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Massenhaft sterben die Fische in der Oder

Stuart Braun
15. August 2022

Etwa zehn Tonnen Fische sollen in der Oder verendet sein - es ist eine ökologische Katastrophe. Giftiges Quecksilber könnte der Grund sein. Umweltschützer beklagen schlechte Kommunikation und falsches Flussmanagement.

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Ein verendeter Döbel und andere tote Fische schwimmen in der Oder bei Brieskow-Finkenheerd in Brandenburg
Giftige Substanzen könnten das Massensterben ausgelöst haben - aber das Problem könnte noch tiefer liegenBild: Frank Hammerschmidt/dpa/picture alliance

Experten suchen in Frankfurt (Oder) weiterhin nach der Todesursache von Tausenden Fischen in dem polnisch-deutschen Grenzfluss Oder. Vor zwei Wochen hatten polnische Angler in der Nähe der Stadt Olawa von tonnenweise toten Fischen 300 Kilometer stromaufwärts berichtet.

Zum Zeitpunkt der Meldungen entdeckten polnische Wasserbehörden nahe der polnischen Stadt Breslau an zwei Orten an der Oder einen giftigen Stoff, bei dem es sich wahrscheinlich um das Lösungsmittel Mesitylen handelt, das für seine fischtoxische Wirkung bekannt ist. Spätere Tests zeigten jedoch keine Spuren der Substanz.

Auf deutscher Seite wurde die Umweltkatastrophe erste vergangene Woche durch Angler bekannt, die Stadtverwaltung Frankfurt warnte am Mittwoch die Bevölkerung vor dem Kontakt mit dem Oderwasser und dem Verzehr von Fischen aus dem Fluss. Am Donnerstag schaltete sich dann das Landeskriminalamt ein und nahm Wasserproben zur Ermittlung der Ursachen.

Zwischenzeitig wurde  Quecksilber als potenzielle Ursache für das massenhafte Fischsterben vermutet. Die polnische Umweltministerin Anna Moskwa sagte jedoch am Sonntag, dass "abgeschlossene Fischtests auf Quecksilber und Schwermetalle" negativ ausgefallen seien. Labortests zeigten einen hohen Salzgehalt im Wasser. Die örtlichen Behörden warnten Bewohner und Tierbesitzer, das Flusswasser nicht zu berühren.

Karte Grenzfluss Oder

Noch immer kein Beweis für Gift

Während deutsche und polnische Behörden glauben, dass Kontamination die Ursache des Absterbens ist, hieß es am Sonntag, dass Wassertests keinen endgültigen Beweis für eine hohe Toxizität im Fluss lieferten. "Bis heute hat keiner dieser Tests das Vorhandensein giftiger Substanzen bestätigt", sagte Moskwa nach einem Treffen mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke in Szczecin, einer Stadt im Nordwesten Polens.

Auf dem Treffen wurde auch eine gemeinsame Taskforce angekündigt, die sich mit der Ursache des Massensterbens der Fische befasst. Außerdem würden Tests auf Pestizide und rund 300 andere Substanzen durchgeführt, sagte der polnische Umweltminister. "Noch schließen wir eine Variante der Giftstoffe nicht aus", fügte sie hinzu. "Wir prüfen Unternehmen, die entlang des Flusses geschäftliche und industrielle Aktivitäten betreiben."

Unterdessen wurden an der Ostseeküste noch keine Fischkadaver gesichtet, teilten Beamte mit. Im Mündungsbereich der Oder wurden Sperren errichtet, um zu verhindern, dass tote Fische in die Ostsee gelangen.

Tote Fische verschiedener Größe und Art liegen am Ufer der Oder bei Brieskow-Finkenheerd in Brandenburg
Der extrem niedrige Wasserstand der Oder könnte im Zusammenspiel mit einer möglichen Verseuchung das Fischsterben noch beschleunigt habenBild: Frank Hammerschmidt/dpa/picture alliance

Hitze und Trockenheit können Fischsterben auslösen

Die Fische im Fluss hätten aktuell mit einem geringen Sauerstoffgehalt zu kämpfen. Dafür verantwortlich seien die historisch niedrigen Wasserstände - ein Trend seit 2018 - und hohe Wassertemperaturen von etwa 25 Grad Celsius, sagt Christian Wolter, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Fischbiologie, Fischerei und Aquakultur am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. "Wenn Fische gestresst sind, verschnellert sich ihre Atmung" - und das bedeute, dass sie mehr Sauerstoff benötigten.

Diese Situation habe sich durch das dauerhaftes Einleiten von Abwasser in die Oder noch verschärft. "Das ist zwar legal und würde normalerweise auch keine große Rolle spielen", sagt Wolter. "Aber bei niedrigem Wasserstand kommt es zu einer höheren Konzentration von [sauerstoffzehrendem Anm.d.Red.] Salz und organischem Material."

Hinzu kommt, dass auf der polnischen Seite derzeit Buhnen gebaut werden, die Erosionen des Flussbettes verhindern sollen: starre Strukturen aus Felsen, Erde und Kies, die von den Ufern aus in das Flussbett ragen. Dadurch hätten sich Sedimente im Fluss angereichert, was wiederum den Sauerstoffgehalt im ohnehin schon flachen Wasser verringere, erklärt der Wissenschaftler.

