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Essen vom Dach

5. November 2011

Lebensmittel legen per Lastwagen, Zug, Schiff oder Flugzeug oft Tausende Kilometer zum Kunden zurück. Muss das sein? Die urbane Landwirtschaft könnte frisches Obst und Gemüse ohne Umwege direkt auf den Tisch bringen.

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Gemüse (Foto: Fotolia/Olga Lyubkin)
Bild: Fotolia/Olga Lyubkin

Spanische Gurken beim Gemüsehändler in Deutschland, Salat aus Kalifornien im New Yorker Supermarkt, Südafrikanische Trauben in europäischen Obsttheken, Gemüsegroßmärkte, LKW-Zufahrten, Güterbahnhöfe und Häfen. Moderne Gesellschaften leisten sich eine riesige Logistik, um Millionen von Städtern Tag für Tag mit Lebensmitteln zu versorgen. Was liegt da näher, als die Nahrungsmittelproduktion dorthin zu holen, wo die Menschen leben, nämlich in die Stadt.

Platz dafür gebe es genug, mein Volkmar Keuter vom Fraunhofer Institut für Umwelt- Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen. Vor allem die Flachdächer vieler Gebäude seien ein idealer Ort für Gewächshäuser, weil Industriebetriebe oft Abwärme produzieren, die man für einen Betrieb des Gewächshauses im Winter nutzen kann. Auch Bürogebäude seien dafür ideal. "Dort gibt es größere Serverräume, da wird Abwärme zur Kühlung der Computer produziert. Diese Abwärme kann man auch nutzen", so der Umwelt-Ingenieur.

Ein Gewächshaus auf einem Dach in den USA(Foto: Volkmar Kreuter, Fraunhofer UMSICHT) undatiert, eingestellt November 2011
Ungenutzte Dächer gibt es überallBild: Volkmar Kreuter, Fraunhofer UMSICHT

Gebäude in der Stadt haben der Landwirtschaft aber noch mehr zu bieten, zum Beispiel Dünger. So enthalten die Abwässer der Gebäude viele Nährstoffe wie Phosphor, Stickstoff und Kalium, die sich nutzen lassen. Allerdings müssten diese zuvor aufbereitet und hygienisiert werden, damit die Wurzeln der Pflanzen bakterienfrei versorgt werden. Zwar müsse der städtische Landwirt dazu größere Investitionen in die Aufbereitungstechnik stecken, aber danach spare er viel Geld, versichert Keuter.

Kreislaufsysteme sparen Wasser und Dünger

Um Gemüse auf dem Dach zu ziehen, eigenen sich am besten sogenannte hydroponische Anlagen. Dabei wachsen die Pflanzen nicht in Erde auf, sondern in Töpfen, die mit künstlichen Granulaten, Fasern oder Tonkügelchen gefüllt sind oder in Rinnen, in denen das Wasser in einem hauchdünnen Film einfach an den freiliegenden Wurzeln vorbeiströmt. Eine Bewässerungsanlage liefert das Wasser. Dieses kommt aus einem zentralen Tank und läuft, nachdem es an den Wurzeln war, wieder in den Tank zurück. Dort kann der Landwirt ständig den PH-Wert des Wassers kontrollieren.

Nahaufnahme eines hydroponischen Pflanzungssystems, in dem Gemüse gezüchtet wird. (Foto: Volkmar Kreuter, Fraunhofer UMSICHT)
Keine Verluste bei hydroponischer BewässerungBild: Volkmar Kreuter, Fraunhofer UMSICHT

Über die elektrische Leitfähigkeit des Wassers ermittelt er den Nährstoffgehalt. So kann er für jede Pflanze optimale Wachstumsbedingungen schaffen. Außerdem gehen weder Wasser noch Dünger verloren, weil ja alles wieder ins System zurückfließt. Im klassischen Ackerbau hingegen müssen Landwirte oft überhöht hinzudüngen, weil der Regen die Nährstoffe wieder auswäscht. Sie belasten dann das Grundwasser und gehen den Pflanzen verloren. "Sie können durch Einsatz eines hydroponischen Systems einen zehn- bis zwanzigfachen Ertrag gewährleisten", betont Keuter.

