1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neue Stadtpläne von Mumbai für mehr Umweltschutz?

Catherine Davison
7. Februar 2022

Müll und ungezügelter Städtebau haben die natürlichen Ufer der indischen Hafenstadt Mumbai größtenteils zerstört. Nun sollen neue Stadtpläne, auf denen verlorene Orte verzeichnet sind, das Umweltbewusstsein schärfen.

https://p.dw.com/p/46d76
Mumbai
Mumbai hat sich zu einer modernen Megacity entwickelt, setzt aber die eigene Sicherheit aufs Spiel. Denn die Naturgewalten werden immer unberechenbarerBild: Java

Vikas Kolis Holzboot schlängelt sich durch das Labyrinth von Mumbais Flüssen, während er aufmerksam die Karte auf seinem Handy studiert. Die Stadt ist das Finanzzentrum Indiens- ein dichtes Ballungsgebiet mit über 20 Millionen Menschen. Zu Kolis' Rechten ragen Betonplatten aus dem Uferbereich, die für den Bau eines Bootsanlegers für Pendler verlegt wurden. Flussaufwärts zeichnet sich am Horizont ein Hochhausblock ab.

Doch auf dem Stadtplan, den Kolis nutzt, ist keines der modernen Wahrzeichen Mumbais zu sehen. Stattdessen findet man an dieser Stelle - neben einem der vielen Flüsse, die die Megacity durchziehen - eine Zeichnung: ein Fischerboot und zwei Krabben.

Illustrierte Karte von Bombay61
Bombay61 zeigt Mumbais natürliche Ressourcen auf einer KarteBild: Bombay61

Für Vikas Kolis erzählt diese Karte die Geschichte einer verlorenen Vergangenheit. Sie wurde von dem Stadtplanungsbüro Bombay 61 entworfen und zeigt Küstenabschnitte in der Nähe von alten Fischerdörfern, sogenannte Koliwadas. Dort gab es früher, bevor sich die Stadt ausdehnte, viele Fische und Krabben.

Stadtentwicklung neu definieren

Das Team von Bombay 61 hofft, dass die Karten bei Einheimischen wie Vikas Kolis Nostalgie und dadurch eine größere Wertschätzung ihrer Umgebung wecken. Ihre Bemühungen, Lebensgrundlagen und Ökosysteme in den Vordergrund zu stellen, sind Teil einer breiteren Bewegung von Klimaaktivisten und Stadtplanern. Sie hoffen in der Vergangenheit Mumbais, eine alternative Vision für die weitere Stadtentwicklung zu finden.

"Vor 20 oder 30 Jahren war die Wasserqualität gut, und es gab hier sogar Fische", erinnert sich Vikas und zeigt auf die Krabbe auf der Karte und die entsprechende Stelle am Flussufer.

Er gehört den Koli an, die als indigene Bevölkerung Mumbais gelten. Traditionell waren sie Fischer und noch immer haben sie einen engen Bezug zu den heimischen Flussläufen und Mangrovenwäldern.

Vikas Koli auf einem Boot in Mumbai
Vikas Koli zeigt, wie die Verschmutzung die Krabbenfänge minimiert und zum Verlust von Arbeitsplätzen geführt hatBild: Catherine Davison

Doch die Wasserverschmutzung durch Plastik und Klärschlamm haben sowohl die Mangroven als auch die von ihnen abhängigen Ökosysteme geschädigt. Der Fang ist zurückgegangen. "Früher gehörte Mumbai den Fischern... aber jetzt werden die Fischer verdrängt", klagt Vikas. "Das ist die tragischste Geschichte Bombays", fügt er hinzu und nutzt dabei den alten Namen Mumbais.

Die Rettung der Stadt vor dem Meer

Ursprünglich bestand Mumbai aus einer Reihe von Inseln und wurde während der britischen Kolonialzeit auf Land erbaut, das man dem Meer abgerungen hatte. Das starke Bevölkerungswachstum und der damit einhergehende Platzmangel trieb Entwicklungsprojekte voran, die die Infrastruktur verbessern und die Wohndichte erhöhen sollte.

Dies ging jedoch oft auf Kosten der natürlichen Ökosysteme und bedrohte sogar das Überleben der Stadt selbst. Mumbai wird jedes Jahr während der schweren Monsunregenfälle überflutet, da das Wasser wegen der dichten Betonbebauung nicht versickern kann. Das Vordringen von Bauprojekten in geschützte Mangrovenwälder und Überschwemmungsgebiete beeinträchtigt die natürlichen Barrieren der Stadt gegen Sturmfluten zusätzlich.

Der Klimawandel droht diese Probleme noch zu verschärfen. Der Meeresspiegel könnte bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als einen Meter ansteigen und andere große Küstenstädte wie Bangkok, Jakarta und New Orleans überschwemmen, so ein Bericht des Weltklimarats IPCC aus dem Jahr 2019. Iqbal Singh Chahal, Beauftragter der Stadtverwaltung von Mumbai, warnte kürzlich: Wenn sich nichts ändert, werde ein großer Teil der Stadt bis 2050 unter Wasser stehen.

