1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kampfzone Kiew

22. Januar 2014

Brennende Reifen und Wasserwerfer: Der Machtkampf zwischen Regierung und Opposition in der Ukraine spitzt sich zu. Bei den Protesten in Kiew wurden fünf Menschen getötet. Ein Krisentreffen blieb ohne greifbares Ergebnis.

https://p.dw.com/p/1Avme
Demonstranten verbrennen Autoreifen im Zentrum Kiews (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

In Kiew brennen die Barrikaden

Die Zusammenstöße in der ukrainischen Hauptstadt Kiew werden immer härter und immer blutiger. Wie der Koordinator der Rettungskräfte der Opposition, Oleg Musij, dem Oppositionssender Hromadske sagte, wurden fünf Demonstranten seit Mitternacht getötet. Laut der Nachrichtenseite "Ukrainska Pravda" hatten vier der fünf Tote Schussverletzungen. Ärzte behandelten etwa 300 Verletzte. Ukranische Medien berichteten, in einem Wald bei Kiew seien zwei Leichen mit Folterspuren gefunden worden.

Offiziell wurden bis Mittwochabend von der Justiz zwei Tote bestätigt. Beide sollen erschossen worden sein. Die Opposition machte Polizei-Scharfschützen dafür verantwortlich, die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein. Die Opposition meldete, ein Mann sei am Dienstag seinen Verletzungen erlegen, die er am Sonntag bei einem Sturz von einem Dach an einem Stadioneingang nahe der Proteste erlitten hatte.

Immer mehr Gewalt

In Kiew brennen die Barrikaden

Damit sind die seit November andauernden Proteste nach der Verschärfung des Demonstrationsrechts am Freitag erstmals in Gewalt umgeschlagen. Während ein kleiner Teil radikaler Demonstranten die Polizei mit Molotow-Cocktails, Baseballschlägern und Steinen angreift und immer wieder Barrikaden errichtet, gehen die Sicherheitskräfte mit großer Härte unter Einsatz von Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen die Unruhestifter vor.

Trotz eines massiven Polizeiaufgebots kamen auch am Mittwoch wieder zahlreiche Menschen zum Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Einige Demonstranten setzten Autoreifen in Brand. Dicke schwarze Rauchwolken zogen in die Reihen der Bereitschaftspolizisten.

Dreistündiges Spitzentreffen

Präsident Janukowitsch (2. von links) empfängt die Oppositionsführer zum Krisengespräch (Foto: dpa)
Präsident Janukowitsch (2. von links) empfängt die Oppositionsführer zum KrisengesprächBild: picture-alliance/dpa

Ein Krisentreffen im Präsidialamt blieb anscheinend ohne greifbares Ergebnis. An dem dreistündigen Treffen nahmen neben Präsident Viktor Janukowitsch die Oppositionspolitiker Vitali Klitschko, Arseni Jazenjuk und Oleg Tjagnibok sowie Justizministerin Jelena Lukasch teil. Das Präsidentenbüro sprach danach von einem "ersten Schritt" im Verhandlungsprozess. Nach Aussage der Oppositionspolitiker gab es kein konkretes Ergebnis.

Auf dem Maidan rief Klitschko rief danach die Demonstranten auf, sich einer Räumung des Platzes durch die Polizei zu widersetzen. Der Ex-Boxweltmeister appellierte an die Polizisten, zur Opposition überzulaufen. Falls der Präsident keine Zugeständnisse mache, werde man am Donnerstag in die Offensive gehen. Janukowitsch könne dies verhindern, wenn er vorgezogene Wahlen ansetze. Die Kundgebung begann mit einer Schweigeminuten für die Todesopfer.

Zuvor hatten sich Regierung und Opposition gegenseitig die Schuld für die Zuspitzung zugeschoben. Klitschko machte Präsident Viktor Janukowitsch verantwortlich: "Heute schießt die Regierung als Antwort auf die Forderungen der Menschen auf das eigene Volk." Die Regierung wies die Verantwortung für die Eskalation zurück und brandmarkte die Demonstranten als Terroristen.

Barroso deutet Sanktionen an

EU-Kommissionspräsident Barroso zeigte sich schockiert vom Tod der Demonstranten: "Wir werden die Entwicklung ganz genau beobachten und prüfen, was wir seitens der Union tun können und ob unsere Beziehungen zur Ukraine überprüft werden müssen", sagte er in Brüssel.

Das US-Außenministerium forderte beide Seiten zur Deeskalation auf. Die zunehmenden Spannungen seien die direkte Folge der Weigerung der Regierung, mit der Opposition in einen echten Dialog zu treten, sowie eine Konsequenz der jüngsten anti-demokratischen Gesetze, sagte eine Sprecherin. Die USA zog die Visen für mehrere in die Unruhen verwickelte ukrainische Regierungsvertreter zurück.

DW Korrespondent Markus Reher aus Kiew

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verurteilte die tödliche Gewalt in Kiew. Er verstehe "eine frustrierte Opposition, die seit Tagen und Wochen spürt, dass sich nichts bewegt", sagte er im schweizerischen Montreux. In Richtung Janukowitsch sagte Steinmeier: "Gewalt ist keine Lösung." Dies werde er auch umgehend gegenüber ukrainischen Gesprächspartnern "zum Ausdruck bringen".

Timoschenko will Aufstand

Nach den tödlichen Schüssen auf Regierungsgegner in Kiew hat die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko die Ukrainer zum Aufstand gegen Präsident Viktor Janukowitsch aufgerufen. "Das Blut der Helden der Ukraine klebt an den Händen von Janukowitsch", erklärte die Ex-Regierungschefin. Die 53-Jährige forderte die Sicherheitskräfte auf, zu den Demonstranten überzulaufen: "Belastet Eure Seelen nicht mit dem Blut von Ukrainern." Timoschenko betonte, die internationale Gemeinschaft müsse eine "zweite große Front" gegen die "Diktatur" eröffnen.

Regierung und Opposition ringen seit November um die Macht, nachdem Präsident Janukowitsch ein mit der EU ausgehandeltes Partnerschaftsabkommen platzen ließ und stattdessen das Land wieder stärker an Russland anlehnte. Einen neuen Höhepunkt fanden die Proteste am Sonntag, als mehr als 100.000 Menschen gegen die vom Parlament verabschiedete Einschränkung des Demonstrationsrechts protestierten.

kle/sc (afp, dpa, rtr)