"Es war Zeit, den Schädel zurückzugeben"
26. Juni 2018DW: Herr Lueb, warum geben Sie diesen Schädel heute an die Maori zurück?
Oliver Lueb: Zum einen, weil es eine ganz konkrete Anfrage gab, die wir im Winter letzten Jahres bekommen haben. Zum andern, weil wir hier in der gesamten Stadtverwaltung der Meinung waren, dass es an der Zeit ist, diesen Schädel zurückzugeben, eben weil er damals in einem kolonialen Kontext gesammelt wurde.
Hat sich Ihr Forschungsinteresse an ethnographischen Artefakten wie diesen hier erledigt oder nur verändert?
Weder noch. Als ethnologisches Haus haben wir uns schon immer mit der Provenienz von Artefakten oder in diesem Fall menschlichen Überresten beschäftigt. Im Moment wird das ja sehr breit in der Öffentlichkeit diskutiert, gerade durch die deutsche Kolonialzeit vor allem in Afrika. Auch durch die Humboldt-Diskussion sind wir stark in diese Fragestellungen involviert. Aber natürlich war das auch schon im Vorfeld ein Thema für uns. Schon immer versuchen wir, möglichst viele direkte Informationen aus originären Quellen, aus den indigenen Gruppen für unsere Sammlungen zu erhalten.
Ist das der Grund, weshalb Sie sich mit der Rückgabe offiziell entschuldigen? Obwohl dieser Schädel doch durch einen früheren Museumsdirektor ganz normal am Kunstmarkt gekauft und hierher gebracht wurde?
Man muss einfach sehen, dass sich die moralisch-ethischen Voraussetzungen gewandelt haben – vor allem in den letzten 100 Jahren. Damals hat man noch gedacht, man müsste Schädel und Knochen vermessen, um irgendwelche Rassen davon abzuleiten. Heute weiß man, dass das überhaupt nicht funktioniert und irrelevant ist. Heute sieht man in den Artefakten eher Überreste von Menschen, die es zu würdigen gilt. Die Maori setzen sich dafür ein, die in aller Welt verteilten Gebeine ihrer Ahnen wieder zusammenzutragen. Dadurch, dass dieser Kopf beispielsweise aufwendig tätowiert und mumifiziert war, ist es wirklich ein Individuum, das man erkennt. Er hatte Zähne und Ohrschmuck. Man konnte Gesichtszüge erkennen.
Würden Sie sagen, es war Unrecht, ihn hierher zu bringen?
Ich denke, das muss man in dem zeitlichen Kontext sehen. Damals brach Europa auf, die Welt zu erforschen. Man war sich gar nicht bewusst, dass man damit bestimmte Machthierarchien installierte und manifestierte. Heute ist man da sensibler und weiß, dass man mit solchen Zuweisungen und dem Wegnehmen einer solchen Persönlichkeit, die man zu einem Museumsobjekt macht, etwas getan hat, was man heute nicht mehr tun würde.
Welche Verpflichtungen haben private und öffentliche Sammler gegenüber den ursprünglichen Eigentümern von Kulturgütern, die in kolonialen Zeiten ins Ausland gelangt sind?
Ich denke, man muss auf jeden Fall in den Dialog treten. Das ist unglaublich komplex, weil es auch bei den Rückgaben, etwa im Fall der Maori, durchaus sehr unterschiedliche indigene Vorstellungen zu dem Umgang mit diesem Schädeln in Neuseeland gibt. Das sind einfach die Herausforderungen der heutigen Zeit: Aufgrund der globalisierten Medien können wir mit allen Menschen weltweit in Kontakt treten und für Gespräch offen sein. Dann ergibt sich auch im Einzelfall ein unterschiedliches Herangehen.
Man kann nicht sagen, alles in unseren Sammlungen unrechtmäßig erworben wurde, weil das überhaupt nicht stimmt: Es sind ganz viele Sachen extra für Europäer hergestellt worden, weil man vor Ort gemerkt hatte, wie begehrt die Sachen in Europa waren und dass man dafür sehr viel wertvollere Materialien – aus indigener Perspektive – einhandeln konnte. Es gibt aber auch Aufzeichnungen, dass Gräber geplündert wurden. Dann braucht man nicht lange darüber nachzudenken, ob es Unrecht war.
Das Gespräch führte Stefan Dege.