung der Arktis, aber auch durch klassische Luftverschmutzung mit partikelhaltigen Abgasen.
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Warum werden Luftströme durch eine warme Arktis gestört?
In einer Höhe von acht bis 17 Kilometern spielt sich ein großer Teil des Wettergeschehens ab. "Riesige Luftströme umkreisen unsere Erde in der oberen Troposphäre - wir sprechen von planetaren Wellen", erklärt Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). "Jetzt häufen sich die Beweise, dass die Menschheit diese gewaltigen Windströmungen durcheinander bringt. Angeheizt von den menschengemachten Treibhausgasemissionen, werden die natürlichen Zirkulationsmuster wahrscheinlich von der globalen Erwärmung verzerrt."
Normalerweise schwingen die Wellen, die Ketten von Hoch- und Tiefdruckgebieten transportieren, von West nach Ost zwischen dem Äquator und dem Nordpol. "Doch wenn sie durch einen subtilen Resonanzmechanismus festgehalten werden", sagt Schellnhuber, "verlangsamen sie sich, so dass das Wetter in einer bestimmten Region hängen bleibt. Regen kann dann zur Überschwemmung werden, sonnige Tage zu Hitzewellen, zundertrockene Bedingungen zu Waldbränden."
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Als einen Grund für die Störung dieser Windströme sehen Klimaforscher die veränderte Temperaturdifferenz zwischen der Arktis und dem Äquator. Im Zuge der globalen Erwärmung heizt sich die Arktis rascher auf als die übrige nördliche Erdhalbkugel. Dadurch verringert sich der Temperaturunterschied zwischen Nordpol und Äquator und damit die Antriebskraft für die großen Luftströme in der Atmosphäre.
"Es gibt inzwischen viele Studien, die auf eine häufigere oder verstärkte Blockade von Luftströmungen in den mittleren Breiten hinweisen", sagt Simon Wang von der Utah State University in den USA.
"Es gibt starke Belege dafür, dass die Winde, die mit Sommerwettersystemen einhergehen, schwächer werden. Und das kann mit sogenannten verstärkten quasistationären Wellen interagieren," erklärt der Meteorologe. "Diese kombinierten Effekte deuten darauf hin, dass Wettererlagen im Sommer auf der Nordhalbkugel länger andauern - und damit zu Extremwetter werden können."
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Auch Luftverschmutzung bremst Luftstrom
Die veränderten Luftströme trugen nach Einschätzungen der Klimaforscher zu den verheerenden Waldbränden in Kanada 2016, den Überschwemmungen in Europa 2013 und der Hitzewelle in Russland 2010 bei. "Solche Ereignisse treten häufiger auf, als durch die direkte Wirkung der globalen Erwärmung zu erwarten wäre. Also muss es hier einen zusätzlichen Effekt des Klimawandels geben", sagt Klimaforscher Michael Mann von der Pennsylvania State University in den USA.
Zusammen mit anderen Klimaforschern stellte er mit Hilfe von Computersimulationen noch einen weiteren Effekt fest, der die globale Luftströmung bremsen könnte: Die Luftverschmutzung durch Feinstaub, Schwefelpartikel und Ruß, durch sogenannte Aerosole. In der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichten die Forscher dazu jetzt Ihre Ergebnisse.
Demnach blockiert die Luftverschmutzung einen Teil der Sonnenstrahlung. In Regionen mit vielen Kohlekraftwerken kommt es so beispielsweise zu einer leichten lokalen Kühlung. Dadurch wird ebenfalls die Temperaturdifferenz zwischen mittleren Breiten und Nordpol reduziert und somit die Antriebskraft für die großen Luftströme in der Atmosphäre.
"Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine Verringerung der Luftverschmutzung in den Industrieländern einen Teil der natürlichen Temperaturdifferenz zwischen den mittleren Breiten und der Arktis wiederherstellen könnte," sagt Stefan Rahmstorf vom PIK. Das würde "wiederum dazu beitragen, zukünftige Störungen der planetaren Wellen und die damit verbundenen Wetterextreme zu vermindern", sagt der Ko-Autor der Studie.
Die Stilllegung von Kohlekraftwerken könne gleich doppelt zur Vermeidung der Klima-Destabilisierung beitragen: Es gäbe dann weniger Treibhausgasemissionen, die die globale und arktische Erwärmung vorantreiben, und auch weniger Luftverschmutzung, sagt Rahmstorf. "Wenn wir also den Anstieg gefährlicher Wetterextreme begrenzen wollen, scheint ein schneller Ausstieg aus der Kohle eine ziemlich gute Idee zu sein."
Noch viel Forschungsbedarf
Die Studie und Computersimulationen stoßen bei Klimawissenschaftlern auf positive Resonanz. Es wurde eine "Möglichkeit gefunden, mit unkomplizierten Analysen das Auftreten der Extremwetterbedingungen zu diagnostizieren", sagt Johannes Quaas, Professor für theoretische Meteorologie an der Universität Leipzig.
Die Forschungsarbeiten zeigen "erneut die schlimmen Folgen der dramatischen Erwärmung der Arktis für Wetterextreme in unseren Breiten, insbesondere für das Auftreten länger andauernder sommerlicher Hitzewellen", betont Markus Rex, Professor am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven.
"Ein neuer Aspekt der Arbeit ist, dass diese Folgen zunächst abgemildert werden, wenn die anthropogene Aerosol-Produktion zügig vermindert wird, etwa durch Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität."
Zugleich betont Rex den Forschungsbedarf, der durch Temperaturveränderungen in der Arktis entstanden ist. Die Prozesse im arktischen Klimasystem "müssen wir noch viel besser verstehen". Dies "ist Voraussetzung für eine verlässlichere Einschätzung, welche Konsequenzen die arktische Erwärmung für Wetterextreme in unseren Breiten haben wird."