1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kurzsichtigkeit: Eine Frage der Bildung?

8. Oktober 2015

Der Anteil der Kurzsichtigen steigt weltweit. Muten wir unseren Augen zu viel zu, sich ständig auf Nähe zu fokussieren, insbesondere am Computer oder Smartphone. Wir sprachen mit Dr. Frank Schaeffel warum das so ist.

https://p.dw.com/p/1GkIw
21.05.2014 DW fit & gesund Auge
Bild: Fotolia

DW: Woran liegt es, dass es immer mehr Menschen mit Kurzsichtigkeit auf der Welt gibt?

Prof. Dr. Frank Schaeffel: Die Kurzsichtigkeit ist in der Tat eine Frage der Bildung. Das ist eines der Forschungsergebnisse, das allen Studien, die gemacht wurden gemein ist. Die Kurzsichtigkeit steht in Beziehung zu einem häufigen Aufenthalt bei zu geringem Licht, wie es in Büros und geschlossenen Räumen vorherrscht, und einem stark verminderten Aufenthalt im Freien, bei Tageslicht. Kurzsichtigkeit entsteht auch, wenn sich die Augen ständig auf Nähe fokussieren müssen. Wenn man viel liest, wird man irgendwann kurzsichtig auch wenn die Eltern das nicht waren. Letztendlich ist die Kurzsichtigkeit eine Folge der heutigen Lebensweise. Da die Bildung nach dem Krieg immer wichtiger geworden ist, und die Ausbildung eine immer stärkere Bedeutung bekommen hat, hat auch die Kurzsichtigkeit immer mehr zugenommen. Meine Annahme beruht darauf, dass bereits 1860 in Deutschland schon einmal so hohe Myopieraten beobachtet worden waren.

Warum ist gerade in Asien der Anteil der Kursichtigen unter den jungen Leuten so hoch?

In Asien hat die Ausbildung sich besonders verschärft. Die Kinder müssen schon ab dem dritten Lebensjahr im Kindergarten den ganzen Tag fast drinnen verbringen und müssen dann auch schon lesen lernen. Die Konkurrenz ist dort nochmal deutlich größer. Und dann gehen die Kinder kaum raus. Ich habe jetzt gerade wieder Daten aus Singapur bekommen, da sind die Kinder schon bereits vor der Schulzeit tagsüber nur um die 20 Minuten maximal im Tageslicht. Drinnen sind sie deshalb auch dauernd geringerer Beleuchtung ausgesetzt. Es wird jetzt viel dagegen unternommen, dass sich das ändert. Das sind die zwei Hauptprobleme, warum die Kurzsichtigkeit dort so hoch geworden ist.

Ständig sieht man junge Leute, die sich nur noch mit ihren Smartphones beschäftigen. Was bedeutet das langfristig für deren Augen.

Dass Smartphones die Kurzsichtigkeit fördern, das kann man wirklich nicht belegen. Sicher bewirken sie mehr „Naharbeit“, aber man schaut auch öfter wieder in die Ferne. Dass ein Bildschirm anders wirkt, als ein Buch ist nicht zu erwarten. Allerdings kann man da immer mit Überraschungen rechnen. Ich war gerade auf der 15. Internationalen Myopiekonferenz in China, bei der es nur um Kurzsichtigkeit ging. Da wurde beschrieben, dass Blaulicht bei zwei Affenarten Kurzsichtigkeit bewirkt, obwohl man eigentlich das Gegenteil erwartet hatte. Aber man weiß einfach noch zu wenig über die Wirkung des Lichts von Displays, deshalb sollte man vorsichtig sein, solange keine Daten darüber vorliegen.

Was weiß man heute über die Entstehung von Kurzsichtigkeit?

Man weiß mittlerweile viel darüber, was eine Myopie ausmacht, aber es ist noch nicht alles wissenschaftlich bewiesen. Es ist nicht so, dass man ein Gen an- oder abschaltet und dann wird man kurzsichtig oder eben nicht. Sowas hat man früher gedacht. Die Myopie ist ähnlich komplex wie etwa Krebs, Alzheimer oder Parkinson oder irgendeine andere von diesen komplexen Volkskrankheiten weil die Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Gen besonders ausgeprägt ist. Man kennt mittlerweile etwa 40 Gene, die eine Myopie vorhersagen können, aber es fehlen auch noch viele - und letztendlich rettet diese Kenntnis auch nicht vor Kurzsichtigkeit. Der größte Teil der Myopie aus der Neuzeit ist allerdings nicht genetisch bedingt, sondern ein Umweltfaktor der hauptsächlich mit der Außenbelichtung zusammenhängt.

