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"Europa Erdogans Schoßhund"

Jan. D. Walter3. September 2016

Eigentlich sollte es ein Kulturfest im Stadion werden. Stattdessen haben Tausende Kurden am Rheinufer demonstriert: für Anerkennung, Selbstbestimmung und Frieden, aber auch für ihr Recht, zu kämpfen.

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Köln: Demonstration der Kurden. Foto: picture-alliance/dpa/Kaiser
Bild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Wer nicht ganz vorne steht, kann nur hören, was auf der Bühne geschieht. Ein Meer aus gelben, roten und grünen Flaggen versperrt den Blick auf Musikanten und Redner. Aber das, was sie von sich geben, übertragen die Lautsprecher bis weit über die Deutzer Werft hinaus. Reden und Lieder handeln vom Kampf der Kurden gegen ihre Feinde. Es geht um das Gedenken an ermordete Zivilisten, hingerichtete Volkshelden und gefallene Soldatinnen und Soldaten. 30.000 Menschen hatten die Veranstalter erwartet, die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl am Samstagabend auf 28.000.

Picknick mit der Familie

Weiter hinten auf dem Veranstaltungsgelände wird getanzt, Menschen sitzen in Gruppen auf dem Boden, picknicken mit der ganzen Familie. Zahllose Stände bieten Grillfleisch, Süßigkeiten und Früchte an. Der Beschilderung nach kommen sie aus Bremen, Darmstadt und Bonn, aber auch aus Paris und andere europäischen Städten. Das ganze Gelände ist gesäumt von Informationsständen der unüberblickbaren Menge kurdischer Organisationen. Ganz hinten, etwa 250 Meter entfernt von der Bühne, gibt es Bücher über die kurdische Gegenwart und Geschichte zu kaufen, aber auch Flaggen, T-Shirts und Handy-Hüllen mit Logos und Konterfeis der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung.

Doch wenn Sprechchöre aufbranden, erfassen sie auch diesen Bereich des Geländes der Kundgebung. Immer wieder fordern die Demonstranten Freiheit für den in der Türkei inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan, Unabhängigkeit für Rojava, den kurdischen Norden Syriens, und die Legalisierung der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. "Die PKK ist eine Widerstands-, keine Terrororganisation", sagt eine Frau mittleren Alters, die am Stand des HDK-A, des "Demokratischen Kongresses der Völker Europas", Unterschriften sammelt: "Europa soll politischen Druck auf die AKP-Regierung aufbauen anstatt mit ihnen Deals auszuhandeln, die gegen die Menschenrechte verstoßen", sagt die Frau. Aus Angst vor Problemen bei ihrer nächsten Einreise in die Türkei will sie ihren Namen nicht sagen. "Früher wäre das in Ordnung gegangen, aber seit dem Putsch ..."

Köln: Demonstration der Kurden. Foto: Jan D. Walter / DW
Aus dem Kulturfest wurde eine politische Kundgebung. Teilnehmer brachten auch die - eigentlich verbotene - PKK-Fahne mitBild: DW/J.-D. Walter

"Aber seit dem Putsch ..."

Alle demokratischen Parteien der Türkei haben sich in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli gegen den Putschversuch einer Gruppe aus dem türkischen Militär gestellt. Doch die Reaktion der Regierung hat das Land noch tiefer gespalten als bisher: Präsident Recep Tayyip Erdogan nutze den Vorfall, um alle politischen Gegner aus dem Weg zu räumen, so der Vorwurf. Berichte von tausenden verhafteten Kritikern und suspendierten Staatsbediensteten, von der Unterstützung der Terrormiliz "Islamischer Staat" und Bombenangriffen auf kurdische Dörfer gelten als Beweise, dass die AKP-Regierung in Ankara nur eins will: die Alleinherrschaft über die Türkei. Dagegen halten die Kurden ihr Demonstrations-Motto: "Weder Militärputsch, noch zivile Diktatur! Es leben der Kampf der Völker für Freiheit und Demokratie."

Demo statt Kulturfest

Ursprünglich sollte am 3. September im Kölner Stadion das 24. Internationale Kurdische Kulturfestival stattfinden. Doch dann hatte der Vermieter auf Empfehlung der Kölner Polizei dem kurdischen Verein Nav-Dem die Nutzung des Stadions kurzfristig verweigert. Nav-Dem ist in Deutschland legal, steht aber nach Einschätzung des deutschen Verfassungsschutzes der PKK nahe. Werbung für die PKK und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken seien wahrscheinlich, hieß es im Vorfeld.

Doch viele halten die Begründung der Polizei für vorgeschoben und vermuten politische Gründe hinter der Absage. "Ein Stadion kann man doch viel besser absichern als dieses Gelände hier", sagt der 26-jährige Abdullah.

Köln: Demonstration der Kurden. Foto: Jan D. Walter / DW
Hätten lieber ein Kulturfest gefeiert: Welat (24) und Abdullah (26) aus HannoverBild: DW/J.-D. Walter

Europa soll Stärke zeigen

Nun ist daraus erst recht eine politische Veranstaltung geworden. "Das ist schon alles etwas merkwürdig - und schade", findet Abdullah, der mit seinem Freund Welat extra aus Hannover nach Köln gekommen ist. Lieber hätten sie gefeiert, statt zu demonstrieren, sagen sie: "Wir fahren jedes Jahr auf das Kurdische Kultur-Festival."

Allerdings, räumen Abdullah und Welat ein, sei es schon auch wichtig, den politischen Standpunkt der Kurden klarzumachen: In Syrien kämpfen Kurden an der Seite der USA gegen den IS, nun sei die türkische Armee in Syrien eingerückt, um die Kurden zu bekämpfen. Und dann relativiere Bundeskanzlerin Angela Merkel auch noch die Armenien-Resolution. "Ich dachte immer, Erdogan würde sich dem Westen anbiedern, aber inzwischen ist Europa Erdogans Schoßhund", sagt Abdullah kopfschüttelnd.

Am 2. Juni hatte der Bundestag den millionenfachen Mord an Armeniern nach dem Ersten Weltkrieg in der heutigen Türkei als Völkermord eingestuft. Diese Bewertung ist auch für viele Kurden ein zentrales Thema. Dass Merkel nun auf Erdogan zugegangen ist, sorgt auch auf der Kundgebung in Köln für Debatten.

Köln: Demonstration der Kurden. Foto: Jan D. Walter / DW
Devotionalien am Rande der Kundgebung: İbrahim Kaypakkaya, Deniz Gezmiş und Selahattin Demirtaş auf Handy-HüllenBild: DW/J.-D. Walter

"Merkel hat die Resolution ja nicht aufgehoben", erklärt die Frau, die am Stand der HDK-A Unterschriften sammelt. "Wenn sie Erdogan damit zurück an den Verhandlungstisch holt, kann man diesen Schritt nur befürworten." Allerdings, mahnt sie, müsse Merkel endlich Stärke zeigen und Erdogan klarmachen, was man in Europa unter demokratischen Werten versteht.