Stadtplan der Erinnerungen

Für die Mitbegründerin von Bombay61, Ketaki Tare, ist der Blick in die Vergangenheit wichtig, um sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Tare und ihr Mitbegründer Jai Bhadgaonkar hoffen, dass sie mit den Karten dazu beitragen können, das rückgängig zu machen, was der amerikanische Psychologe Peter Kahn als "Umwelt-Amnesie der Generationen" bezeichnet. Soll heißen: Junge Menschen empfinden ihre verschmutzte Umwelt als normal.

Wenn Betonbebauung, Umweltverschmutzung und jährliche Überschwemmungen zur "neuen Normalität" werden, erklärt Tare, ist es schwierig, sich eine Alternative dazu vorzustellen.

Im Rahmen des Projekts wurden auch Wandgemälde erstellt mit Szenen aus lokalen Erzählungen. Ein Fotoarchiv zeigt, wie die Küste und die Flüsse früher aussahen. Ziel sei es, so Tare, den Schwerpunkt der Entwicklung weg von der städtischen Expansion hin "zu den naturgegebenen Systemen zu verlagern: Küste, Vegetation, Gewässer."

Eine Frau kauft Fisch an einem Stand in Versova Koliwada, Indie
Ein Wandgemälde von Bombay61, das die historische Bedeutung von Versova Koliwada als Fischmarkt darstelltBild: Catherine Davison

Auch Debi Goenka von der gemeinnützigen Organisation Conservation Activist Trust hält einen neuen Ansatz für erforderlich. "Die Quintessenz ist: Jedes Projekt, das die natürliche Infrastruktur zerstört, um sie durch eine künstliche Infrastruktur zu ersetzen, stellt in meinen Augen keinen Fortschritt dar", sagt er.

Schutz der Mangrovenwälder

Der Umgang mit den Mangrovenwäldern Mumbais verkörpern die Spannungen, die es in der Stadtentwicklung gibt. Seit Jahren setzt sich Goenka für eine Politik ein, die Bauprojekte in den Mangrovenwäldern und Überschwemmungsgebieten der Stadt verhindert. Einer Schätzung zufolge sind zwischen 1990 und 2001 fast 40 Prozent der Mangroven in den Randbezirken Mumbais verschwunden.

Der zunehmende Druck der Öffentlichkeit auf die Regierung des Bundesstaates führte zur Gründung der Mangrove Cell im Jahr 2012. Die Regierungsbehörde ist die erste ihrer Art in Indien und hat die Aufgabe, bestehende Waldgebiete zu kartieren, vor illegalen Eingriffen und Bauprojekten zu schützen sowie dafür zu sorgen, dass sich der Mangrovenbestand regenerieren kann.

Männer in Mumbai kartieren Mangrovenwälder.
Ein Team kartiert die Mangrovenwälder, um deren Ausdehnung und Dichte zu messenBild: Catherine Davison

"Boden ist in einer Stadt wie Mumbai ein großes Thema. Daher gab es anfangs viele Schwierigkeiten", sagt Dr. Sheetal Pachpande, Ökologin und stellvertretende Projektleiterin bei der Mangrove Foundation, einer Tochtergesellschaft der Behörde.

Durch eine Kombination aus Gräben und Maschendrahtzäunen, um das Gelände zu schützen, engagierten Förstern, Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung könnten jedoch "heute 99 Prozent der Eingriffe [in die Mangrovenwälder] Mumbais verhindert werden", sagt sie. Außerdem hat die Stiftung nach eigenen Angaben bis heute über 8 Millionen neue Mangroven-Setzlinge gepflanzt.

Gemeinschaftsaktionen und Eigenverantwortung

Goenka ist jedoch der Ansicht, dass solche Bemühungen nur dann Erfolg zeigen können, wenn die Öffentlichkeit mit einbezogen wird. Bombay61 bezeichnet das als "Beteiligung als Form der Entwicklung." Indem ihre Erinnerungen in die Stadtgestaltung einbezogen werden, sollen die Projekte den Koli helfen, wieder Eigenverantwortung für ihre Umgebung zu übernehmen - und diese zu schützen.

Ein Boot, das die Koli für Mangroventouren nutzen wollen, liegt im Bach bei Juhu Koliwada
Die Koli hoffen, dass Touristen-Bootstouren durch die Mangroven ein alternatives Einkommen ermöglichenBild: Catherine Davison

In zukünftigen Projekten könnte es Touren durch die Mangrovenwälder geben, um die Öffentlichkeit für deren Nützlichkeit zu sensibilisieren sowie ein Programm, das den Koli helfen soll, mit Netzen Plastikmüll aus den Flüssen zu holen. Auf diese Weise, so Tare, können die Koli gleichzeitig ein Einkommen erzielen und ihre Umwelt schützen. Vikas bietet bereits Führungen durch die Koliwada an, zeigt Besuchern die Flüsse und Wandmalereien und setzt sich aktiv für deren Erhalt ein.

"Sie kennen die Mangroven sehr gut, sie kennen auch die Arten", erklärt Tare. "Warum können wir diese Gemeinschaften nicht als Hüter dieser natürlichen Ressourcen betrachten?"