Literaturnobelpreis an Autor Jon Fosse verliehen
10. Dezember 2023Jon Fosse ist der erste norwegische Literaturnobelpreisträger seit Sigrid Undset vor 95 Jahren. Der schwedische König Carl XVI. Gustaf überreichte dem 64-Jährigen die Auszeichnung am Sonntag in Stockholm. Fosse habe mit seiner Literatur die Grenzen der menschlichen Existenz erkundet, lobte die Vorsitzende der Nobelstiftung, Astrid Söderbergh, gleich zu Beginn. Der Vorsitzende des Nobelkomitees der Schwedischen Akademie, Anders Olsson, hob hervor, Fosse spreche immer wieder existenzielle Unsicherheiten an. In seinem Werk gehe es um die Orientierungslosigkeit des Individuums und die Schwierigkeiten, einen Weg im Leben zu finden. Fosse sei kein schwieriger Schriftsteller. "Er benutzt die einfachsten Worte und schreibt über Erfahrungen, mit denen wir alle etwas anfangen können: Trennung, Tod und die Verletzlichkeit der Liebe", sagte Olsson. "Die Tatsache, dass er heute einer der meistgespielten Dramatiker ist, zeigt, dass dies eine Qual ist, die von vielen geteilt wird."
Den Autoren traf die Nachricht, er habe den Literaturnobelpreis gewonnen, unvorbereitet. Er saß im Auto, als er von der Akademie angerufen wurde. "Ich war überrascht und auch wieder nicht", sagte er dem norwegischen Sender NRK.
Ausgezeichnet für "Fosse-Minimalismus"
Wie jetzt bekannt wurde, hat der Schriftsteller dem Nobelpreismuseum mehrere Notizbücher überlassen - mit einem noch unveröffentlichten Buch. Das Museum bitte Preisträger, die zur Nobelwoche kämen, immer um einen Gegenstand, der ihnen helfe, eine Geschichte zu erzählen, teilte eine Sprecherin mit. Fosse habe vier Notizbücher gespendet, die ein unveröffentlichtes Buch enthielten. Der schwedischen Nachrichtenagentur TT zufolge könnte das Buch mit dem Titel "Vaim" im kommenden Jahr veröffentlicht werden.
Fosse schreibt in stark reduziertem Stil
Er sei "sehr, sehr froh", habe aber auch ein wenig Angst vor der ganzen Aufmerksamkeit, die der Nobelpreis mit sich bringe, sagte Fosse zur Bekanntgabe im Oktober und ergänzte: "Ich sehe dies als Auszeichnung für die Literatur, die in erster Linie Literatur sein will, ohne andere Erwägungen."
Düstere und von Stille geprägte Theaterstücke haben den Norweger berühmt gemacht. Seinen Texten haftet oft etwas Melancholisches und auch Mystisches an. Die französische Zeitung "Le Monde" nannte ihn "den Beckett des 21. Jahrhunderts". Fosse hat bereits eine Fülle an Werken geschrieben und ist vielfach ausgezeichnet worden. Sein erstes Drama auf Deutsch, "Der Name", brachte ihm den Ibsen-Preis und den österreichischen Theaterpreis ein. Sein jüngstes auf Deutsch erschienenes Werk ist der Roman "Ich ist ein anderer" (Rowohlt
Verlag).
Jon Fosse: "Alles, was ich schreibe, ist eine Art Gebet"
Jon Fosse wurde am 29. September 1959 in Hausgesund in Norwegen geboren. 1983 veröffentlichte er seinen ersten Roman "Rot, schwarz". Seitdem kamen zahlreiche Erzählungen, Gedichtbände, Essaysammlungen und sogar Kinderbücher dazu.
Sein erstes Theaterstück mit dem englischen Titel "And We'll Never Be Parted" (Und trennen werden wir uns nie) wurde 1994 uraufgeführt - danach schrieb er noch rund 40 weitere Stücke.
1999 hatte Jon Fosse seinen internationalen Durchbruch als Dramatiker - mit der Inszenierung von "Someone Is Going to Come" des verstorbenen französischen Theaterregisseurs Claude Regy.
Laut der Website des Booker-Preises wurden seine Stücke auf der ganzen Welt in 50 Sprachen mehr als tausend Mal aufgeführt.
Seit 2022 ist Jon Fosse Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Für sein Prosawerk "Trilogie" erhielt er 2015 den Literaturpreis des Nordischen Rates, den renommiertesten Literaturpreis Skandinaviens.
Beeindruckend auch seine "Septologie", die in drei Bänden von 2019-2021 unter den Titeln "The Other Name", "I Is Another" und "A New Name" erschien: der Monolog eines älteren Künstlers. Auf 1250 Seiten bietet das Prosawerk eine düstere, aber ekstatische Reflexion über Kunst und Gott.
Gegenüber dem Magazin "New Yorker" saget Fosse, die Abrechnung des alternden Mannes mit der Religion sei "überhaupt nicht autobiografisch". Denn der 2013 zum Katholizismus konvertierte Norweger ist nach eigenen Angaben ein frommer Mann. "Alles, was ich schreibe, ist eine Art Gebet", sagte er kürzlich der Neuen Züricher Zeitung.
Neben der Verwirklichung seiner eigenen schriftstellerischen Projekte hat Fosse auch Werke anderer Autoren übersetzt, darunter Franz Kafkas "Der Prozess", den er als einen seiner Lieblingsromane bezeichnet.
Literaturkritiker Scheck: "Alles andere als ein skandinavisches Heimspiel"
Der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck begrüßt die Nachricht, dass Jon Fosse den diesjährigen Literaturnobelpreis erhält. "Ich freue mich für ihn. Ich halte das für eine ausgezeichnete Wahl", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist alles andere als ein skandinavisches Heimspiel, sondern wirkliche Weltliteratur." Fosse sei ein Autor, der für die menschliche Einsamkeit neue Ausdrucksformen gefunden habe, und "ein Geistesverwandter von Samuel Beckett".
Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gegenüber erläuterte Scheck zudem: "Seine Sprache übt einen Sog aus, der vom Takt der Wiederholungen und Aussparungen ausgeht." Nicht zu unterschätzen sei auch die religiöse Aufladung von Fosses Texten.
Erst 17 Frauen mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet
Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an die französische Schriftstellerin Annie Ernaux. Sie war dabei die erst 17. Frau unter den bis dato 120 Nobelpreisträgern und -trägerinnen in Literatur gewesen. In den vergangenen Jahren ist der Preis jeweils abwechselnd an Männer und Frauen gegangen.
Letzter deutschsprachiger Literaturnobelpreisträger war der Österreicher Peter Handke, dem die renommierte Auszeichnung 2019 zugesprochen wurde. Zuvor ging sie unter anderen an Günter Grass (1999), Heinrich Böll (1972), Hermann Hesse (1946) und Thomas Mann (1929). Der Literaturnobelpreis wird seit 1901 vergeben.
Der traditionelle Tag der Preisverleihung ist der 10. Dezember, der Todestag von Preisstifter und Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833-1896). Dotiert ist er mit elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 950.000 Euro), einer Million mehr als im Vorjahr.