Ukraine: Machtkampf um Korruptionsbekämpfung
28. Dezember 2020"Oleksandr Tupitskij wird verdächtigt, einen Zeugen per Bestechung beeinflusst zu haben", teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew mit. Iryna Venediktova ersuchte Staatschef Wolodymyr Selenskyj, den Verfassungsrichter für zwei Monate zu suspendieren. Der Verfassungsgerichtspräsident wollte laut der Staatsanwaltschaft erreichen, dass ein Zeuge in einem Strafverfahren seine Aussage zurückzieht oder falsch aussagt.
Vorladung ignoriert
Eine Vorladung zu einer polizeilichen Befragung ignorierte Tupitskij am Montagmorgen. Als Grund für sein Nicht-Erscheinen nannte er familiäre Angelegenheiten. Sein Büro wurde von der Nachrichtenagentur Interfax zudem mit den Worten zitiert: "Tupitskij hat nicht die Absicht, sich einem Gerichtsverfahren zu entziehen, aber es ist gegen ukrainisches Recht, einen Verfassungsrichter zu entlassen". Dem Verfassungsrichter wird zudem vorgeworfen, in einem Strafverfahren um eine Fabrik im Osten des Landes selbst Falschaussagen vor der Generalstaatsanwaltschaft gemacht zu haben.
Bestechung und Käuflichkeit sind ein Grundübel in allen ukrainischen Institutionen. Und ausgerechnet das höchste Gericht des Landes spielt dabei schon seit langem eine unrühmliche Rolle. In der Vergangenheit erkauften sich selbst Präsidenten ihnen genehme Urteile. Aktuell wird gegen mehrere Verfassungsrichter, deren Gehälter und luxuriöser Lebensstil weit auseinanderklaffen, wegen Korruptionsverdachts ermittelt. Gegen Gerichtspräsident Oleksandr Tupitskij laufen gleich mehrere Ermittlungen.
Der Fall verdeutlicht das Ausmaß der Krise, in dem sich die Justiz in der Ukraine befindet. Ende Oktober hatte das Verfassungsgericht zentrale Teile der Anti-Korruptionsgesetze außer Kraft gesetzt. Die Entscheidung wurde von Präsident Selenskyj als "Bedrohung für die nationale Sicherheit" kritisiert. Der Politneuling hatte nach seiner Wahl zum Präsidenten versprochen, den Kampf gegen Korruption noch konsequenter fortzuführen.
Gefahr für die Anbindung an den Westen
Für die Ukraine steht viel auf dem Spiel. Transparenz in die als notorisch korrupt geltenden ukrainischen Eliten zu bringen, war eine Bedingung der westlichen Partner, des Internationalen Währungsfonds als wichtigster Gläubiger der Ukraine und der EU, die mit Kiew 2014 ein Assoziierungsabkommen unterzeichnete, für die Zusammenarbeit. Fachleute warnen, die Rückschläge bei der Korruptionsbekämpfung könnten die Zusammenarbeit mit westlichen Kreditgebern oder gar den hart erkämpften visumfreien Reiseverkehr mit der EU gefährden.
Laut einer Meinungsumfrage des ukrainischen Unternehmensverbands EBA behindert das mangelnde Vertrauen in die ukrainischen Gerichte ausländischen Investitionen.
qu/kle (afp, rtr)