Logistik und Klima stören sich gegenseitig
21. Mai 2013Wenn der Kaffeeduft dampfend aus der Tasse aufsteigt, denkt man kaum darüber nach, auf welchem Weg die gemahlene Bohne den Weg in die eigene Küche gefunden hat. Denn Logistik - egal ob die von Kaffee oder anderen Produkten - soll unsichtbar sein: "Jeder möchte, dass die Geschäfte voll sind, aber niemand möchte LKW sehen, Güterzüge hören, Abgase von Frachtschiffen riechen." Das sagt der britische Logistik-Spezialist Alan McKinnon. Doch weil Logistik sich recht erfolgreich unsichtbar macht, sieht man auch manche Folge der Branche nicht: Logistik ist für rund sechs Prozent aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das schätzt das World Economic Forum. Fast der gesamte Logistik-Kohlendioxid-Ausstoß wird verursacht, wenn Waren innerhalb eines Landes oder durch die ganze Welt transportiert werden. Und ein kleiner Teil der Emissionen entsteht, weil zum Beispiel Lagerhallen beleuchtet und Frachtcontainer gebaut werden. Damit trägt Logistik zur globalen Erwärmung bei.
Das Klima rächt sich: Die Folgen der globalen Erwärmung treffen das logistische Netzwerk, das über den Erdball gespannt ist. Deutlich wird das zum Beispiel bei der folgenden Reise, die exemplarisch ist, aber so stattfinden könnte: Kaffee aus Indonesien soll in einen Londoner Vorort transportiert werden.
Klimawandel stört die Logistikkette schon an ihrem Anfang
Indonesien gehört zu den Top-Kaffee-Exporteuren der Welt. Mittlerweile werden pro Monat rund eine halbe Million Säcke à 60 Kilogramm Bohnen in andere Länder transportiert. Vor allem in London und New York wird der Kaffee dann gehandelt.
Doch die logistische Lieferkette beginnt viel früher: auf den Plantagen der zahlreichen indonesischen Inseln. Von dort geht es in die größeren Städte, wo der Kaffee dann auf die Weltreise vorbereitet wird. Bereits hier können die Folgen des Klimawandels die Logistik stören, wenn Unwetter stärker werden und öfter auftreten.
Es könnte auf der Reise des indonesischen Kaffees also durchaus passieren, dass die Anlagen der Zwischenhändler in Indonesien überflutet oder bei einem Sturm zerstört werden. "So wie es der Super-Sturm Sandy 2012 in den USA gezeigt hat oder die riesige Flut in Thailand 2011, als viele Fabriken und Lagerhallen um Bangkok überschwemmt wurden", erinnert sich Alan McKinnon. Die Münchener Rückversicherung berichtete 2010: Seit 1980 hat sich die Zahl der jährlichen Wetterextreme verdreifacht. Und die Schadenssumme je Unwetter ist auch gestiegen.
Klimawandel ist nur ein Risikofaktor von vielen
"Das Problem ist die Unsicherheit", sagt Alan McKinnon, der Professor an der Kühne Logistics University in Hamburg ist und auch in Südostasien logistische Arbeitsabläufe untersucht hat. Es gibt verschiedene Szenarien, wie sich das Klima im Laufe dieses Jahrhunderts entwickeln könnte, und jedes Klimamodell hat eine gewisse Bandbreite. "Die Firmen versuchen, ihre Lieferketten gegen viele Arten der Störung zu schützen, aber das ist schwierig. Für sie ist der Klimawandel nur ein Risiko-Faktor von vielen. Sie planen ja eine Reihe von Eventualitäten ein, von Arbeiterstreiks bis Terrorismus. Und momentan sind viele Firmen zuversichtlich, dass ihre aktuellen Systeme mit dem Klimawandel schon zurechtkommen werden." Zumal gerade kleinere Unternehmen sagen würden, dass sie ohnehin kein Geld hätten, um ihre Logistik an die potenziellen Folgen des Klimawandels anzupassen.
Wenn der indonesische Kaffee in große Säcke gepackt ist und bereit für seine Weltreise, dann wird er zu einem großen Hafen gebracht, zum Beispiel in der Hauptstadt Jakarta. Fracht zu verschiffen, ist der häufigste Weg im globalen Logistik-Netz. In einem Konferenzbericht der Vereinten Nationen heißt es: All die verschifften Waren machen 80 Prozent des Volumens der weltweit verschickten Waren aus und 70 Prozent des finanziellen Werts. Häfen stellen damit die zentralen Knoten in den globalen Lieferketten dar.
Indes: Gerade den Häfen wird der Klimawandel zu schaffen machen und das auf verschiedene Weise. Der Uno-Bericht zählt unter anderem auf: Der steigende Meeresspiegel wird Häfen überschwemmen und den Boden der Küste erodieren; das könnte dann zum Beispiel dazu führen, dass die Infrastruktur in der gesamten Küstenregion beschädigt wird. Die extremen Wetterereignisse hingegen können den Verkehr unterbrechen und so zu Lieferengpässen in der ganzen Welt führen. Und die steigenden Temperaturen wiederum können dazu führen, dass in den Häfen mehr Energie gebraucht wird, etwa für Klimaanlagen und zusätzliche Lagerhallen. Darauf müssten sich die Hafen-Verantwortlichen einstellen. In den Niederlanden, wo gut ein Viertel der Landesfläche unter dem Meeresspiegel liegt, schützen kilometerlange Deiche die Küste. In Südostasien ist man noch nicht so weit.
