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PolitikLibyen

Libyen: Neue Vorgaben bringen Rap-Musiker zum Schweigen

11. Februar 2025

Die libyschen Behörden gehen gegen Rap-Musik vor. Diese verstoße gegen "moralische Regeln", so die Begründung. Knapp anderthalb Jahrzehnte nach dem Sturz von Machthaber Gaddafi fürchten Künstler eine Rückkehr der Zensur.

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Der libysche Rapper KA7LA
Der libysche Rapper KA7LABild: Slimbhy/YouTube

Rap-Musik ist in Libyen beliebt. Auch 2023 und 2024 zählten in dem nordafrikanischen Land zu den erfolgreichen Jahren für die einheimische Rapper-Szene - wenn auch zumeist mit einem negativen Hintergrund. Denn die Rapper vor Ort beziehen ihre Themen überwiegend aus Missständen, seien sie politischen Charakters oder naturgegeben.

Und auf solche stießen Libyens Rapperinnen und Rapper in den vergangenen zwei Jahren zuhauf: die politische Instabilität des Landes, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die anhaltenden Konflikte, die Korruption, die verheerende Flut in der Stadt Derna - dies alles bot reichlich Stoff für neue Songs.

Lange Zeit achteten die Behörden nicht sonderlich auf das Genre, während der libysche Rap florierte. Erst im August vergangenen Jahres erlaubte die Regierung im Osten - das Land ist in zwei Machtblöcke zerteilt - Musikveranstaltern in Benghazi, erstmals seit 15 Jahren wieder ein Sommer-Festival auf die Bühne zu bringen. Für den dort geborenen Rapper MC Mansour Unknown war es die erste Gelegenheit überhaupt, in seiner Heimatstadt auf großer Bühne aufzutreten.

Seitdem ziehen Pop-up-Konzerte und andere Rap-Events immer größere Zuschauermengen an. Noch kürzlich trat MC Mansour Unknown zusammen mit dem libyschen Rap-Star KA7LA in der Stadt Derna bei einem ausverkauften Konzert auf.

Der letzte Auftritt?

Doch nun scheint es, als könnte dies sein vorerst letzter Auftritt gewesen sein. In der vergangenen Woche gingen zunächst die östlichen und dann die westlichen Behörden gegen das populäre Musikgenre vor. "Die Verbreitung von Rap-Songs mit ihren teils obszönen Wörtern verletzt die moralischen Werte der libyschen muslimischen Gesellschaft", heißt es in einer Erklärung der östlichen Verwaltung. 

Dies hat Folgen: Von nun an müssen Rap-Musiker in beiden Landesteilen für Auftritte eine Genehmigung der jeweils zuständigen Ministerien einholen. Beide Instanzen prüfen dann, ob der Inhalt der Songs aus ihrer Sicht zu Kriminalität, Sexarbeit, Selbstmord oder zum Aufstand gegen Familie oder Gesellschaft aufruft. Wird die Genehmigung verweigert, sind Auftritte untersagt.

Dieselbe Regel gilt auch für Theatervorführungen, Musical-, Tanz- oder Gesangsdarbietungen an jedem Ort und in jeglicher Form. Nach Ansicht des östlichen Innenministeriums stehe die neue Regelung im Einklang mit der Verfassung des Landes. Dieser zufolge endet die Meinungsfreiheit dort, wo die öffentliche Moral verletzt wird und es zu Konflikten mit der Religion kommt.

"Islamische Vorgaben"

"Die östlichen Behörden stellen diese Einschränkungen als islamische Vorgaben für das gesellschaftliche Leben dar", sagt die Politologin Virginie Collombier von der Luiss Guido Carli Universität in Rom, Mitherausgeberin des Buches "Gewalt und sozialer Wandel in Libyen", im DW-Interview.

Dies geschehe auf subtile Weise. "Die Behörden stellen sicher, dass die breite Bevölkerung auf ihrer Seite steht. Dadurch werden diejenigen marginalisiert, die ihre Ansichten auf andere Weise zum Ausdruck bringen möchten, sei es durch Kunst, Musik oder noch allgemeiner, politisch."

Diktator Muammar Gaddafi auf einer Konferenz in Tripolis, 2010
Unter dem 2011 gestürzten Diktator Muammar Gaddafi war Rap-Musik verboten Bild: Abdel Magid Al Fergany/AP Photo/picture alliance

Rap als politisches Ventil

Libysche Rapper, die in ihren Texten Themen ansprechen, die als "rebellisch" verstanden werden können, fürchten nun eine Rückkehr zu früheren Unterdrückungsmustern.

Während der Herrschaftszeit von Diktator Muammar Gaddafi (1969 bis 2011) war Rap-Musik offiziell verboten. Sie existierte nur im Untergrund und in der libyschen Diaspora. Doch bereits vor Gaddafis Sturz im Jahr 2011 animierten Rapper wie Youssef Ramadan Said, besser bekannt als MC Swat, mit ihren Songs junge Menschen zum Aufstand.

