Literatin Irena Veisaite ist tot
11. Dezember 2020"Litauen hat einen Riesen verloren", schrieb Außenminister Linas Linkevicius auf Twitter. Er würdigte die Menschenrechtsaktivistin, Literatur- und Theaterwissenschaftlerin als "Litauens Gewissen". Der litauische Präsident Gitanas Nauseda lobte ausdrücklich ihr Leben und Werk als "Denkmal für humanistische Werte".
Irena Veisate war eine Zeitzeugin der grausamen Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Als einziges Mitglied ihrer Familie überlebte sie den Holocaust. 1943 entkam sie dem Ghetto von Kaunas und versteckte sich unter falschem Namen bei einer litauischen Familie. Später litt sie unter der Verfolgung als Jüdin während der Sowjet-Ära.
Ihre Erfahrungen - so traumatisierend sie auch waren - haben Irina Veisaite dennoch Jahrzehnte lang in ihrem Lebenswillen bestärkt. In einem Interview mit der Deutschen Welle sagte sie einmal: "Ich habe immer gedacht, ich muss überleben, um der Welt zu berichten, was geschehen ist."
Veisate überlebte zwei Diktaturen
Die am 9. Januar 1928 in Kaunas geborene Veisate galt als führende Intellektuelle Litauens. Sie las und sprach neben ihrer Muttersprache Litauisch auch Russisch, Deutsch, Englisch, etwas Polnisch, Französisch und Estnisch.
Und sie liebte die Poesie Rainer Maria Rilkes, die Romane und Erzählungen von Thomas Mann, Franz Kafka, Hermann Hesse. Ab 1953 studierte sie Germanistik in Moskau.
Viele Jahre lang lehrte Veisate dann als Literaturwissenschaftlerin an der Universität Vilnius und veröffentlichte Bücher, Artikel, Lehrbücher und Theaterkritiken. Sie engagierte sich außerdem sehr bei der Gründung des Thomas-Mann-Kulturzentrums in Nida in Litauen. Ihr ganzes Leben lang setzte sie sich für gegenseitige Verständigung über die Grenzen Europas hinweg ein. Für ihre Unterstützung des kulturellen Dialogs mit Deutschland erhielt sie mehrere Auszeichnungen, darunter 2012 die Goethe-Medaille.
Engagement für Verständigung mit Deutschland
Als Litauen 1990 unabhängig wurde, war Irena Veisaite 62 Jahre alt. Zwei Diktaturen hat sie erlebt. Im DW-Interview erzählte sie, wie sehr es sie schmerze, dass es Streit wegen der zwei Vergangenheiten ihres Heimatlandes Streit gab.
Sie bedauerte, dass die Kollaboration eines Teils ihrer litauischen Landsleute mit den Nazi-Besatzern immer ein heikles Thema geblieben ist - und dass das Leiden der Juden trotz aller Bemühungen von Regierung, Historikern und Museen noch zu wenig gesellschaftliche Anerkennung gefunden habe.
2019 erschien ihr jüngstes Werk, eine Sammlung von Interviews mit dem Titel "A Century of Life in Lithuania" ("Ein Jahrhundertleben in Litauen", Göttingen 2019), in dem sie die schmerzhafte Geschichte ihres Heimatlandes verarbeitet hatte. Im Alter von 92 Jahren starb Irena Veisaite an den Folgen einer COVID-19-Erkrankung in Vilnius.