Meeresspiegel-Anstieg könnte auch von Vorteil sein
"Manche sehen auch lieber die möglichen Vorteile des Klimawandels", sagt der Logistik-Experte. Der Meeresspiegel-Anstieg wäre zum Beispiel vorteilhaft, weil die Schiffe größer und größer werden können. Momentan passen auf ein Containerschiff bis zu 8000 Standard-Container à 20 Fuß Länge (12,192 Meter; Twenty-foot Equivalent Unit). "Aber Ende 2013 soll eine neue Generation in Betrieb gehen, die eine Kapazität für 18.000 Standard-Container hat. Also brauchen die Schiffe tieferes Gewässer in Häfen und Meeresarmen." Das hat die Historie zum Beispiel beim Zielhafen des hiesigen Kaffee-Exports gezeigt: Der Londoner Hafen befindet sich an der Themse. Doch als die Schiffe größer wurden, war das Hafenbecken nicht mehr groß genug. Also zog der Hafen um – stromabwärts, Richtung Flussmündung.
Die Frachtroute führt also durch den Indischen Ozean, an der Südspitze Indiens vorbei, in den Golf von Aden und weiter durch das Rote Meer. Das Schiff passiert den Suez-Kanal, fährt durchs Mittelmeer und dann an der Westküste Europas bis nach London. Mit dem Flugzeug würde die Reise nur ein paar Tage dauern, doch mit dem Schiff dauere es McKinnon zufolge normalerweise drei bis vier Wochen. "In den vergangenen Jahren haben viele Containerschiffe ihre Geschwindigkeit um 15 bis 20 Prozent reduziert, etwa von 21 oder 22 Knoten auf 18 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit. Dann dauert die Fahrt von Südostasien bis Europa im Durchschnitt vier bis sechs Tage länger." Firmen nutzen dieses als "Slow Steaming" bezeichnete Verfahren, weil sich so Treibstoff sparen lässt, also auch Kosten. "Das hat aber auch den willkommenen Nebeneffekt, dass weniger Kohlendioxid ausgestoßen wird", sagt Alan McKinnon. "Das verstärkt den Umwelt-Vorteil, den das Verschiffen gegenüber der Luftfracht hat."
Allerdings: Fast überall in der Welt werden Waren zunehmend via Flugzeug und LKW transportiert – und das sind die Logistik-Wege mit der schlechtesten Klima-Bilanz. Um diesen Trend zu stoppen oder gar umzukehren, investiert zum Beispiel die Europäische Union in die Infrastruktur von Schienenverkehr, inländischen Wasserwegen und Häfen. "Aber in Großbritannien gibt es kaum Kanäle, also wird auch wenig mit Frachtkähnen transportiert. Da nimmt man eher den LKW", berichtet der britische Logistik-Experte McKinnon, der 2011 von der Europäischen Kommission in drei Expertengruppen eingeladen wurde.
Grüne Logistik will Transport umweltfreundlicher machen
Wäre das Containerschiff von Indonesien nach Rotterdam gefahren, zum drittgrößten Seehafen der Welt, dann wären einige der importierten Kaffee-Säcke wohl bald auf Binnenschiffen weitergereist. Dort könnten sie noch eine andere mögliche Folge des Klimawandels erleben: weniger Regen. "Kanäle und andere Inland-Wasserwege sind sehr Dürre-anfällig. Das haben wir zum Beispiel 2003 in Europa gesehen oder 2012 beim Mississippi", erinnert Alan McKinnon: Es regnete so wenig, dass der Wasserpegel der Flüsse sehr niedrig war und daraufhin der Frachtbetrieb stark beeinträchtigt wurde. Es sei wohl Ironie des Schicksals, sagt McKinnon, dass ausgerechnet die umweltfreundlichsten Logistik-Wege besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels seien.
Deswegen blüht gerade ein neuer Forschungszweig auf: Grüne Logistik – eine Logistik, die klimafreundlich sein will. Die ökologisch wertvolle Logistik setzt an verschiedenen Stellen an: vor allem bei der Technologie, bei der Organisation, bei der Politik. Beispielsweise wurde in Finnland ein LKW entwickelt, der Treibstoff bis zu 15 Prozent besser ausnutzt als ein herkömmlicher Transporter. In Japan wurde ein "Super-Öko-Schiff" gebaut, das zwei Drittel weniger Kohlendioxid ausstößt als ein heute herkömmliches Frachtschiff. Die Firmen Kelloggs und Kimberly-Clark tun sich zusammen, um ihre Transportfahrzeuge gemeinsam besser auszulasten. Und verschiedene Firmen haben sich darauf spezialisiert, den ökologischen Fußabdruck von Waren zu ermitteln, und zwar entlang der gesamten Herstellungs- und Transportkette, und dann zu beraten, wie sich die Ökobilanz verbessern lässt.
Wenn irgendwann auch der Kaffee aus Indonesien auf komplett grünem Wege durch die Welt transportiert wird, dann lässt sich der Kaffee mit besonders gutem Gewissen trinken.