Kann man einer Kursichtigkeit vorbeugen?

Ja, man hat festgestellt, dass wenn Kinder, bevor sie in die Schule kommen, ausreichend Zeit im Freien verbringen, man die Myopiehäufigkeit in späteren Jahren deutlich minimieren kann. In Taiwan sind sie da eigentlich am weitesten. Ein Erlass des Erziehungsministeriums aus dem Jahr 2012, der mindestens 120 Minuten Outdoor-Aktivität vorschreibt, hat deutliche Erfolge bei Erstklässlern hervorgebracht. In Singapur tragen manche Kinder eine Art Uhr, die anzeigt, wie hell das Licht ist und wie viel Zeit sie bereits im Freien verbracht haben. Was man auch tun sollte, was auch in Taiwan Pflicht ist, dass man nach 30 Minuten Naharbeit mindestens zehn Minuten in die Ferne guckt.

Gibt es neue Therapien gegen Kurzsichtigkeit in der Zukunft?

Also die Hauptbemühungen laufen gegenwärtig dahin, dass man das Fortschreiten der Myopie während der Schulzeit so gering wie möglich halten will. Darüber hinaus hat man heute neuartige Brillengläser. Man kann die Kurzsichtigkeit mit diesen neuen Brillengläsern hemmen. Generell lässt sich sagen, dass man über diese neuen Gläsertypen etwa 30-40 Prozent Hemmung erreichen kann. Eine weitere Möglichkeit zur Hemmung der Kurzsichtigkeitsentwicklung ist die Anwendung von ganz niedrig konzentriertem Atropin (0.01%), einem Wirkstoff aus der Tollkirsche, der das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern verlangsamt wobei nur ganz wenig Nebenwirkungen auftreten.

Viele Menschen glauben, dass eine Brille die Sehfähigkeit verschlechtert und versuchen, solange wie möglich ohne auszukommen. Ist dieses Vorurteil gerechtfertigt?

Ich hätte das früher auch unterschrieben. Denn, wenn man Tieren Linsen aufsetzen würde, dann würden die weitsichtig werden. Quasi eine Korrektur, bei der das Auge künstlich kurzsichtig gemacht wird. Bei Menschen funktioniert das nicht. Generell kann man sagen: ob ich eine Brille aufsetze oder nicht, das macht kaum einen Unterschied beim Fortschreiten der Kurzsichtigkeit.Das gleiche gilt für eine Unterkorrektion, bei der durch etwas zu schwache Brillengläser das Fortschreiten der Fehlsichtigkeit zum Stillstand gebracht werden sollte, das hätte ich aufgrund der Kenntnisse aus Tierexperimenten ebenfalls unterschrieben, aber die Daten von Kindern sind da nicht so ganz überzeugend. Bei Studien, bei denen Probanden um 0,75 Dioptrien unterkorrigierte Brillengläser trugen, schritt die Myopie teils sogar schneller voran als in den Vergleichsgruppen mit Vollkorrektur. Daraus folgt, dass eine Nichtbehandlung von Kurzsichtigkeit keine Verbesserung bewirkt. Aber, hier besteht noch Forschungsbedarf.

Es gibt immer wieder Meldungen darüber, dass man mit einem speziellen Augenmuskeltraining die Sehfähigkeit verbessern kann. Ist das richtig?

Also das unterschreibe ich sicher nicht, dass die Kurzsichtigkeit dadurch verschwindet. Aber was man trainieren kann ist, dass man mit dem schlechteren Bild trotzdem noch mehr sieht. Da gibt es Trainingsprogramme auf dem Computer. Das liegt einfach daran, dass unser Sehsystem bei wenig Information dann seine Empfindlichkeit hochfahren kann. Das kann man trainieren. Aber das ist keine optische Verbesserung. Das Auge wird nicht weniger kurzsichtig, sondern das Gehirn kommt mit weniger Informationen besser aus.

06.10.2015 Fit und Gesund Prof. Dr. Frank Schaeffel
Bild: DW

Professor Dr. Frank Schaeffel, Leiter der Sektion Neurobiologie des Auges an der Universitäts-Augenklinik Tübingen, erforscht die Ursachen der Kurzsichtigkeit.

http://www.eye-tuebingen.de/schaeffel/

Interview: Marita Brinkmann