Ein weiterer Vorteil ist das geringe Gewicht der Blumentöpfe. Denn die Pflanzen kommen ohne schwere Erde aus. Das ist wichtig, weil die meisten Dachkonstruktionen nicht sehr tragfähig sind. Geeignete Dachflächen gibt es jedenfalls genug. Alleine in Deutschland schätzt Keuter diese auf 36.000 Hektar. Das ist dreimal soviel wie die Gesamtfläche aller Gewächshäuser in den Niederlanden.

Gestapelte Agrarflächen mit LED-Beleuchtung

Auf 1000 Quadratmetern Dachfläche ließen sich immerhin etwa 40 Tonnen Gemüse im Jahr produzieren. "Das kann Salat sein, das können Tomaten sein. Das können aber auch Bohnen oder Zucchini sein", erklärt der Ingenieur.

Und weil die landwirtschaftlichen Flächen weltweit immer weiter zurückgehen, sei es auch denkbar, Gewächshäuser gestapelt in Hochhäusern unterzubringen. Dann müssten die Pflanzen allerdings künstlich beleuchtet werden. Aber auch das sei mit moderner LED-Technik mittlerweile energiesparend machbar.

Ein Gewächshaus über den Dächern von Manhattan. Darin ist ein hydroponisches Pflanzungssystem aufgebaut, in dem Gemüse gezüchtet wird. (Foto: Volkmar Kreuter, Fraunhofer UMSICHT)
Ein Gemüsegarten über den Dächern von ManhattanBild: , Volkmar Kreuter, Volkmar Kreuter, Volkmar Kreuter, Volkmar Kreuter, Fraunhofer UMSICHT

"Ich finde gut daran, dass man gleichzeitig auch Kinder und Schüler an dieses Thema heranführen und ihnen zeigen kann, was Landwirtschaft ist: Wie wird geerntet, wie wachsen die Produkte?" meint der Kölner Architekt Stefan Schmitz. Er hat sich in China mit der Entwicklung grüner Städte befasst. Deshalb begeistert ihn an der Idee der städtischen Landwirtschaft vor allem die Nähe zu den Menschen.

Erlebnis-Shopping

In Amerika und China gibt es diese urbane Gewächshäuser-Landwirtschaft schon. Diese stehen dort zwar nicht auf Industriedächern, sind aber trotzdem für Städter gut zu erreichen. Einige solche Projekte hat sich Schmitz angeschaut. Sie waren mit Freizeiteinrichtungen verbunden, wie Pferdereiten für Kinder, Golf oder Schulungsprogrammen für Kinder. "Das kann man eigentlich auch als urbane Landwirtschaft beschreiben. Das sind zwar Projekte, die in die Fläche gehen, die aber sehr nah an der Stadt sind und einen großen Interessens- und Lerneffekt für die Bevölkerung haben", so der Architekt.

Und es gebe auch Investoren, die damit bereits ordentlich Geld verdienen. Auch bei Einkaufszentren könnte sich die städtische Landwirtschaft kommerziell lohnen, meint er. Das Shopping-Erlebnis könne jedenfalls ganz besonders sein: "Man läuft durchs Kaufhaus und kauft ein: Ganz normal, Kleider und so etwas. Und dann geht man aufs Dach und steht im Gewächshaus und kann frische Früchte pflücken. Man hat einen Korb und geht durch diese Gewächshäuser und füllt den Korb. Am Schluss wird es gewogen und man bezahlt". Das Ganze könne funktionieren wie ein Selbstbedienungsladen, aber nicht verpackt wie im Supermarkt, sondern direkt von der Natur.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Judith Hartl