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Die EU zieht Bilanz

29. Dezember 2009

Ob das Ringen um die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages, der Streit um Kommissionspräsidenten Barroso oder die Debatte um die Beitrittsperspektive der Balkan-Staaten - für die EU war 2009 ein ereignisreiches Jahr.

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EU-Kommissionspräsident redet auf der Pressekonferenz, auf der die neue Kommission vorgestellt wurde am 27.11.2009 in Brüssel (Foto: AP)
2009 wiedergewählt: Neuer alter EU-Kommissionspräsident BarrosoBild: AP

Wenn es für die Europäische Union 2009 ein überragendes Einzelthema gab, dann war es der lange, schwierige Weg zum Lissabon-Vertrag. Mehrmals stand das gesamte Reformwerk auf der Kippe. Zuletzt hing alles von einer einzigen Person ab: vom tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus, einem erklärten Gegner des Vertrages. Eindringlich hielt ihm EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso vor Augen, was auf dem Spiel stehe: "Wir sind nun in einer Situation, wo ein Mitgliedsland gegenüber allen anderen und gegenüber den europäischen Institutionen in der Verantwortung steht. Und das ist wirklich eine sehr schwere Verantwortung." Am Ende unterschrieb Klaus und der Vertrag konnte sogar schon zum 01.12.2009 in Kraft treten. Aber auch in anderer Hinsicht war es für die EU ein Jahr innerer Auseinandersetzungen.

Nochmal Barroso?

Der Spitzenkandidat für die Europawahl, Martin Schulz, spricht am Freitag (08.05.2009) im Palladium in Köln zu den Genossen (Foto: dpa)
Lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen: Martin SchulzBild: picture-alliance/ dpa

Die Staats- und Regierungschefs hatten sich im Juni auf eine zweite Amtszeit für Barroso geeinigt. Der neue schwedische Ratspräsident Fredrik Reinfeldt drängte das Europaparlament zuzustimmen. Doch nicht zuletzt die Sozialisten wollten nicht einfach eine Entscheidung des Rates abnicken, wie es Fraktionschef Martin Schulz deutlich machte: "Ich hatte Ihnen vorgeschlagen, Herr Ministerpräsident Reinfeldt, zunächst einmal Ihren Kandidaten ins Parlament zu schicken, damit er hier sagen kann, was er tun will. Dann sehen wir weiter, ob er auf der Grundlage seiner Angebote in diesem Haus eine Mehrheit findet. Ich fürchte, dieser Kandidat hat, wenn er sich nicht sehr anstrengt, keine Mehrheit in diesem Haus."

Für seine offenen Worte erntete Schulz von seinen Kollegen Applaus. Das Parlament stimmte schließlich doch zu, aber den Abgeordneten war es vor allem darum gegangen, sich gegenüber dem Rat der Staats- und Regierungschefs zu behaupten.

Große europäische Haushaltslöcher

Nach wie vor bestimmte auch die Finanz- und Wirtschaftskrise das Jahr 2009 in Brüssel. In dem Maße, wie sich die Lage allmählich stabilisierte, wollten sich die Regierungen auf den Abbau der zum Teil riesigen Haushaltsdefizite konzentrieren. Doch Zentralbankchef Jean-Claude Trichet fand, auch manche großen Länder gingen zu lässig mit dem Stabilitätspakt um. "Was Deutschland und Frankreich betrifft, so müssen sie genauso behandelt werden, nach den gleichen Regeln, wie alle anderen auch. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist unser Herr und Gebieter." Paris und Berlin haben aber nach den Ermahnungen zugesichert, sich an die Stabilitätskriterien zu halten.

Wie groß soll die EU werden?

Solange die Lissabon-Frage ungeklärt war, so die Mehrheitsmeinung in der EU, war an eine neue Erweiterungsrunde nicht zu denken, mit Ausnahme vielleicht von Kroatien. Doch der schwedische Außenminister Carl Bildt trat bereits im Sommer, als die Zukunft des Lissabon-Vertrages noch offen war, für eine langfristige Aufnahme aller Länder des westlichen Balkan und der Türkei ein. "Meine Vision ist ein Europa, das ganz Europa umfasst. Meine Vision ist nicht ein Europa, das bestimmte Länder, Glaubensrichtungen oder Volksgruppen ausschließt. Das ist eine sehr ehrgeizige Vision, und ich verstehe alle Schwierigkeiten, die damit verbunden sind", so Bildt. Man könne nur damit umgehen, indem man eine offene Debatte führe. Vielleicht habe man davon bisher zu wenig gehabt.

