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Liebe im Leerlauf - Martin Walsers neues Buch

20. September 2001

Martin Walser hat sich mit seinem Lieblingsthema zurück gemeldet: der Gefühlswelt der Kleinbürger, die bei ihm zu gewichtigen Protagonisten werden.

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In den vergangenen Jahren hat der streitbare Zeitgenosse, der Walser auch ist, durch einige umstrittene Äußerungen von sich reden gemacht. Erinnert sei an seine Ablehnung des geplanten Holocaustmahnmals in Berlin, das er als einen "fußballfeldgroßen Alptraum" bezeichnet hat. Mit dem "Lebenslauf der Liebe" kommt nun wieder der Romancier zu Wort.

Im Mittelpunkt des 500 Seiten starken Werks steht ein neureiches Paar, der widerwärtige Börsenspekulant Edmund und seine Frau Susi Gern.

Susi Gern will ihren Mann entweder ganz oder gar nicht. Da der für ganz nicht geeignet ist, hört sie auf, seine Frau zu sein. Aber zur Trennung reicht die Ernüchterung nicht aus. Es beginnt die Suche nach einem, den sie ganz haben kann.

Das wird der Lebenslauf der Liebe.

Ein behindertes Kind, ein Mann, der zuerst sehr reich ist, dann ruiniert, dann krank, dann tot – und Susi, in ihrer durch keine Erfahrung belehrbaren Sehnsucht nach reiner, vollkommener, gegenseitiger Liebe. Die Unbelehrbarkeit ihres Gefühls ist ihre Kraft. Sie lässt sich durch keine noch so elende Erfahrung zur Ermäßigung ihres Anspruchs auf Glück zwingen. Ihr Vater hätte sie doch schließlich nicht in eine Welt gesetzt, in der man nicht glücklich werden kann.

So wie ein Napoleon nicht aufhören kann zu erobern, kann Susi Gern nicht aufhören zu lieben. Dass das zu genau so viel Schmerz wie Lust führt, erlebt sie krass genug. Was sie als Lebensstimmung erreicht, nennt sie ihr Unglücksglück.

Klaus Siblewski von der "Tageszeitung" empfiehlt, Martin Walsers Roman als Gegenentwurf zu Fontanes "Effi Briest" zu lesen, als "Standardwerk" über den aktuellen Stand des Verhältnisses von Liebe und Ehe im deutschen Mittelstand. Der Rezensent hält den Roman für mutig. Walser habe in ihm seine kritische Sicht auf die Mittelschicht radikalisiert, indem er die Unvereinbarkeit von Mittelschicht und Liebe beschreibe.

Für Thomas Steinfeld von der "Süddeutschen Zeitung" ist Martin Walsers Roman ein wenig dick geraten. Aber dem Autor, lobt er, sei es gelungen, die neue Welt der 90er Jahre mit ihren Zynismen, saloppen Tönen und Konsumfetischismen mit seinem großen Thema, der "Epiphanie des Mittelstandes", zu verbinden. Walsers schildert dies, so Steinfeld, sehr strikt aus der engen Perspektive seiner Hauptfigur.