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PolitikLibanon

Libanon: der schwache Staat

27. September 2024

Die libanesische Regierung hat praktisch keinerlei Einfluss auf den Konflikt, der sich derzeit auf ihrem Territorium abspielt. Auch die Rolle der Armee spiegelt die chronische Schwäche des libanesischen Staates wider.

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Rauch nach einem Luftschlag in der Provinz Jezzine im Südlibanon
Rauch nach einem Luftschlag in der Provinz Jezzine im SüdlibanonBild: Rabih Daher/REUTERS

Einen "schmutzigen Krieg" führe Israel gegen den Libanon, erklärte dessen Premier Nadschib Mikati während der Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates Mitte dieser Woche in New York. Israel habe eine beispiellose Eskalation im Libanon zu verantworten und Hunderte von Zivilisten innerhalb weniger Tage getötet, "darunter Jugendliche, Frauen und Kinder", sagte Mikati. Darum setze er auf ein gemeinsames Kommuniqué Frankreichs und der USA, das internationale Unterstützung genieße und den "Krieg" beenden würde, so Mikati. Israel lehnt den Plan ab.

Die Rede zeigt: Die libanesische Regierung ist angesichts des Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah weitestgehend machtlos. Weder hat sie nennenswerten Einfluss auf das Vorgehen Israels, noch auf das der Hisbollah. Einmal mehr und auf besonders dramatische Weise zeigt sich dieser Tage die chronische Schwäche der libanesischen Regierung und des libanesischen Staates.

Der libanesische Premier Nadschib Mikati (r) am Rande der UN-Vollversammlung im Gespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, 25.9.2024
Der libanesische Premier Nadschib Mikati (r.) am Rande der UN-Vollversammlung, hier im Gespräch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, 25.9.2024Bild: Ludovic Marin/AFP/Getty Images

Eine lange Vorgeschichte 

Diese Schwäche hat eine lange Vorgeschichte. "Der Libanon wurde im frühen 20. Jahrhundert gewissermaßen als Staat der christlichen Maroniten im Bündnis mit der französischen Schutzmacht gegründet", sagt Markus Schneider, Leiter des Regionalprojekts für Frieden und Sicherheit im Mittleren Osten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut. "Der Geburtsfehler bestand dann darin, dass er von Anfang an große Gebiete mit nicht-maronitischen Bevölkerungsteilen umfasste. Der Konfessionalismus war dann letztlich ein Kompromiss, um die anderen Bevölkerungsteile einzubinden. Er hat dann aber die Herausbildung eines starken Nationalstaates verhindert."

Verstärkt wurde diese konfessionelle Struktur durch den 1975 ausgebrochenen libanesischen Bürgerkrieg, in dem sich vor allem die drei größten Konfessionen des Landes - Schiiten, Sunniten und maronitische Christen - gegenüberstanden. Nach Ende des Krieges 1990 setzte man auf ein austariertes konfessionelles System, das die Interessen der einzelnen Bevölkerungsgruppen ausgleichen sollte. "Dieses System hat aber dazu geführt, dass diese Gruppen immer wieder ihre eigenen Interessen auf Kosten der anderen Gruppen durchzusetzen versuchen", sagt Marcus Schneider. "Das schwächt den Staat weiterhin. Das zeigt sich etwa daran, dass sich das Land seit 2022 auf keinen Staatspräsidenten einigen kann." Mit der Zerrissenheit hängt auch die grassierende Korruption zusammen. "Wenn ein starker Staat nicht existiert, der gegen die Fliehkräfte im eigenen Land und den eigenen Institutionen vorgeht, entsteht eben leicht ein oligarchisches System, in dem sich jeder selbst bedient", sagt Schneider.

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Eine rücksichtslose Hisbollah

Zudem leidet das Land unter der schiitischen, von den USA, Deutschland und auch mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuften Hisbollah. Entstanden 1982 während des libanesischen Bürgerkrieges, wurde sie von Anfang an vom Iran massiv unterstützt, auch und vor allem militärisch. Das in Washington ansässige Wilson Center bezeichnete 2022 den bewaffneten Flügel der Hisbollah als "den gewaltigsten nichtstaatlichen militärischen Akteur im Nahen Osten - und wohl auch in der ganzen Welt".

Die Hisbollah war es auch, die Israel nach Beginn des Gazakrieges im Herbst vergangenen Jahres beschoss - ohne jegliche Absprache mit der übrigen Bevölkerung des Libanons. "Im Grunde hat die Hisbollah die Politik des Libanon als Geisel genommen", umreißt die Nahost-Expertin Kelly Petillo vom European Council on Foreign Relations das grundsätzliche Vorgehen der Schiiten-Miliz.

Ein gepanzerter Wagen der libanesischen Armee in Beirut, März 2024
Spiegel des Landes: die libanesische Armee. Szene aus Beirut, März 2024Bild: Elisa Gestri/Sipa USA/picture alliance

Eine schwache Armee im Libanon

Die Schwäche des Staats zeigt sich auch an der Passivität der libanesischen Armee (Lebanese Armed Forces, LAF). Gerade im südlichen Libanon befindet sie sich in einem Dilemma. Auf Grundlage der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates arbeitet sie dort mit der UN-Friedenstruppe (United Nations Interim Force in Lebanon, UNFIL) zusammen. Beide Truppen setzten sich aus jeweils 15.000 Soldaten zusammen.

Die Truppenpräsenz hängt mit dem Libanonkrieg des Jahres 2006 zusammen: Damals besetzte Israel Stellungen im Süden des Libanon. Wenn diese sich eines Tages zurückziehen, sollen die beiden Streitkräfte gemeinsam dafür sorgen, dass keine bewaffneten libanesischen Milizen in diese Stellungen nachrücken. Präsent sollen dort nur Truppen sein, die die libanesische Regierung dazu autorisiert hat. Diese Vereinbarung hat die Hisbollah bislang aber missachtet: Sie ist weiterhin in dem Gebiet präsent.

Militärisch ist die libanesische Armee relativ machtlos: Im Ranking des Global Firepower Index - er vergleicht die Stärke der nationalen Armeen weltweit - befindet sich die libanesische Armee auf Platz 118 von 145 Plätzen insgesamt. Der israelischen Armee könnte sie keinen ernsthaften Widerstand leisten - diese steht in dem Index auf Rang 17. Ebenso wenig wäre sie in der Lage, die Hisbollah militärisch einzuhegen. "Das dürfte den Libanon in einen Bürgerkrieg ziehen", sagt Marcus Schneider.

Das größte Problem der libanesischen Armee ist und bleibt aber ein politisches. Da sie nicht in der Hand einer einzigen Konfessionsgruppe liege, gelte die Armee grundsätzlich als eine der wenigen überkonfessionellen Institutionen des Landes, sagt Schneider. "Aber die Armee ist natürlich auch durch die Staats- und Wirtschaftskrise geschwächt. Darum wird sie finanziell, etwa mit Blick auf die Gehälter, unterstützt. Dahinter steht die Sorge, dass mit einem Zusammenbruch der Armee auch der libanesische Staat selbst stürzen könnte. Die politischen Probleme des Staats kann die Armee aber natürlich nicht lösen."

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika