1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteLibanon

Libanon und Israel: Jahrzehnte des Konflikts

12. August 2024

Die Gewalt zwischen Hisbollah und Israel ist in den vergangenen Monaten einmal mehr eskaliert. Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen an der israelisch-libanesischen Grenze. Ein Überblick.

https://p.dw.com/p/4jJA0
Schwarzweissaufnahme: UN-Sicherheitsrat zu Lage in Nahost 1967, davor eine Tageszeitung mit der Schlagzeile ""Fierce Battle in Mideast"
Der Konflikt hat eine lange GeschichteBild: UPI/picture-alliance

1943: Der unabhängige Libanon und die Zionisten

Ende 1943, also 4,5 Jahre vor der Gründung des Staates Israel, erringt Libanon die Unabhängigkeit von seinen französischen Kolonialherren.

Das breite Spektrum religiöser und ethnischer Gruppen, die auf dem Staatsgebiet leben, spiegelt sich seither in der Regierung wider. Und so entfalten sich schon damals Debatten darüber, wie die Beziehungen zu den Nachbarstaaten aussehen sollen. Manche Gruppen sind geneigt, sich mit den Zionisten, die südlich des Libanon einen jüdischen Staat anstreben, zu verbünden. Andere sind der Überzeugung, dass es unmöglich sei, gleichzeitig gute Beziehungen mit Israel und den arabischen Nachbarstaaten zu pflegen. Letztere sollten die Oberhand gewinnen.

1948: Kriegserklärung zur Staatsgründung

Am 14. Mai 1948 erklärt Israel seine Unabhängigkeit. Für diesen Tag ist der Rückzug der britischen Truppen aus dem Mandatsgebiet Palästina vorgesehen, das nach Übereinkunft der Vereinten Nationen 1947 in zwei Staaten aufgeteilt werden soll: einen jüdischen und einen arabischen beziehungsweise palästinensischen. Viele arabische Staaten lehnen diesen Plan jedoch ab. Und so erklären Ägypten, Syrien, Jordanien, Irak und auch der Libanon Israel noch am Tag der Staatsgründung den Krieg.

Bereits zuvor ist es im Mandatsgebiet Palästina zu gewalttätigen Zwischenfällen gekommen und sie gehen weiter. Die Kriegsparteien kämpfen, bis sich Israel und einzelne arabische Staaten, darunter der Libanon, Anfang 1949 auf formale Waffenstillstandslinien einigen, aus denen die so genannte Grüne Linie entsteht.

Mehrere Frauen, die große Bündel auf dem Kopf tragen (schwarz-weiß Foto)
Araber fliehen mit all den Habseligkeiten, die sie tragen konnten (1948)Bild: Eldan David/Pressebüro der Regierung Israels/picture alliance /dpa

Zu diesem Zeitpunkt hat Israel etwa 40 Prozent desjenigen Gebiets besetzt, das im Teilungsplan der Vereinten Nationen den Palästinensern zugedacht war. Etwa 100.000 Palästinenser, die aus ihren Häusern vertrieben wurden, sind in den Libanon geflohen. Im selben Jahr wird das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten UNRWA gegründet, um diese Flüchtlinge zu unterstützen.

Die Grüne Linie ist bis heute die international anerkannte Staatsgrenze Israels. Während die meisten arabischen Staaten weiterhin darauf beharren, dass diese Grenze vorübergehend sei, tut dies der Libanon nicht.

1965: Nationalistische Palästinensergruppen

Bis 1965 bleibt es entlang der israelisch-libanesischen Grenze relativ friedlich. Dann beginnt eine neue nationalistische Palästinensergruppe, die Fatah, aus dem Ausland Angriffe auf Israel zu starten, unter anderem vom Libanon aus. Auch andere militante Palästinensergruppen starten Angriffe von Syrien und Jordanien aus. Die öffentliche Meinung über den Konflikt ist im Libanon weiterhin gespalten. Die verschiedenen demografischen Gruppen vertreten unterschiedliche Standpunkte.

1967: Flucht nach Sechstagekrieg

Die Spannungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn nehmen zu. Ägypten, Syrien und Jordanien machen gegen Israel mobil. Nach einem Präventivangriff auf die ägyptische Luftwaffe besiegt Israel im sogenannten Sechstagekrieg die arabische Allianz. Der Libanon ist nicht direkt in die Kämpfe verwickelt, aber Tausende palästinensische Flüchtlinge fliehen über die Grenze in den Libanon.

