Magdeburg: Fünf Tote und 200 Verletzte
Veröffentlicht 21. Dezember 2024Zuletzt aktualisiert 21. Dezember 2024Nach der Todesfahrt über den Magdeburger Weihnachtsmarkt hat sich die Zahl der Opfer auf fünf erhöht, wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) an diesem Samstag mitteilte. Nach Angaben des Magdeburger Ordnungsdezernenten, Ronni Krug, handelt es sich um ein neunjähriges Kind und vier Erwachsene. Wie die Polizei in einer Pressekonferenz mitteilte, sind 200 Menschen verletzt worden. Es gibt 41 Schwerstverletzte. Das Ganze sei "eine Dimension, die sich keiner von uns vorstellen konnte", sagte Ministerpräsident Haseloff.
Der mutmaßliche Täter soll über den Flucht- und Rettungsweg auf den zentralen Platz gelangt sein. Die Fahrt habe rund drei Minuten bis zur Festnahme gedauert, sagte Tom-Oliver Langhans, der Direktor der Polizeiinspektion Magdeburg.
Kanzler Scholz warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft
Ministerpräsident Haseloff ging mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD), die in die Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt gekommen waren, zum Tatort. Der Kanzler sprach von einer "furchtbaren, wahnsinnigen" Tat. Es gebe keinen friedlicheren und fröhlicheren Ort als einen Weihnachtsmarkt. Scholz warnte auch vor einer Spaltung der Gesellschaft durch die Gewalttat. Wichtig sei, "dass wir als Land zusammenbleiben, dass wir zusammenhalten, dass wir uns unterhaken, dass nicht Hass unser Miteinander bestimmt".
Faeser geht davon aus, dass der mutmaßliche Täter islamfeindlich eingestellt ist. "Wir können nur gesichert sagen, dass der Täter offensichtlich islamophob war", sagte die SPD-Politikerin in Magdeburg. Alles Weitere sei Gegenstand der Ermittlungen. Faeser hatte zuletzt wiederholt zu Wachsamkeit bei Weihnachtsmarktbesuchen aufgerufen. Konkrete Gefährdungshinweise gebe es aktuell nicht, hatte sie noch Ende November erklärt.
Mögliches Motiv: Unzufriedenheit mit Umgang mit Flüchtlingen
Einen Tag nach der Tat sind weiterhin viele Fragen offen - allen voran nach den Motiven des festgenommenen Tatverdächtigen für den mutmaßlichen Anschlag. Die Staatsanwaltschaft hat erste Hinweise auf ein mögliches Motiv gegeben. "Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudiarabischen Flüchtlingen" könne der Auslöser der Tat gewesen sein, sagte der Leiters der Staatsanwaltschaft Magdeburg, Horst Walter Nopens. Die Vernehmung des Beschuldigten laufe noch.
Die Ermittlungsbehörden gehen laut Polizei von einem Einzeltäter aus. Der 50-Jährige aus Saudi-Arabien war am Tatort von Einsatzkräften gestellt und festgenommen worden. Der Verdächtige sei Arzt, lebe und arbeite in Bernburg, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff. Nach bisherigen Erkenntnissen sei er den Behörden nicht als Islamist bekannt.
Der Verdächtige raste laut Haseloff mit einem Leihwagen in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Nach Angaben der "Bild"-Zeitung unter Berufung auf die Polizei erstreckte sich die Fahrt auf dem Gelände über 400 Meter.
Haseloff sagte am Freitagabend: "Das ist eine Katastrophe für die Stadt Magdeburg und für das Land und auch generell für Deutschland." An diesem Samstagabend soll es eine Gedenkfeier für die Opfer im Magdeburger Dom geben. Man wolle Betroffenen, Angehörigen und allen anderen Bürgern eine Möglichkeit zum Trauern geben, sagte Oberbürgermeisterin Simone Borris am Freitag unter Tränen vor Journalisten. "Wir werden eine lange Zeit zum Trauern brauchen", sagte sie sichtlich fassungslos. "Wir werden das alles umfassend aufarbeiten."
Mutmaßlicher Täter behauptete, er werde ausspioniert
Der mutmaßliche Täter von Magdeburg, Talib A., war in Kontakt mit der DW. Der 50-jährige Arzt aus Saudi-Arabien hatte sich im März 2021 über den damaligen Kurznachrichtendienst Twitter gemeldet. Sein Vorwurf: Saudi-Arabien und Saudis in Deutschland spionierten ihn aus. Er warf den deutschen Behörden vor, ihn nicht ernst zu nehmen und nicht zu handeln: In einer Nachricht an die DW vom Oktober 2023 schrieb er: "Sie haben sich geweigert, auch nur eine Untersuchung einzuleiten! Mit der Begründung, es gebe kein öffentliches Interesse. (…) Man lässt einen saudischen Geflüchteten Einschüchterung, Überwachung und Verfolgung ausgesetzt, ohne auch nur eine einstündige Untersuchung durchzuführen, um wenigstens einen ersten Eindruck zu gewinnen." Viele seiner Behauptungen konnten aber durch die DW nicht unabhängig überprüft werden. Im November und Dezember 2024 schließlich bot er an, in der DW aufzutreten und auch öffentlich Beweise vorzulegen. Danach brach der Kontakt ab.
Betroffenheit und Entsetzen über Magdeburg hinaus
Bundeskanzler Scholz schrieb nach der Tat am Freitagabend auf der Plattform X: "Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Wir stehen an ihrer Seite und an der Seite der Magdeburgerinnen und Magdeburger. Mein Dank gilt den engagierten Rettungskräften in diesen bangen Stunden."
Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zeigte sich entsetzt und sprach von einem feigen Anschlag. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dankte den Rettungskräften und schrieb: "Die Vorfreude auf ein friedliches Weihnachtsfest wurde durch die Meldungen aus Magdeburg jäh unterbrochen."
NATO-Generalsekretär Mark Rutte kontaktierte nach eigenen Worten Bundeskanzler Scholz und drückte ihm sein Mitgefühl aus. "Meine Gedanken sind bei den Opfern und deren Familien", schrieb Rutte auf der Plattform X. "Die NATO steht an der Seite Deutschlands." Die Vereinten Nationen bekundeten ebenfalls ihr Beileid. Man sei schockiert, sagte Stéphane Dujarric, Sprecher des UN-Generalsekretärs.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf der Plattform X: "Meine Gedanken sind heute bei den Opfern der brutalen und feigen Tat in Magdeburg."
Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte auf X, Frankreich teile den Schmerz des deutschen Volks.
Auch aus Saudi-Arabien gab es eine Stellungnahme. "Das Königreich bringt seine Solidarität mit dem deutschen Volk und den Familien der Opfer zum Ausdruck", schrieb das Außenministerium in einer Mitteilung auf X. Der Verdächtige, der aus Saudi-Arabien stammt, wurde nicht erwähnt.
Erinnerungen an 2016 werden wach
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, war in Berlin ein islamistischer Terrorist mit einem entführten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Dabei wurden 12 Menschen getötet, das 13. Opfer starb 2021 an den Folgen. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde.
Auch in anderen Städten mit Weihnachtsmärkten ist die Polizei nun besonders achtsam. In Stuttgart sagte ein Polizeisprecher, die Polizeikräfte seien vor Ort sensibilisiert worden. In Berlin sagte ein Sprecher, man habe die Beamten aufgerufen, ein erhöhtes Augenmerk auf Weihnachtsmärkte zu richten.
se/haz/pg/MM (dpa, afp, rtr, dw)