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Labour vor Linksruck?

Christoph Ricking5. August 2015

Nach der desaströsen Wahlniederlage sucht die britische Labour-Party einen neuen Vorsitzenden. In Umfragen liegt überraschend der linke Außenseiter Jeremy Corbyn vorn – sehr zur Sorge einflussreicher Parteigrößen.

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Großbritannien Jeremy Corbyn Politiker
Bild: picture alliance/ZUMA Press

Wenn es um parteipolitische Angelegenheiten geht, meldet sich Tony Blair nicht oft zu Wort. Doch diesmal sah sich der britische Ex-Premier gezwungen, in die Diskussion um den Vorsitz der Labour Party einzugreifen. "Wer sein Herz Corbyn schenkt, der braucht eine Transplantation", warnte Blair seine Parteikollegen mit Blick auf den strammlinken Bewerber.

Eigentlich galt der ehemalige Gesundheitsminister Andy Burnham als Favorit im Rennen um die Wahl für den Parteivorsitz am 12. September. Doch in Umfragen liegt nun überraschend der ultralinke Außenseiter Jeremy Corbyn vorn und versetzt die britischen Sozialdemokraten in helle Aufregung.

Die Aufregung hat einen guten Grund: Corbyn ist links aus Überzeugung. Er demonstrierte leidenschaftlich gegen den Irak-Krieg und fordert, dass Tony Blair wegen Kriegsverbrechen angeklagt wird. Der Vegetarier, Autogegner und Antialkoholiker will die Studiengebühren in Großbritannien abschaffen und Post und Bahn verstaatlichen.

Corbyn kämpft auch gegen atomare Aufrüstung, und will, dass Großbritannien aus der NATO austritt. Das Freihandelsabkommen mit den USA sieht er kritisch, die Reichen will er stärker besteuern. In seiner langen politischen Karriere engagierte er sich für die Abschaffung der Apartheid in Südafrika, knüpfte Kontakt zu Sozialisten in Venezuela und zur Hamas in Palästina.

Andy Burnham (Foto: Lynne Cameron/PA Wire)
Ex-Gesundheitsminister Andy Burnham galt zunächst als Favorit für den Labour-Vorsitz.Bild: picture-alliance/empics/L. Cameron

Politk und Eheprobleme

Damit nicht genug: Er kritisiert sowohl den Kapitalismus ab als auch die Monarchie. Bei der Beerdigung von Queen Mum 2002 trug Corbyn eine knallrote Jacke. Sogar seine Ehe scheitere an der kompromislosen Kohärenz. Mit seiner zweiten Frau stritt er sich darum, auf welche Schule der Sohn gehen sollte. Für ihn kam nur eine Gesamtschule infrage, seine Frau bevorzugte ein Gymnasium. Über den Streit ließ sich das Paar scheiden.

Für die Labour-Führungsriege würde Corbyns Wahl zum Vorsitzenden die Partei unwählbar machen. "Ein Sieg Corbyns würde unsere Welt zu einer Tory-Zukunft verdammen", warnte Yvette Cooper, eine der drei Kandidaten, die neben Corbyn um den Parteivorsitz kämpfen.

Liz Kendall, die ebenfalls für den Parteivorsitz kandidiert und Tony Blair nahe steht, warnte davor, dass Labour sich unter Corbyn zu einer britischen Syriza entwickeln werde. Der langjährige Labourabgeordnete John Mann bezeichnete den Wahlkampf als Farce und fordert gar den Abruch.

Jeremy Corbyn ist in der Labour-Partei für seine Eigenwilligkeit bekannt. Seit über 30 Jahren sitzt der 66-Jährige mit dem weißen Bart für den Londoner Stadtteil Islington im Unterhaus. Ein hohes Amt hatte er nie inne, nie war er Mitglied eines Schattenkabinetts.

Rebell aus dem Außenbezirk

Stattdessen profilierte er sich als rebellischer Hinterbänkler: Kein Abgeordenter der Labour Party widersetzte sich so häufig dem Fraktionszwang und stimmte gegen die Parteilinie, wie Corbyn – zwischen 2005 und 2010 waren es über 200 Mal.

Während die Parteiführung Corbyn unbedingt verhindern will, kommt er bei der Basis gut an. Bei seinen Wahlveranstaltungen stehen die Menschen Schlange. Unterstützung bekommt er auch von den Gewerkschaften.

Die größte Gewerkschaft Unison empfiehlt ihren Mitgliedern, Corbyn zu wählen. "Er spricht unsere Sprache, es ist die Sprache der Hoffnung", sagte Unison-Chef Dave Prentis. Corbyn sorge dafür, dass die Menschen sich gut fühlen, meint auch die Guardian-Kolumnistin Polly Toynbee.

Großbritannien Jeremy Corbyn Politiker Publikum bei einer Wahlveranstaltung
Labour im Corbyn-Fieber: Bei der Parteibasis kommt Jeremy Corbyns Gradlinigkeit gut an.Bild: picture alliance/ZUMA Press

"Er hat Recht mit seinen Ansichten über Sozialpolitik, Austerität, Steuervermeidung, Verstaatlichung von Bahn und Post, über Trident [von den USA geleaste Atomraketen], den Wohnungsbau und über eine Vielzahl anderer Punkte. Er ist autentisch bis in die Bartspitze."

Falsche Mitglieder

Während die Sozialdemokraten um ihren Kurs streiten, freuen sich die Tories. Laut Umfragen steht die Labour Party derzeit noch schlechter da, als bei den desaströsen Wahlen im Mai. 76 Prozent halten die Partei in ihrem derzeitigen Zustand für nicht wählbar.

Der konservative Daily Telegraph freut sich mit einiger Häme, dass ein Wahlsieg Corbyns den Machterhalt der Tories auf Jahre sichern werde. Das Blatt empfielt seinen Lesern sogar für den linken Außenseiter zu stimmen.

Denn jeder, der sich für lediglich drei Pfund bei Labour registrieren lässt, darf den Parteivorsitzenden wählen. Britische Medien berichten bereits von rund 140.000 "neuen" Mitgliedern, die die Partei unterwandert haben.

Am 12. September entscheidet sich, ob Jeremy Corbyn das Rennen macht. Möglicherweise steht Labour ein heißer Herbst bevor.