1969: PLO-Gruppe verwaltet Flüchtlingslager

Der Libanon gestattet einer Unterorganisation der neu gegründeten Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), 16 palästinensische Flüchtlingslager im Libanon zu verwalten. Mit der Zeit entwickelt sich daraus eine Art Polizei in den Lagern.

1970: PLO verlegt Hauptquartier nach Beirut

Als ein Aufstand gegen die jordanische Königsfamilie der PLO scheitert, verlegt die PLO ihr Hauptquartier von Jordanien in die libanesische Hauptstadt Beirut. Das militärische Hauptquartier wird in den Südlibanon verlegt, was zu einer Verschärfung der grenzüberschreitenden Konflikte zwischen Libanon und Israel führt.

1973: Operation "Zorn Gottes"

Israelische Spezialeinheiten landen an der libanesischen Küste und ermorden im Rahmen der Operation "Zorn Gottes" drei Anführer der PLO. Es handelt sich um eine Vergeltung für die Geiselnahme und Ermordung israelischer Olympiateilnehmer bei den Spielen 1972 in München durch die militante palästinensische Organisation "Schwarzer September".

1978: UN-Truppen im Libanon (UNIFIL)

Auf der Jagd nach militanten Palästinensern, die grenzüberschreitende Überfälle verübt haben, marschiert Israel in den Süden des Libanon ein. Es sucht unter anderem nach Kämpfern, die mehr als 30 israelische Zivilisten in einem gekaperten Bus getötet haben. Die israelischen Streitkräfte rücken bis zum Fluss Litani vor, fast 30 Kilometer hinter der Grenze.

Mit der Resolution 425 fordert der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ihren unverzüglichen Abzug. Dies umfasst auch die Einrichtung einer Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon (UNIFIL), die sicherstellen soll, dass die israelischen Kräfte abziehen, Frieden und Sicherheit wiederhergestellt werden und die libanesische Regierung die Autorität über das Gebiet wiedererhält. Diese UN-Truppe ist dort bis heute aktiv.

Blauhelm-Soldaten schaut aus der Luke eines gepanzerten Fahrzeugs, im Hintergrund die Fahnen der Palästinenser und der Hisbollah
Seit 46 Jahre im Einsatz: Soldaten der UNIFIL-MissionBild: Joseph Eid/AFP/Getty Images

1982: Gründung der Hisbollah

Im Juni marschiert Israel erneut in den Libanon ein, um PLO-Kämpfer zu jagen, die grenzüberschreitende Überfälle verübt haben. Israel hat zudem damit begonnen, eine libanesische christliche Miliz zu finanzieren und auszubilden, die sich gegen die PLO stellt, die Südlibanesische Armee (SLA).

Die Spannungen im Libanon haben sich stetig verschärft und schließlich 1975 zum Bürgerkrieg geführt, der bis 1990 dauern soll. In diesem Krieg unterstützt Israel die SLA im Kampf gegen andere Kräfte, die von Syrien unterstützt werden.

Beim Massaker von Sabra und Schatila töten rechtsnationale christliche ebenso wie andere Kräfte Hunderte Zivilisten in palästinensischen Flüchtlingslagern. Mehrere Untersuchungskommissionen kommen später zu dem Schluss, dass die israelischen Truppen, die die Lager umstellen, zwar nicht direkt für die Massaker verantwortlich sind, sie jedoch ermöglichen. Die Angaben zur Zahl der Todesopfer variieren, Experten gehen jedoch davon aus, dass bis zu 3000 Zivilisten getötet werden.

Dieser israelische Einmarsch in den Libanon führt schließlich zur Gründung der Hisbollah. Eine Gruppe schiitischer Geistlicher im Libanon beschließt, sich mit Waffengewalt gegen die Israelis zu wehren und wird dabei von der neuen theokratischen Regierung des Irans, die ebenfalls schiitisch ist, finanziell unterstützt und ausgebildet.

Hassan Nasrallah auf einem großen Bildschirm
Der aktuelle Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah (Juni 2024)Bild: EPA/WAEL HAMZEH

1985: Israel hält Sicherheitszone im Libanon besetzt 

Drei Jahre später zieht Israel sich schließlich aus der Region Beirut bis zum Fluss Litani zurück, wo es offiziell ein Gebiet von 850 Quadratkilometern zwischen dem Fluss und der israelischen Grenze besetzt hält. Israel begründet dies mit der Notwendigkeit einer Sicherheitszone, die israelische Zivilisten in Grenzsiedlungen schützen soll. Es greift dafür auf die Unterstützung der SLA zurück.