Fotomontage mit serbischem Pass und der EU-Flagge (Foto: N. Jakovljevic/ DW)
Ohne Visum in die EU: Reiseerleichterung für SerbenBild: DW

Heftigen Widerstand gibt es vor allem gegen einen Beitritt der Türkei. Weniger strittig ist die EU-Perspektive des westlichen Balkan. Sobald die innere Reform der EU gesichert war, beschlossen die EU-Innenminister, dass Menschen aus Serbien, Montenegro und der früheren jugoslawischen Republik Mazedonien vom 19.12.2009 an visafrei in den Schengen-Raum einreisen könnten. In wenigen Monaten könnte es auch für Albanien und Bosnien-Herzegowina soweit sein. Der serbische Präsident Boris Tadic sah in dem Beschluss mehr als eine Reiseerleichterung. "Dies ist ein sehr wichtiger Tag für serbische Bürger. Und ich hoffe, dass die Menschen in Albanien und Bosnien-Herzegowina so schnell wie möglich ebenfalls Visafreiheit bekommen werden. Dies ist der erste Schritt einer vollen Integration der Länder unserer Region in die EU."

Neue Strukturen, neue Gesichter in der EU

Herman Van Rompuy (links) und Catherine Ashton (rechts) (Foto: AP Graphics/DW)
Neue EU-Repräsentanten: Herman Van Rompuy (links) und Catherine Ashton (rechts)Bild: AP Graphics/DW

Der Lissabon-Vertrag schuf auch zwei neue, hochkarätige Posten: einen ständigen Präsidenten des Europäischen Rates und einen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik. Nach wochenlangem Ringen ernannten die Staats- und Regierungschefs den Belgier Herman Van Rompuy zum Ratspräsidenten und die Britin Catherine Ashton zur außenpolitischen Vertreterin. Das Urteil, eher Moderator als Führungsfigur zu sein, schien Van Rompuy noch am Tag seiner Nominierung zu bestätigen: "Meine persönliche Meinung ist der Meinung des (Europäischen) Rates vollkommen untergeordnet. Was ich denke, ist belanglos." Er wolle immer einen Konsens suchen.

Andererseits bewies Van Rompuy Schlagfertigkeit. Dem früheren amerikanischen Außenminister Henry Kissinger wird das Zitat zugeschrieben, er wisse nicht, wen er anrufen solle, wenn er sich mit Europa austauschen wolle. Wer also sei jetzt der Ansprechpartner für Washington, wollte ein Journalist wissen. Van Rompuy reagierte prompt: "Wir warten bereits aufgeregt auf den ersten Anruf."

EU-Ziel: Klimaschutz vorantreiben

Je mehr das Jahr vorrückte und sich die Kopenhagener Klimakonferenz näherte, desto mehr schob sich auch der Klimaschutz in den Vordergrund. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte im November, den Klimaschutz genauso ernst zu nehmen wie die Wirtschaftskrise: "Wir haben das Jahr in einer schwierigen internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise begonnen. Wir haben uns im G20-Prozess zusammengerauft, international zu kooperieren. Aber das alles wäre wenig wert im Lichte vieler Menschen auf der Welt, wenn wir bei der Klimakonferenz versagen würden."

Auch wenn Kopenhagen unter den Hoffnungen und Erwartungen vieler Menschen geblieben ist, die EU sieht sich selbst weiterhin als Vorreiter und die Kopenhagener Konferenz als nur einen Schritt, dem weitere folgen müssen.

Beziehungen zur NATO

NATO Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen spricht auf einer Pressekonferenz in Brüssel(Foto: AP)
Der Neue bei der NATO 2009: Anders Fogh RasmussenBild: AP

Bei der NATO hat unterdessen im Sommer 2009 ein neuer Generalsekretär sein Amt angetreten, der Däne Anders Fogh Rasmussen. Doch vor allem durch den Wechsel im Weißen Haus Anfang des Jahres war beim Bündnis einiges in Bewegung gekommen. Als positiv bewertete es Rasmussen zum Beispiel, als US-Präsident Barack Obama die von seinem Vorgänger George Bush geplante amerikanische Raketenabwehr mit Stützpunkten in Polen und Tschechien in dieser Form auf Eis legte.

Dieser Schritt hat aber nicht nur den Zusammenhalt innerhalb der NATO verbessert, sondern auch das Verhältnis zu Russland. Und das bringt dem Bündnis handfeste Vorteile, zum Beispiel für die Afghanistan-Mission, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow im Oktober sagte. "Wir tun alles, um die internationalen Truppen in Afghanistan zu unterstützen. Denn die Probleme des internationalen Terrorismus, des organisierten Verbrechens und des Drogenhandels betreffen auch Russland." Doch russische Rückendeckung ändert nichts daran: Afghanistan bleibt das große Problem für die NATO. Der Streit um Korruption in der afghanischen Regierung, um Truppenstärke und Abzugsszenarien und um einzelne Militäraktionen wie den von einem deutschen Offizier befohlenen Angriff auf die Tanklastzüge – das alles dürfte die NATO noch über Jahre beschäftigen.

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Nicole Scherschun