Lambrecht, die Bundeswehr und die Debatte um den Leopard 2
16. Januar 2023Es war ein Rücktritt mit Ansage. Die ersten Gerüchte über den Amtsverzicht von Christine Lambrecht als Bundesverteidigungsministerin machten am Freitagabend die Runde, am Montagmorgen war es tatsächlich so weit. Lambrecht reichte bei Kanzler Olaf Scholz offiziell ihren Rücktritt ein. Der hatte bis zum Schluss an seiner Ministerin festgehalten und sie noch im Dezember als "erstklassig" bezeichnet.
Dabei war das Amtsjahr von Christine Lambrecht eine Aneinanderreihung von Pleiten und Pannen. Angefangen damit, dass die frisch ernannte Ministerin erst einmal in den Urlaub fuhr, anstatt sich in die Arbeit zu stürzen. Das tat sie anscheinend auch nach ihrem Urlaub nicht. Immer wieder wurde bei öffentlichen Auftritten klar, wie beschränkt ihr Fachwissen war - und blieb. Egal ob es sich um Dienstgrade handelte, um den Unterschied zwischen einer Kompanie und einer Division oder die Funktion von militärischem Gerät.
Pumps in der Wüste
Wiederholt leistete sie sich stilistische Pannen: Beim Truppenbesuch in Mali trug sie Stöckelschuhe zur schusssicheren Weste. Zu Ostern tauchte ein Foto ihres erwachsenen Sohns in einem Helikopter der Bundeswehr auf. "Ich bin als Ministerin in der Situation, dass ich sehr wenig Zeit habe für mein Privatleben und für meinen Sohn", konterte Lambrecht, damit konfrontiert, dass sie ihren Sohn auf eine Dienstreise zu einer Einheit in Norddeutschland mitnahm, um anschließend mit ihm in die Ferien auf Sylt weiterzureisen.
Zuletzt sorgte ein Silvestervideo für Häme und Kritik. Darin ließ die Ministerin, umgeben von feiernden Menschen und Böllerlärm, das vergangene Jahr Revue passieren. Mitten in Europa tobe ein Krieg, sagte sie, und damit seien für sie viele besondere Eindrücke verbunden gewesen. Sie habe "viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen" gehabt. Viele empfanden das Video als peinlich und fragten sich, wie einer erfahrenen Politikerin eine solche Kommunikationspanne unterlaufen könne.
Nachfolge offen
Wer die Truppe nach Lambrechts Rücktritt führen wird, ist noch nicht bekannt. Wenn das Kabinett von Olaf Scholz weiterhin paritätisch aus Männern und Frauen besetzt sein soll, müsste es wieder eine Frau sein. Dafür käme zum Beispiel die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, in Frage.
Wie Lambrecht ist die 54-Jährige gelernte Juristin und galt als fachfremd, als sie 2020 Wehrbeauftragte wurde. Doch Högl arbeitete sich schnell ein. Inzwischen wird ihr von vielen Seiten attestiert, mit den Strukturen der Bundeswehr bestens vertraut zu sein. Sie kenne die Probleme der Soldatinnen und Soldaten, wisse, wo es in der Truppe klemmt.
Alte Geräte, zu wenig Munition und Personal
Am Wochenende veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, FAS, ein Interview mit Eva Högl, in dem die Sozialdemokratin unmissverständlich klarmacht, wo für sie nach wie vor die Herausforderungen für die Bundeswehr liegen: In der Krise im Beschaffungswesen, in einer fehlenden Strukturreform und einem riesigen Personalproblem.
100 Milliarden Euro hat Bundeskanzler Olaf Scholz der Bundeswehr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine versprochen. Bislang würden die Soldaten nicht spüren, dass von dem Sondervermögen in der Truppe etwas angekommen wäre, so Högl gegenüber der FAS. Schon mehrfach hat die Wehrbeauftragte Vorschläge für eine Beschleunigung der Beschaffungsverfahren vorgelegt. Im Dezember forderte sie vom Verteidigungsministerium einen regelmäßigen Bericht, um nachvollziehen zu können, wofür das Sondervermögen ausgegeben wird. Eine Antwort erhielt sie bislang nicht.
100 Milliarden Euro reichen nicht aus
Es gebe bei der Truppe eine enorme Erwartungshaltung, seit das Sondervermögen beschlossen wurde, so Högl gegenüber der FAS. "Sie müssen jetzt spüren, dass davon bei ihnen etwas ankommt." Doch auch das macht Högl klar: "Von Expertinnen und Experten sowie aus der Truppe höre ich: Man bräuchte 300 Milliarden Euro, um in der Bundeswehr signifikant etwas zu verändern. Das scheint mir nicht aus der Luft gegriffen zu sein."
Allein für die Beschaffung von Munition würden mindestens 20 Milliarden Euro benötigt. Neue Fregatten, Panzer oder F-35-Kampfflugzeuge kosten ebenfalls Milliarden; dazu kämen Personalkosten, Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung. "Es gibt unendlich viel, das instand gesetzt oder neu beschafft werden muss", so Högl. "Dass die schnelle Eingreiftruppe der NATO jetzt mit dem Marder-Panzer bestritten werden muss, der mehr als 50 Jahre alt ist, zeigt, wie groß der Modernisierungsbedarf ist."