In den folgenden Jahren werden die Israelis in der Sicherheitszone zur Zielscheibe militanter Kräfte. Erst im Jahr 2000 wird sich Israel schließlich im Einklang mit Resolution 425 des UN-Sicherheitsrats von 1978 aus dem libanesischen Staatsgebiet zurückziehen.

1993: Operation "Verantwortlichkeit" oder Siebentagekrieg

Im Juli startet Israel die Operation "Verantwortlichkeit". Im Libanon wird die Aktion als Siebentagekrieg bezeichnet. Die Kämpfe beginnen nach einer Reihe von gegenseitiger Angriffe seitens Israel und Hisbollah in Grenznähe. Auf beiden Seiten sterben Zivilisten und Kämpfer. Hunderttausende werden vertrieben. Nach einer Woche vermitteln die USA einen Waffenstillstand.

1996: Operation "Früchte des Zorns"

Im April beginnt Israel die Operation "Früchte des Zorns", mit dem mutmaßlichen Ziel, die Zivilbevölkerung Richtung Beirut zu vertreiben und die libanesische Regierung dazu zu bringen, die Hisbollah zu entwaffnen. Den Bewohnern der Dörfer im Süden Libanons rät Israel, das Gebiet zu verlassen und beginnt mit massiven Bombardierungen.

Während der 17-tätigen Operation führt Israel etwa 600 Luftangriffe durch, bombardiert den Flughafen von Beirut sowie Kraftwerke und blockiert mehrere libanesische Häfen. Die Hisbollah antwortet mit Raketenangriffen. Zu beiden Seiten der Grenze werden Hunderttausende Zivilisten vertrieben.

Als Israel ein UN-Gelände in der Nähe des libanesischen Dorfes Kana mit Artillerie beschießt, werden über 100 Menschen getötet, die dort Schutz gesucht haben, darunter etwa 37 Kinder. Hunderte weitere werden verletzt, darunter auch UN-Friedenstruppen. Israel erklärt, bei dem Beschuss habe es sich um ein Versehen gehandelt. Die internationale Gemeinschaft verurteilt den Vorfall. Mitglieder von Al-Kaida werden später erklären, der Artillerieangriff auf Kana habe sie zu einem Angriff auf die USA motiviert.

Die Operation endet mit einer von den USA vermittelten Vereinbarung, in der festgestellt wird, dass Zivilisten keine legitimen Ziele sind.

2000: Israel hinter der Blauen Linie

Israel zieht sich aus dem Süden Libanons an die Blaue Linie zurück, eine von den Vereinten Nationen als temporäre Grenze gezogene Demarkationslinie, die es UNIFIL ermöglichen soll, den Rückzug der israelischen Truppen zu überwachen.

2006: Zweiter Libanonkrieg/Julikrieg

Die Hisbollah nimmt bei einem grenzüberschreitenden Angriff zwei israelische Soldaten gefangen und tötet weitere. Im Gegenzug für die Freilassung der gefangenen Soldaten fordert sie die Freilassung palästinensischer Gefangener. Israel weigert sich und startet eine fünfwöchige Militäraktion, die in arabischen Staaten als Julikrieg bekannt wird.

Bis zu einer Million Libanesen und eine halbe Million Israelis werden durch den Konflikt aus ihren Wohnorten vertrieben. Etwa 1200 Libanesen und 158 Israelis, nahezu alle Soldaten, werden getötet. Die Infrastruktur im Libanon wird schwer beschädigt.

Die Kämpfe enden mit einer Resolution des UN-Sicherheitsrats, in der die Entwaffnung der Hisbollah und der Rückzug der israelischen Streitkräfte gefordert werden. Das UNIFIL-Mandat wird dahingehend erweitert, dass UN-Truppen Feindseligkeiten in dem von ihr überwachten Grenzgebiet gewaltsam zu unterbinden.

Sowohl Israel als auch die Hisbollah verbuchen das Ergebnis als Sieg. Im Oktober 2006 hat sich Israel weitgehend zurückgezogen.

2023: Der Terroranschlag vom 7. Oktober

Seit 2006 kommt es regelmäßig zu gegenseitigen Angriffen und entsprechenden Vergeltungsaktionen in der israelisch-libaniesischen Grenzregion. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 eskaliert auch der Konflikt zwischen Hisbollah und Israel zusehends.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.