Dies steht im Widerspruch zu Berichten der Wasserbehörden, denen zufolge in der Oder höhere Sauerstoffwerte als üblich festgestellt wurden - was mit der Konzentration an Mesitylen zusammenhängen könnte. Doch es gebe keine Messwerte einer hohen toxischen Belastung mit Mesitylen, die diese Behauptung stützen würden, so Wolter. Zudem schwanke der natürliche Sauerstoffgehalt des Wassers im Laufe des Tages.

Der Fischereiforscher hält es auch deswegen für unwahrscheinlich, dass die Mesitylen-Kontamination die flussabwärts von Oława gefundenen Fische getötet hat, weil sich das giftige Lösungsmittel bereits verflüchtigt haben müsste. "Wäre es durch einen Unfall Ende Juli freigesetzt worden, hätte mit Mesitylen belastetes Wasser Frankfurt viel früher passieren müssen."

Ein toter Fisch liegt am Ufer der Oder
Polnische Fischer fanden die ersten toten Tiere bereits im MärzBild: Soeren Stache/dpa/picture alliance

Zudem hätten ihm Angler berichtet, dass sie schon im März weiter flussaufwärts von Oława Fischsterben beobachtet hätten, sagt Wolter. Dies deute darauf hin, dass es sich um ein tiefergehendes und weiter verbreitetes Problem handele, und nicht nur um ein einzelnes Kontaminationsereignis Ende Juli.

So seien die Überschwemmungsgebiete bei Oława in den letzten Jahrzehnten übermäßig entwässert worden, was zu einem viel trockeneren und gestressten Flusssystem geführt habe, führt Wolter aus.

Polens Grüne beklagen Untätigkeit der Behörden

Trotz der Meldungen über die Umweltkatastrophe an der Oder hätten die polnischen Regierungsbehörden die Anwohner nicht einmal vor Kontakt mit dem Flusswasser gewarnt, empört sich die Europaabgeordnete Małgorzata Tracz von den polnischen Grünen.

Eine Frau, drei Mädchen und ein Junge blicken auf tote Fische in der Oder
Vom Wasser der Oder sollte man besser Abstand halten, warnen (nun) die BehördenBild: Winfried Mausolf/IMAGO

Allein in der Nähe von Oława seien etwa acht Tonnen Fisch gefunden wurden, so Tracz im DW-Interview. "Das Problem ist riesig. Es ist nichts, was man ignorieren kann oder was sich von alleine wieder einrenkt." Die örtlichen Fischer seien "entsetzt über die Situation". Weil die polnischen Behörden nicht gehandelt hätten, seien es die polnischen Angler gewesen, die die Öffentlichkeit über die Umweltkatastrophe informiert hätten.

Die Europaabgeordnete hat per E-Mail die lokalen und föderalen Wasser- und Umweltbehörden und -ministerien aufgefordert, die Quelle der Verschmutzung zu finden und die Schuldigen zur bestrafen. Bislang habe sie keine Antwort erhalten, so Tracz, trotz der Umweltkatastrophe. Es gäbe vielen Theorien zu möglichen Ursachen, das Fischsterben in einer der ursprünglichsten Wasserstraßen Europas müsse nun gründlich untersucht werden, fordert die Grünen-Abgeordnete.

Deutsche Verbände fordern besseren Wasserschutz für die Oder 

Deutsche Umweltverbände machen unzureichende Wasserschutzmaßnahmen für das Fischsterben in der Oder mitverantwortlich, ebenso wie eine mangelnde grenzüberschreitende Zusammenarbeit an dem Grenzfluss, der die Tschechische Republik, Polen und Deutschland durchquert.

Dabei seien alle drei Staaten bereits an ein gemeinsames Schutzabkommen gebunden: die Internationale Kommission zum Schutz der Oder, kritisiert neben Małgorzata Tracz auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Unzählige tote Fische treiben im flachen Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses
Unzählige tote Fische treiben im flachen Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses Bild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

"Diese ökologische Katastrophe hätte nicht dieses Ausmaß angenommen, wenn die deutschen und polnischen Behörden intensiver zusammengearbeitet hätten", sagt BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock. Bereits informierte Ämter hätten früher gezielte Warnungen aussprechen müssen.

"Seit Ende Juli treiben tote Fische in der Oder, mittlerweile über mehrere hundert Kilometer", so von Broock. Selbst wenn das Fischsterben auf eine giftige Substanz zurückgeführt werden könnte, könne ein "vielfältiges und gesundes Ökosystem" giftigen Stoffen im Fluss besser widerstehen. "Das Fischsterben ist daher auch ein Symptom für eine jahrzehntelange Fehlplanung in der Wasserwirtschaft und eine chronische Unterfinanzierung des Gewässerschutzes."

Der Artikel wurde am 12.8. erstmalig veröffentlicht und am 15.8. aktualisiert. 

Redaktion: Jennifer Collins

Übersetzung aus dem Englischen: Jeannette Cwienk und Gero Rueter

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.