Im Februar 2011 veröffentlichte MC Swat "Hadhee Thowra" ("Dies ist eine Revolution"). In dem Song ermutigte er die Menschen, auf die Straße zu gehen und gegen Gaddafi zu rebellieren. Das Lied wurde zu einer Art Hymne des libyschen Aufstands und leitete eine goldene Ära für den libyschen Rap ein. Damals sagte der da 23-Jährige dem US-Sender CNN, sein Song beschreibe das Gefühl der "berührenden Freiheit".

Die Gruppe Music Masters bei einer Aufnahme, 2011
In Libyen nahm die Rap-Szene nach Gaddafis Tod einen enormen Aufschwung. Im Bild die Gruppe Music Masters bei einer Aufnahme, 2011Bild: Ben Curtis/AP Photo/picture alliance

Erneute Unterdrückung

Dann aber wuchs sich der Aufstand von Februar bis Oktober 2011 zu einem Bürgerkrieg zwischen Gaddafi-treuen Truppen und Rebellengruppen aus, die den Diktator im Dezember 2011 schließlich töteten. Es setzte eine neue Repression ein, libysche Rapper und diejenigen Libyer, die für Demokratie und Freiheit eingetreten waren, fanden sich wieder da, wo ihr Protest begonnen hatte.

Im Dezember 2011 veröffentlichte MC Swat seinen Song Freedom of Speech. "Man hat euch glauben gemacht, dass die Revolution erfolgreich war" sang er. "Aber wegen der Korruption ist sie gescheitert." Nach der Veröffentlichung dieses Songs habe sich sein Leben zum Schlechteren gewendet, sagte MC Swat später der britischen Zeitung The Guardian.

Bewaffnete militante Gruppen störten sich daran, dass er weiterhin Rap-Songs schrieb, die von Gräueltaten, Gewalt und Korruption unter den Anhängern des Chefs der libyschen Nationalarmee, General Chalifa Haftar, handelten. In seinem Song "Benghazistan" (2013) kritisierte er die in Bengasi damals verübten Attentate und Bombenanschläge - sehr zum Missmut der herrschenden Kräfte.

2014 verschlechterte sich die politische Lage des Landes. Seitdem ist Libyen zwischen zwei rivalisierenden Regierungen aufgeteilt. Der östliche Teil des Landes steht weiterhin unter der Herrschaft von General Haftar und dem Repräsentantenhaus in Bengasi, während Libyens Westen unter der Verwaltung der von der UNO anerkannten Regierung der Nationalen Einheit (GNU) unter Präsident Abdul Hamid Dbeibah in Tripolis steht.

MC Swat veröffentlichte 2017 seinen Song "Exploitation", der vom Schmerz seiner ausgebeuteten Landsleute handelte. Er floh nach Italien, wo er seitdem lebt. "Ich wünsche mir jeden Tag, dass in Libyen alles endet und ich nach Hause zurückkehren und bei meiner Mutter und meinem Vater sein kann", sagte er damals der Nachrichtenseite Middle East Eye.

Im Jahr 2011 feierten die Menschen in Tripolis den Tod Gaddafis mit einem Feuerwerk
Auch das Neujahrsfest gilt den Machthabern in Ost-Libyen als "unislamisch". Unser Symbolbild zeigt ein Feuerwerk von 2011 anlässlich des Todes von Ex-Diktator Gaddafi Bild: Li Muzi/Xinhua/IMAGO

Salafistische Milizen 

Menschenrechtsorganisationen und Beobachter gehen allerdings nicht davon aus, dass MC Swats Traum absehbar wahr wird. "Das jüngste Rap-Verbot ist kein Zufall, sondern vielmehr Teil eines breiteren Trends in ganz Libyen", sagt Libyen-Expertin Collombier. "Beide Machtzentren, das im Osten ebenso wie das im Westen, haben ihr Vorgehen nicht nur gegen persönliche Freiheiten verschärft, sondern auch gegen jeglichen Diskurs, den sie für eine Bedrohung ihrer Macht halten."

Dieser Trend habe sich inzwischen sogar beschleunigt, so Collombier. Denn beide Machtzentren setzten zunehmend auf salafistisch ausgerichtete Sicherheitsorgane.

Für libysche Rapper droht dies nun darauf hinauszulaufen, dass sie oftmals weder auf die Bühne gehen noch sonst ihre Ansichten frei äußern können. Immerhin helfen Social-Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und Facebook den Künstlern, ihre Songs mit ihren libyschen Fans zu teilen.

Die DW hat die Behörden im Osten und im Westen um eine Stellungnahme gebeten, bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung jedoch keine Antwort erhalten.

Mitarbeit: Islam Alatrash (Libyen)

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Jennifer Holleis
Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.