Lockdown-Kilos statt Lagerkoller
18. Mai 2020So ein Lockdown hat auch seine positiven Seiten: Viele Kochmuffel konnten sich in den letzten Wochen zu wahren Virtuosen am heimischen Herd mausern. Blanchieren, Pürieren, Filetieren - bisher für viele Fremdwörter - wurden zum täglichen Inhalt bei der Diskussion ums Essen in deutschen Küchen. Andere entdeckten den Konditor in sich, und so waren zeitweise Hefe und Mehl ausverkauft.
Vor- und Nachteile des Corona-Kochens
Sogar in punkto Kindererziehung bot das Kochen zu Hause viele Vorteile: Vielfach half der Nachwuchs bei der Zubereitung, aß die selbstgemachte Erbsensuppe und fand heraus, dass die Pastinake keine weiße Wurzel, sondern ein ernstzunehmendes Gemüse ist.Doch auch die Nachteile wurden schnell spür- und zum Teil sogar sichtbar. Die Figur hat bei manchen (schwer) darunter gelitten. Da beruhigt es schon fast, dass die Bikini-Saison dieses Jahr ins Wasser fällt.
Rezept-Plakate überall in Berlin
Der größte Nachteil der Corona-bedingten Einschränkungen aber bestand für die Gastronomie: geschlossene Restaurants, Kurzarbeit, finanzielle Nöte. Für viele Betreiber wurde der Corona-Lockdown, der in einigen Bundesländern noch anhält, zur existentiellen Herausforderung. Dafür hat sich die Berlin Food Week, die in diesem Jahr wegen der Pandemie nicht stattfinden kann, etwas ganz Besonderes ausgedacht: 250 Plakate mit Rezepten von Sterneköchen zum Nachkochen für Zuhause hängen in den Straßen der Hauptstadt. "Derzeit werden die Plakatflächen nicht viel gebucht, weil wenige Menschen auf der Straße unterwegs sind. Die Außenwerbung als Medium ist daher nicht so attraktiv für Unternehmen. Und die Kulturveranstalter, die die Flächen früher genutzt haben, tun es derzeit nicht so viel, weil keine Veranstaltungen stattfinden", sagt Michael Hetzinger, der nun diese Flächen für seine Plakat-Aktion kostenlos nutzen darf.
Die Berlin Food Week findet jährlich im Herbst statt: 100 Veranstaltungen, bei denen Exotisches wie Krebse aus dem Berliner Tiergarten oder destillierte Blätter eines Ahornbaums zu den vielen Attraktionen und Leckereien zählen. 56.000 Besucher haben sich vergangenes Jahr die Bäuche voll geschlagen. Doch in diesem Jahr fällt sie aus. Mit ihrer Plakat-Aktion versuche die Berlin Food Week, die Berliner Gastronomie in dieser Ausnahmesituation zu unterstützen, sagt Hetzinger, der diese kulinarische Woche nicht nur als Event, sondern als Plattform der Gastro-Szene versteht.Kreative Gastronomen
Die Gastronomie ist derweil nicht weniger kreativ, und so liefern einige Restaurants das 3-Gänge-Menü einfach nach Hause - Kerze und Playlist zum romantischen Essen inklusive. "Andere haben ihren Gastraum in eine provisorische Markthalle umgewandelt und verkaufen dort Lebensmittel. Dritte backen ihr eigenes Brot und verkaufen es", sagt Michael Hetzinger. Die Kunden schätzen das Angebot und bestellen beim Lieblingsrestaurant oder kaufen Gutscheine für die Zeit nach Corona: Auch in den sozialen Netzwerken sei die Anteilnahme groß. "Die Gäste kommentieren und fragen, wie es den Gastronomen geht", erzählt Michael Hetzinger.
Unter strengen Auflagen dürfen in Berlin inzwischen die Restaurants wieder aufmachen - mit weniger Tischen und Hygienekonzepten. "Gleich am ersten Tag der Wiedereröffnung waren die Berliner Restaurants gut gefüllt, man merkt, dass die Gäste schon ungeduldig und sehnsüchtig darauf gewartet hatten", so der Geschäftsführer der Berlin Food Week.
Und wer sich den Restaurantbesuch im Moment nicht leisten kann, der kann sich an seinem eigenen Herd austoben. Hashtags wie #stayathomeandcook oder #bleibamherd trenden derzeit in den sozialen Medien. Auch die Deutsche Welle hat das Kochen für sich entdeckt - mit einem eigenen DW-Food-Channel.