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Kästner in Kästen

Petra Tabeling1. März 2003

Wie gedenkt man eines berühmten deutschen Schriftstellers? Im Erich-Kästner-Museum in Dresden funktioniert das in nur einem Raum. Es ist das weltweit erste interaktive Micromuseum.

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Wie viel Platz braucht ein Mensch?Das fragt sich Ruairí O'BrienBild: Ruari O'Brien
Erich Kästner Villa "Augustin"
Erich Kästner Museum, Villa AugustinBild: Ruari O'Brien

Ortstermin Dresden-Neustadt, Erich-Kästner-Museum. Eine Schulklasse ist gerade eingetroffen. Aber statt wie üblich missmutig durch Museen zu laufen, sind die Schüler seltsam friedlich. Zwei vielleicht 15-Jährige stehen vor einem Fernseher und schauen Kästners berühmten Kinderfilm "Emil und die Detektive" mit einer Hingabe, als sei es der neueste Videoclip von MTV. Andere untersuchen eingehend ein zwei Meter hohes und drei Meter langes Holzobjekt, das mitten im Raum steht. Schubladen klappern, ein Sammelsurium von Fotos und Andenken taucht auf. Der Klassenlehrer sitzt vertieft und entspannt über einem Kinderbuch.

Das mobile, interaktive micromuseum - Erich-Kästner-Museum
Erich Kästner MuseumBild: presse

Der einzige, der etwas Unruhe in den Raum bringt, ist Ruairí O'Brien, kreativer Schöpfer des Erich-Kästner-Museums, dem ersten interaktiven Micromuseum. Der energische Ire zeigt mit wachsender Begeisterung, was sich alles aus den Schubladen und Regalen über das Leben und Werk Erich Kästners ziehen lässt.

Erich Kästner aus der Schublade

O'Brien hat sein Micromuseum für den berühmten deutschen Kinderbuchautor Erich Kästner vor vier Jahren entworfen und brach damit auch ein Tabu: Denn statt einer ehrwürdigen Person möglichst viel Platz einzuräumen, hat der Ire genau das Gegenteil gemacht: Erich Kästner auf kleinstem Raum. Er schuf eine "begehbare Schatztruhe".

Die Suche nach dem Inhalt war zunächst nicht ganz einfach. Es gab weder ein Haus, noch einen Nachlass von Kästner-Erben. Nicht nur deshalb stieß O'Brien bei möglichen Investoren erst einmal auf Verwunderung.

Doch mit seinem Konzept ist der studierte Architekt erfolgreich und hat ganz nebenbei einen neuen Ansatz für die Museumspädagogik geschaffen. Denn O'Brien schafft es, Erich Kästner zugleich als Person und als Schriftsteller auf kleinstem Raum vorzustellen - mit möglichst wenig Aufwand dank multifunktionaler Elemente. Mobile Regal- und Schubladensysteme mit Fotos, Zeitungsausschnitten, Briefen und Büchern zum Anfassen zeigen das, was üblicherweise hinter Glasscheiben musealer Vitrinen verschwindet.

Jeder Besucher kann sich so individuell über Kästner informieren – Kästner zum selber puzzeln. Und obwohl der Raum nur wenige Quadratmeter misst, wirkt er erstaunlich groß und hell - dank einer Öffnung zum angrenzenden Wintergarten mit Sitzmöglichkeit. In der Mitte hängt ein großes Porträt von Erich Kästner, das sich im Glas des Wintergartens widerspiegelt und dadurch dreidimensional wirkt. Licht und Schatten sind Teil von O'Briens minimalistischem Konzept. In der Dämmerung und von außen wirkt der erhellte Wintergarten wie ein kleiner Leuchtturm.

Erich Kästner Project
Erich Kästner ProjectBild: Ruairí O'Brien

Ohne Grenzen denken

Erich Kästner
Erich KästnerBild: DHM

O'Brien mag keine erstarrten Konzepte und schon gar nicht konkrete Einteilungen in Fachdisziplinen. Schubladendenken ist ihm zuwider. Der 40-Jährige will Literatur, Architektur, Kunst, Kommunikation und Medientechnik in dem Museum in Einklang bringen - Disziplinen, in denen O'Brien selbst hin und her springt. Er ist ein Multitalent und Visionär. "Ich sitze gerne zwischen zwei Stühlen". Jüngst bekam er einen Architekturpreis. Nebenbei zeichnet er für ein englisches Magazin, lehrt Architektur in Wismar - und liest Erich Kästner. Und bei fast allem, was O'Brien anpackt, dreht es sich um dieselbe Grundfrage: Wie viel Platz braucht ein Mensch?

Das Erich Kästner Museum in der Villa Augustin in Dresden Neustadt ist von Sonntag bis Dienstag 10 bis 18 Uhr und am Mittwoch 10 bis 20 Uhr geöffnet.