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Beuten deutsche Autobauer serbische Arbeiter aus?

Nadine Mena Michollek | Nemanja Rujevic | Radmilo Marković
27. November 2024

Psychischer Terror und Einsatz gefährlicher Chemikalien - das sind Vorwürfe serbischer Arbeiter gegen Zulieferer deutscher Autobauer. Das deutsche Lieferkettengesetz soll sie eigentlich schützen, aber funktioniert es?

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Eine blonde Frau in einem weißen T-Shirt arbeitet in einer Fabrik. Im Hintergrund sieht man weitere Arbeiter bei ihrer Arbeit.
Eine Arbeiterin in der Produktionsstätte des Leoni-Werks in der Nähe von Niš, SerbienBild: Jelena Djukic Pejic/DW

Lila Haare, durchzogen von grauen Strähnen, umranden ihr Gesicht. Sie blickt nach unten auf ihre Hände. Sie seien müde von der Arbeit, sagt Mirjana Nešić zur DW. Vor ihrer Schicht nähme sie Schmerztabletten, die aber kaum noch helfen würden. Der Druck im Werk sei hoch.

Mirjana spricht von "psychischer Folter", von unerreichbaren Normen, vom Verbot auf die Toilette zu gehen. Serbische Medien berichteten sogar, dass Arbeiter Windeln während der Arbeit tragen müssten. "Mir wird schlecht, wenn ich dort reingehe", erzählt Mirjana. Nach der Schicht brauche sie Medikamente zum Einschlafen.

Seit dreizehn Jahren arbeitet die Fünfzigjährige an der Produktionslinie bei der südkoreanischen Firma Yura in Leskovac, Serbien. Sie stellt Autokabel her, gut möglich, dass diese einmal in einem schicken Mercedes landen.

Mirjanas Erfahrung ist kein Einzelfall. Es gibt zahlreiche Medien und Gewerkschaften, die berichten, nicht nur der Zulieferer Yura, sondern auch das chinesische Unternehmen Linglong und der deutsche Zulieferer Leonie beuteten serbische Arbeitnehmer aus. Sie alle liefern an deutsche Autobauer, wie Mercedes, Audi, Volkswagen oder BMW.

Es herrscht Angst

Eigentlich ist seit 2023 das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft, dass Arbeiterinnen wie Mirjana schützen soll. Unternehmen haben demnach die Pflicht, auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz über die gesamte Lieferkette hinweg zu achten. Dazu zählt das Recht auf Arbeits- und Gesundheitsschutz, das Recht auf faire Löhne sowie das Recht, Gewerkschaften zu bilden.

In einer Korrespondenz der Unabhängigen Gewerkschaft der Metallarbeiter Serbiens mit Mercedes und Audi in diesem Jahr beschuldigte die Gewerkschaft das Unternehmen Yura, diese Rechte verletzt zu haben. Demnach seien Arbeiter oft erschöpft, würden miserabel bezahlt, seien gefährlichen Chemikalien ausgesetzt. Darüber hinaus werde das Streikrecht sowie das Recht auf gewerkschaftliche Versammlung verletzt.

Serbien Nis | Fabrikarbeit / Arbeitsrecht
Arbeiter streiken vor der Fabrik von Yura in LeskovacBild: Jelena Djukic Pejic/DW

Predrag Stojanović, der sich in der Metallarbeitergewerkschaft engagiert, hat das selbst erlebt, erzählt er der DW. Als er sich während der Corona-Pandemie für Schutzmaßnahmen einsetzte, wurde er entlassen. Stojanović klagte dagegen und gewann den Rechtsstreit. Er und Mirjana gehören zu den wenigen Arbeitern, die sich überhaupt trauen, mit der Presse zu sprechen. Mirjana streikte im Juni dieses Jahres mit etwa der Hälfte der Arbeiter im Werk in Leskovac: "Kolleginnen fragten mich, wie ich mich das trauen kann. Denken Sie etwa, keiner von uns hat Angst?" Aber es ginge nicht mehr so weiter, sagt Mirjana.

Audi und Mercedes gehen Hinweisen nach 

Yura liefert an den deutschen Autobauer Audi, der zum Volkswagen-Konzern gehört, und an Mercedes. Audi antwortete der DW auf die Vorwürfe, die Umstände bei Yura "zu prüfen". Mercedes entgegnete, sie nähmen die Sache sehr ernst. Nachdem sie von den Vorwürfen erfahren haben, hätten sie auf eine Erklärung des Lieferanten gedrängt. Zusätzlich habe man ein unabhängiges Audit-Unternehmen beauftragt, ein international anerkanntes Nachhaltigkeits-Assessment durchzuführen. Im Falle von Missständen würden Maßnahmen ergriffen. Yura hat auf die Vorwürfe bis zum Redaktionsschluss nicht geantwortet.  