Das Kanzleramt entscheidet
Mit dem Debakel um den Schützenpanzer Puma hatte Christine Lambrecht noch im Dezember Schlagzeilen gemacht: Bei einer Schießübung waren alle 18 eingesetzten Schützenpanzer ausgefallen. Die Ministerin legte daraufhin einen Nachkauf weiterer Puma und die Beteiligung des Panzers an der Schnellen Eingreiftruppe auf Eis. Im Nachhinein wohl etwas vorschnell. Bei einer Schadensanalyse wurden überwiegend kleinere und mittlere Schäden festgestellt, 17 Puma-Panzer sind inzwischen wieder repariert.
Wer auch immer nach Lambrecht das Verteidigungsressort übernimmt, muss vor allem die Lage beruhigen, die Bundeswehr so weit es geht auf Kurs bringen und darüber hinaus das administrativ umsetzen, was im Kanzleramt beschlossen wird. Denn die großen Beschlüsse sind ohnehin Chefsache. So war es beim Festhalten an der nuklearen Teilhabe mit dem US-Tarnkappen-Jet F-35 und bei der Sofort-Initiative für eine deutsche und europäische Raketenabwehr mit dem israelischen Arrow-3-System.
Leopard 2 für die Ukraine?
In der Diskussion, ob nun Kampfpanzer in die Ukraine geliefert werden oder nicht, ist das nicht anders. Der Kanzler bremst und will sich nicht treiben lassen. Alle Entscheidungen würden ausschließlich abgestimmt und koordiniert "mit unseren Freunden und Verbündeten" fallen, sagt er immer wieder - zuletzt am vergangenen Freitag bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt.
"Dieses Prinzip werden wir auch beibehalten", betonte Scholz. "Es wird also nicht dazu kommen, dass in Deutschland aufgeregte Stellungnahmen, schnelle Äußerungen oder die Notwendigkeit, alle zehn Minuten etwas sagen zu müssen, dazu führen, dass wir über so ernste Dinge, die mit Krieg und Frieden und mit der Sicherheit unseres Landes sowie der Sicherheit Europas zusammenhängen, einfach mal so etwas aus der Hand schütteln."
Was kann die Bundeswehr überhaupt noch entbehren?
Will heißen, egal wie sehr in Deutschland und Europa über Leopard-2-Lieferungen diskutiert wird: Scholz bleibt bei seiner Meinung. "Unter den Waffen, die wir geliefert haben, sind sehr leistungsfähige, wirkungsvolle Waffen. Dazu zählen die Panzerhaubitzen, die einen ganz substanziellen Beitrag zur Entwicklung der Verteidigung der Ukraine leisten, und dazu zählt selbstverständlich unser Mehrfachraketenwerfer MARS, den wir nach einer Verständigung, die ich mit Großbritannien und den USA herbeigeführt habe, geliefert haben." Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger finde das Vorgehen der Regierung bei Waffenlieferungen richtig.
Die Wehrbeauftragte Högl folgt dieser Linie, begründet die deutsche Zurückhaltung aber auch mit eigenen Interessen der Bundeswehr. "Leopard-2-Panzer würden der Ukraine sicher entscheidend helfen. Aber man muss abwägen, ob die Bundeswehr sie wirklich entbehren kann", sagte sie gegenüber der FAS. "Die rote Linie für die Bundeswehr ist aber immer die eigene Einsatzbereitschaft. Und gerade jetzt, wo wir den Leitverband bei der schnellen Einsatztruppe der NATO stellen, müssen wir auf diese rote Linie besonders achten."
Es sei richtig und "absolut notwendig", die Ukraine nach Kräften zu unterstützen, für die Bundeswehr bedeute das aber einen Kraftakt, weil sie selbst nicht genug Material habe, um für ihre Einsätze gewappnet zu sein. "Weder bei der Bündnisverteidigung noch im internationalen Krisenmanagement."
Verteidigungsminister treffen sich in Ramstein
Ob Deutschland bei seiner Linie bleiben kann, erscheint angesichts der internationalen Debatte über Kampf-Panzer allerdings fraglich. Am 20. Januar treffen sich die Nato-Verteidigungsministerinnen und -minister erneut auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein im Südwesten Deutschlands, um über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu sprechen.
Großbritannien will der Ukraine 14 Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 überlassen. Polen möchte Leopard-Panzer an die Ukraine liefern, auch Finnland ist dafür. Da die Leopard-Panzer in Deutschland entwickelt und produziert wurden, müsste die Bundesregierung das aber explizit erlauben, da die Weitergabe von Rüstungsgütern aus deutscher Produktion an Dritte genehmigt werden muss.
SPD-Chef Lars Klingbeil kündigte am Sonntag im ZDF an, von Ramstein werde ein klares Signal der Unterstützung für die Ukraine ausgehen. Auf die Frage nach möglichen Leopard-Panzern an die Ukraine sagte er, es gebe "keine roten Linien", aber Deutschland könne "nur Dinge liefern, die auch da sind".