Neue Töne in der Flüchtlingdebatte
27. Juli 2015Rund 70 Vertreter von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beraten dabei über die steigenden Flüchtlingszahlen. Eingeladen dazu hatte eben der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Bereits im Herbst hatte es einen ersten Gipfel gegeben. Seitdem sind die Flüchtlingszahlen aber so rasant gestiegen, dass die damals beschlossenen Maßnahmen zum Teil überholt sind.
Um den Migrationsdruck aus den Ländern des Westbalkans zu mindern, schlug Kretschmann vor, diesen Ländern ein "maßgeschneidertes Einwanderungsangebot" zu machen: "Wir könnten Einwanderungskorridore für die hiesigen Mangelberufe, etwa für das Pflegepersonal, schaffen", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Der Westbalkan – das sind die Länder Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien – gehöre zu Europa und müsse stabilisiert werden.
Nicht alle können aufgenommen werden
Hintergrund des Vorschlags ist, dass Asylbewerber aus den genannten Ländern derzeit kaum eine Chance haben, in Deutschland anerkannt zu werden. Das Asylsystem ist strikt von anderen Zuwanderungswegen getrennt. Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, kann nicht einfach aus diesem Verfahren ausscheren und ein Arbeitsvisum beantragen. Von vielen Flüchtlingen, die in Deutschland Asyl beantragen, aber fast alle abgelehnt werden, hätten einige durchaus Chancen auf eine Aufenthaltserlaubnis - wenn sie denn in ihrer Heimat ein Arbeitsvisum beantragen würden. Zumindest dann, wenn sie eine Qualifikation haben, die in Deutschland besonders gefragt ist.
Kretschmann will zudem den Druck auf abgelehnte Asylbewerber und Wirtschaftsflüchtlinge erhöhen, damit sie aus freien Stücken in ihr Heimatland zurückreisen: "Wir werden die Beratung gezielt verstärken, damit abgelehnte Asylbewerber freiwillig zurückkehren. Aber wir werden auch über Restriktionen reden, wenn abgelehnte Asylbewerber sich der Rückführung entziehen", sagte er der FAZ. Es sei nur möglich, jene Flüchtlinge aufzunehmen, deren Schutz vom Grundrecht auf Asyl gedeckt sei.
Bundeswehr prüft Unterstützung
Die 16 Bundesländer beklagen seit langem die steigenden Kosten für die Flüchtlingsversorgung. Die Ausgaben allein für Asylbewerber dürften sich in diesem Jahr auf 2,2 Milliarden Euro verdoppeln. Daher wächst der Druck auf die Bundesregierung Länder und Kommunen finanziell stärker zu unterstützen. Der Bund werde hier seiner Verantwortung zu zurückhaltend gerecht, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig der Deutsche Presseagentur.
Zunehmend erschöpft sind auch die Unterbringungsmöglichkeiten. In mehreren Kommunen werden bereits provisorische Zeltstädte aufgebaut. Deshalb prüft die Bundeswehr, in welcher Form sie logistische Unterstützung leisten kann. Bisher habe man deutschlandweit acht Kasernen mit einer Kapazität für 3500 Menschen bereitgestellt, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Kretschmann will deshalb den Kommunen Liegenschaften des Landes künftig kostenlos zur Flüchtlingsunterbringung anbieten.
Kein Ende der fremdenfeindlichen Angriffe
Unterdessen reißt die Serie fremdenfeindlicher Angriffe aus Asylbewerber nicht ab. In Dresden flogen am Sonntagabend aus einer Gruppe von 30 Menschen heraus Steine auf ein Asylbewerberheim. Dabei gingen mehrere Scheiben zu Bruch. Erst in der Nacht zum Samstag hatten in Brandenburg an der Havel Unbekannte vor der Wohnung einer Flüchtlingsfamilie eine mit Brandbeschleuniger getränkte Zeitung angezündet. Die 24-jährige Mutter von zwei Kindern bemerkte den Brandgeruch und alarmierte ihren Mann, der das Feuer löschen konnte.
gmf/ml (afp, epd, kna, rtr)