Unzureichende Informationen

Das deutsche Lieferkettengesetz ermöglicht Betroffenen, Gewerkschaften und NGOs gegen Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverstöße vorzugehen. Beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Deutschland, kurz BAFA, kann Beschwerde eingereicht werden. Das Amt kann auch selbst aktiv werden, wenn es Hinweise erhält, beispielsweise durch Presseberichte. Das Bundesamt überprüft die Vorwürfe und könnte Bußgelder gegen betroffene deutsche Unternehmen verhängen.

Nach Abschluss der Prüfung erhalten die Beschwerdeführer eine Rückmeldung. Die Gewerkschaft der Metallarbeiter hat ihre Beschwerde wegen der Ausbeutung bei Yura im Juni 2024 beim BAFA eingereicht, aber bisher noch keine Rückmeldung erhalten.

Annabell Brüggemann, Legal Advisor bei der Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), sagt der DW, sie kenne das aus eigenen Beschwerdeverfahren. Das BAFA prüfe zwar die Vorwürfe, aber die Betroffenen würden nicht in das Verfahren einbezogen. "Einige Fälle laufen bereits seit über einem Jahr, aber wir wissen nicht, was das BAFA von den Unternehmen verlangt“, erklärt Brüggemann.

Das BAFA gibt an, dass bisher 221 Beschwerden eingegangen sind, davon drei aus Serbien. 161 wurden als unbegründet eingestuft, damit bleiben 60 "aktive" Beschwerden. Bisher hat das BAFA keine einzige Sanktion verhängt.

Lautes Medienecho in Serbien

Serbische Medien wie N1, die Wochenzeitung Vreme , das Nachrichtenportal Južne und Gewerkschaften berichten, dass weitere Zulieferer Arbeitskräfte ausnutzen, wie etwa das deutsche Zuliefererunternehmen Leoni - die Leoni AG gehört seit September 2024 mehrheitlich dem chinesischen Konzern Luxshare - und der chinesische Reifenhersteller Linglong.

Leoni beliefert den bayrischen Automobilhersteller BMW und Linglong den Volkswagen-Konzern. Die DW hat mit zwei Arbeitern von Leoni gesprochen, die ebenfalls von ausbeuterischen Arbeitsbedingungen sprechen. Eine Arbeiterin bei Leoni aus Prokuplje erzählte, ihr Arbeitsalltag sei "psychischer Terror", es gebe ein "geringes Gehalt, absurde Normen und Schikanen."

Prüfen und Abwiegeln

Leoni bestreitet die Vorwürfe der Arbeitnehmer und entgegnet gegenüber der DW, dass "in jeder Organisation dieser Größenordnung vereinzelt unverantwortliche Personen gegen interne Regeln und Anweisungen verstoßen“ würden. Dies werde, so heißt es, streng disziplinarisch bis hin zur Kündigung geahndet.

BMW teilte mit, dass es die Vorwürfe sehr ernst nehme, diesen nachgehe und - nach der DW-Anfrage - eine Stellungnahme von Leoni verlangt habe.

Serbien Nis | Fabrikarbeit / Arbeitsrecht
Arbeiter in der Leoni-Fabrik in Niš. Leonie gehört zu den größten Unternehmen in SerbienBild: Jelena Djukic Pejic/DW

Volkswagen entgegnete in einer kurzen Antwort, man äußere sich nicht zu "einzelnen potenziellen" Anschuldigungen gegen Lieferanten. Man würde jedoch allen Hinweisen gründlich und unverzüglich nachgehen.

Was fehlt im Gesetz?

Ein Problem sei, so Annabell Brüggemann, dass Arbeitnehmer häufig nichts von dem Lieferkettengesetz wissen, und auch nicht, "ob sie Teil der Lieferkette eines deutschen Unternehmens sind."

Zudem sei das Gesetz verwässert, verglichen mit dem, was ursprünglich geplant gewesen sei, sagt Hendrik Simon, Politikwissenschaftler am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ): "Es fehlt beispielsweise völlig eine Klausel zur zivilrechtlichen Haftung“.

Hoffen auf Brüssel

Das würde sich mit dem europäischen Lieferkettengesetz, das in diesem Jahr verabschiedet wurde, ändern. Opfer hätten dann die Möglichkeit, Unternehmen vor Zivilgerichten in den EU-Mitgliedstaaten auf Schadensersatz zu verklagen. EU-Recht genießt grundsätzlich Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht.

Trotz der Missstände sehen die Experten, mit denen die DW gesprochen hat, im Lieferkettengesetz viel Potential. Entscheidend sei aber, wie stark das BAFA das Gesetz durchsetze. Zudem spiele die transnationale Vernetzung von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft eine große Rolle, damit über Beschwerdemöglichkeiten informiert und Druck ausgeübt werden könnte.

Die Leoni-Arbeiterin hat trotzdem das Gefühl, dass sich nichts für sie ändern wird. "Ich werde alles dafür tun, um einen anderen Job zu finden."

Diese Recherche wurde durch Journalismfund Europe unterstützt.