Lebenslang für Dutroux
23. Juni 2004Der Vorsitzende Richter des Schwurgerichts von Arlon, Stephane Goux, verlas über eineinhalb Stunden die Urteilsbegründungen und das Strafmaß gegen Marc Dutroux und seine drei Mitangeklagten. Schlusspunkt des so genannten Jahrhundertprozesses in Belgien. Erleichterung und Genugtuung bei den Nebenklägern, Opfern und Angehörigen im Saal.
Ein letztes verbales Aufbäumen des Hauptangeklagten kurz zuvor: Der dreifache Mörder schockte mit seinem letzten Wort seine beiden überlebenden Opfer, die Angehörigen der vier ermordeten Mädchen, aber auch seine Anwälte. Mit den vier toten Mädchen habe er nicht mehr zu tun, als jemand, der einen Autounfall verursache, ließ Belgiens schlimmster Verbrecher hinter Panzerglas auf der Anklagebank das Gericht wissen. Mein Kampf ist noch nicht zu Ende, sagte Dutroux.
Dem Vorsitzenden Richter Stephane Goux wurde es zuviel, er belehrte Dutroux, etwas zu seiner Verteidigung zu sagen, um das Strafmaß zu beeinflussen, ansonsten aber zu schweigen. Doch Dutroux nutzte den wahrscheinlich letzten öffentlichen Auftritt seines Lebens nicht, um seine Netzwerkthese zu stützen. Der uneinsichtige Dutroux hatte behauptet, er sei nur Werkzeug dunkler Hintermänner gewesen, hatte diese aber nie genannt.
Keine Aussicht auf vorzeitige Entlassung
Die zwölf Jury-Mitglieder und die drei Richter entschieden nur noch über das Strafmaß für Dutroux und die drei Mitangeklagten. Dutroux war bereits letzte Woche des Mordes an zwei Mädchen und an einem Komplizen schuldig gesprochen worden. Er hatte alle sechs Mädchen entführt, gefangen gehalten und vergewaltigt. Dafür wird der 47-Jährige nun bis zu seinem Lebensende in Haft sitzen. Eine Aussicht auf vorzeitige Entlassung oder Begnadigung hat der Mann, der Belgien mit seinen grausamen Taten jahrelang in Atem hielt, nicht.
Bereits 1989 war Dutroux wegen Entführung und Vergewaltigung zu 13 Jahren Haft verurteilt worden, aber bereits 1992 wegen guter Führung entlassen worden. Bei der Überwachung Dutrouxs und bei den Ermittlungen gegen ihn wegen der neuen Entführungen 1995 und 1996 versagten die belgischen Polizei- und Justizbehörden zunächst sträflich.
Dutroux verursachte Staatskrise
Dutroux ehemalige Ehefrau Michelle Martin muss für 30 Jahre ins Gefängnis. Sie war Komplizin und hat die beiden Mädchen Julie und Melissa, beide acht Jahre alt, im Keller ihres Hauses verhungern lassen. Die Leichen aller vier ermordeten Mädchen und des Komplizen Bernard Weinstein waren auf Grundstücken Dutrouxs verscharrt worden.
Michel Lelièvre war an allen Entführungen und der Beseitigung der Leichen beteiligt und muss als Mittäter 25 Jahre ins Gefängnis. Nicht in allen Anklagepunkten wurde Michel Nihoul verurteilt. Er muss sich wegen Menschenhandels, Drogenhandels und Mitgliedschaft in einer kriminellen Bande, nicht aber wegen direkter Beteiligung an den Verbrechen an den sechs Mädchen verantworten. Er erhielt eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren.
Der Prozess hatte nach fast achtjährigen Ermittlungen am 1. März 2004 begonnen. Die vier Angeklagten waren bereits im August 1996 festgenommen worden. Die Vermutung, hinter Dutroux könnte ein ganzer Pädophilenring stecken, zog die Ermittlungen in die Länge. Belgien rutschte wegen der Affäre in eine Staatskrise, die zum Rücktritt mehrerer Minister und zu einer Polizeireform führte. Gegen das Urteil des Schwurgerichts ist keine Berufung vor einer höheren Instanz möglich. Lediglich wegen Verfahrensfehlern kann das höchste Strafgericht Belgiens in der Revision angerufen werden.