Making of dOCUMENTA (13)
6. Februar 2012Christine Litz, Projektmanagerin der 'dOCUMENTA (13)', kniet im Nieselregen in der Kasseler Parkaue neben einem Apfelbaum. "Der muss noch wachsen", sagt die 44-Jährige und lächelt. Zu erkennen ist nicht mehr als ein zaghaftes Stämmchen, gestützt von einem dicken Stock. Vor wenigen Wochen erst wurde er von Carolyn Christov-Bakargiev, der künstlerischen Leiterin der diesjährigen documenta, gepflanzt.
Viel ist noch nicht zu sehen. Die nordhessische Stadt Kassel mit rund 200.000 Einwohnern ist von einer Weltkunststadt noch meilenweit entfernt. In der Innenstadt herrscht die Tristesse leergefegter Fußgängerzonen im Winter. In der Parkaue führen ein paar Menschen ihre Hunde Gassi. Ab 9. Juni soll hier einer der Hauptausstellungsorte, eine Art Freiluftmuseum der documenta, entstehen. Vielleicht fühlt sich so die Ruhe vor dem Sturm an.
Globales Schaulaufen
Irritieren möchte die Amerikanerin Carolyn Christov-Bakargiev, die künstlerische Leiterin der 13. Ausgabe der weltgrößten Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Dafür hat sie 50 Länder und alle Kontinente bereist und 158 Künstler von überallher gebeten, ein Werk beizusteuern. Die meisten werden ihre Werke direkt vor Ort in Kassel realisieren. Zurzeit ist Christov-Bakargiev wieder in der Welt unterwegs, um Künstler zu treffen und für ihre Ausstellung zu werben. Für ihre Mitarbeiter beginnt derweil die "heiße Phase" - gerade auch für Projektmanagerin Christine Litz:
Künstlerliste streng geheim
Welche Künstler tatsächlich an der documenta teilnehmen, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Von manchen Teilnehmern werde nur in einem verschlüsselten Code geredet, in den Ordnern in ihrem Büro stünden nur Kürzel, keine Namen, erzählt Litz. Doch so viel verrät sie: Christov-Bakargiev habe einen sehr weiten, offenen Kunstbegriff.
Penone und Durham – mehr als diese beiden Künstlernamen sind noch nicht bekannt. Der US-Künstler Jimmie Durham hat auch einen Apfelbaum in der Kasseler Karlsaue gepflanzt, zusammen mit der künstlerischen Leiterin. Er pflanzte einen Arkansas Black Apple Tree – der hat Jimmie Durham an seine Kindheit erinnert. Der zweite Apfelbaum von Christov-Bakargiev ist von der Sorte "Korbinian". Benannt ist sie nach dem katholischen Pfarrer Korbinian Aigner, der während des Nationalsozialismus ins KZ Dachau deportiert wurde. Dort züchtete er vier Apfelsorten. Die Sorte, die er "KZ3" taufte, wurde später in "Korbinian" umbenannt.
Schon Joseph Beuys, Heros der deutschen Nachkriegsmoderne, hat 1982 auf der documenta Bäume gepflanzt: 7000 Eichen. Wer sich auf den Apfelbaum als eine Art Sinnbild des Lebens und der Kunst zugleich einlässt, der scheint gut gerüstet zu sein für die 'dOCUMENTA (13)'.
Denn der Korbinian-Apfelbaum und der Arkansas Black Apple Tree sind nicht die einzigen grünen documenta-Kunstwerke: Der Italiener Guiseppe Penone hat den Bronze-Abguss eines abgestorbenen Haselnuss-Baums errichtet, in dessen Krone ein drei Tonnen schwerer Findling ruht.
Gärtner und Automechaniker als Touristenführer
Die Verbindung unterschiedlicher Wissensbereiche, von altem und zukunftsorientiertem Wissen, aber auch von Theorie und Praxis spielten bei der diesjährigen documenta eine zentrale Rolle, erklärt Julia Moritz, 30, Leiterin der documenta-Bildungsabteilung. Was das konkret bedeuten könnte, lässt die Auswahl für das Führungsprogramm erkennen. "Detours" (Umwege) heißt es. 159 Kunstexperten, Studenten, Schüler, aber auch Mathematikprofessoren, Psychologen, Übersetzer, Gärtner und sogar ein Automechaniker führen die erwarteten 700.000 Besucher durch die Ausstellung und sollen auf diesen "Spaziergängen" mit ihnen in Dialog treten. Das klingt bodenständig und freigeistig zugleich.
Zwei Voraussetzungen waren Julia Moritz bei der Auswahl der freiwilligen Begleiter wichtig. Erstens, die Verankerung in Kassel. Zweitens, dass nicht nur Kunstexperten, sondern auch Menschen mit einem fremden Blick auf die Kunst mitmachen. Das Interesse war überwältigend. 700 wollten dabei sein. Darunter auch eine 86-jährige Rentnerin, die noch lebhafte Erinnerungen an die erste documenta 1955 unter der Leitung von Arnold Bode hat. Auch sie wird im Sommer Kunstbegeisterte durch Kassel führen. Ohne Leidenschaft ginge nichts, sagt Moritz. "Geistige Flexibilität" und "Begeisterung" seien wichtige Kriterien gewesen. Die "Companions" (Begleiter) werden rhetorisch geschult. Sie dürfen und sollen auch daran teilhaben, wie Kunstwerke entstehen. Im Büro von Julia Moritz, in einem Nebengebäude des Museum Fridericianum, hängt eine riesige Tafel an der Wand. Ein Fahrplan für die 100 Tage dauernde Kunstschau. Ein Blick auf die eng beschriebenen Listen voller Namen ist ausdrücklich verboten.
Vor dem Medienansturm
Dass die Informationen ab dem 9. Juni möglichst viele Menschen erreichen, dafür sorgen Terry Harding, 50, aus Australien und seine Kollegin Henriette Gallus, 28. So ein gigantisches Medienereignis ist auch für die beiden documenta-Pressesprecher eine Premiere. Nervosität lassen sie sich nicht anmerken. 15.000 Journalisten werden erwartet. Bei aller Aufregung und einer viel zu kurzen Vorbereitungszeit fühlten sie sich geehrt, Kunstgeschichte mitschreiben zu dürfen, erklären sie. Welchen Platz der Korbinian-Apfelbaum darin einnimmt, zeigt sich dann nach der Eröffnung der documenta.
Autorinnen: Sabine Oelze / Laura Döing
Redaktion: Sarah Judith Hofmann