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Magdeburg nach dem Anschlag - eine Stadt trauert

Volker Witting | Marc Erath
21. Dezember 2024

Schock, Fassungslosigkeit und Trauer. Viele Menschen in Magdeburg sind nach dem Anschlag in ihrer Stadt bestürzt und verunsichert. Auch die Politiker, die den Tatort besuchen, sind erschüttert.

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Deutschland Magdeburg 2024, Blumenmeer und Kerzen vor der Johanniskirche
Nach der Autoattacke: Trauer und Gedenken vor der JohanniskircheBild: Ronny Hartmann/AFP/Getty Images

In diesen schweren Stunden, nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt mit mehreren Toten und vielen Verletzten, wird im eher ostdeutsch-atheistischen Magdeburg eine christliche Kirche zum Versammlungsort. Die Johanniskirche ist die älteste Pfarrkirche der Stadt, Martin Luther hat hier vor rund 500 Jahren gepredigt. Mittlerweile ist sie entwidmet, hier finden keine Gottesdienste mehr statt. Doch nun kommen vor dem ehemaligen Gotteshaus die zusammen, die gedenken, die verstehen, die sich sortieren wollen. Viele brauchen schlicht Trost. Ein Meer von Blumen und Kerzen haben die Menschen dort abgelegt. 

Der Terror wird "dicht und fühlbar"

"Ich bin fassungslos. Der Terror war irgendwie schon immer da, abstrakt. Aber jetzt ist er ganz dicht und fühlbar. Einfach nur Trauer und Ohnmacht empfinde ich", sagt Jutta der DW. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen. Viele ihrer Freunde, erzählt sie, seien Ärzte. "Viele von denen haben gestern geholfen, wo sie nur konnten."

Magdeburg nach Angriff auf Weihnachtsmarkt, eine Frau in roter Jacke vor der Johanniskriche
"Einfach fassungslos": Jutta vor der JohanniskircheBild: Marc Erath/DW

Die Kirche liegt nur wenige Meter entfernt vom Weihnachtsmarkt, der am Freitagabend zu einem Ort des Grauens wurde. Ein Mann raste mit einem Mietwagen in die friedlich versammelten Menschen im Zentrum der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt. Innerhalb von Sekunden änderte sich für hunderte Menschen alles. Sie erlebten Terror und Hass, Menschen starben oder wurden schwer verletzt. Auch für Helfer, Freunde und Bekannte ändert dieser Tag alles. Und für Magdeburg.

Wie sicher sind Deutschlands Weihnachtsmärkte?

Am Morgen danach ist der Weihnachtsmarkt der 240.000-Einwohner-Stadt gesperrt. Und er wird es bleiben. Vereinzelt sind noch Streifenwagen unterwegs. Doch das Einkaufzentrum gegenüber, das am Freitagabend noch Zufluchtsort für viele Hilfesuchende war, ist schon wieder geöffnet. Der Verkehr auf der Hauptstraße vor dem Markt rollt.

Gleichzeitig ist es in der Stadt seltsam ruhig - Schockstarre. Im Stadtzentrum sind Reporter und Kamerateams aus vielen Ländern unterwegs. Sie wollen auch darüber berichten, was der deutsche Bundeskanzler an diesem Tag sagen wird.

Am späten Vormittag läuft Olaf Scholz durch die Gasse, die der mutmaßliche Täter mit seinem Auto wenige Stunden zuvor zum Tatort gemacht hatte. Begleitet wird er von Reiner Haseloff (CDU), dem Ministerpräsidenten des Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser ist gekommen, und der Parteichef und Kanzlerkandidat der Unionsparteien, Friedrich Merz. Alle in schwarz und mit ernsten Gesichtern. Vor den Türen der Johanniskirche legen sie weiße Rosen nieder, verharren für einen Moment in Stille.

Dann gehen sie weiter, treffen Hilfs- und Unterstützungskräfte, Betroffene - unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dann geht es weiter zum abgesperrten Markt. Hier wollen sie den Menschen Mut machen.

Nicht alle finden es gut, dass die Politikerinnen und Politiker gekommen sind, halten das für ein Manöver im Wahlkampf. Ein paar Krakeeler vor den Absperrungen machen das lauthals klar. Zunächst spricht Ministerpräsident Reiner Haseloff. Er ist sichtlich betroffen. Heute wolle er trauern, sagt Haseloff, "dann reden wir über die Sicherheit".

Zeigen, dass "Magdeburger zusammenstehen"

Der Bundeskanzler spricht von einer "furchtbaren, wahnsinnigen Tat". Das Land müsse nun zusammenstehen in "Solidarität". Scholz, der eigentlich nicht für besondere Emotionalität bekannt ist, haben die Gespräche mit den Helfern und Betroffenen offenbar aufgewühlt. Die Menschen werden mit diesem Ereignis "zu kämpfen haben", sagt er, dabei würden sie aber nicht alleingelassen. Nicht der "Hass" werde bestimmen, sondern das "Miteinander". Pascal Kober, Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen von terroristischen Straftaten, wird sich um Betroffene kümmern.

Vor der Johanniskirche in Magdeburg, Menschen legen zum Gedenken Blumen ab
Anteilnahme: Viele Menschen kommen mit Blumen vor die Magdeburger JohanniskircheBild: Christian Mang/REUTERS

Bei Mandy Bode sitzt der Schock noch sehr tief. Sie hatte den Weihnachtsmarkt nur wenig Minuten vor dem Anschlag verlassen. Beim Interview mit der DW weint sie. Sie sei am Samstag zur Johanniskirche gekommen, um "zu zeigen, dass die Magdeburger zusammenstehen". Dass auch Politiker anreisten, sei ihr egal: "Dass Menschen gestorben sind, dass geht doch auf die Kappe dieser Politiker", findet sie. In die Trauer mischt sich an diesem Tag auch die Frage: Warum?

Vor der Johanniskirche haben sich mittlerweile auch Anhänger der rechten Szene postiert. Sie schreien lauthals heraus, was sie denken: "Abschieben solche Leute, sofort!" Einer trägt ein Armband mit der Flagge des Deutschen Reiches.

Die Nachdenklichen wie Jutta und Mandy Bode wollen es sich nicht gefallen lassen, dass dieser Tag von Extremisten okkupiert wird. Sie verscheuchen sie entschlossen. Viele von ihnen wollen am Abend in den ökumenischen Gottesdienst im Dom von Magdeburg. Andenken an die, die getötet wurden oder verletzt an Körper und Seele.

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online