Kunst. Kultur. Konflikt. Ein kreatives Abenteuer.
19. Mai 2011Wie schnell man mit Kunst- und Kulturprojekten mitten in politischen Konflikten landet, hat erst vor kurzem die deutsche Aufklärungs-Ausstellung in Peking gezeigt. Längst nicht jedes kulturelle Engagement ist automatisch dazu geeignet, politische Konflikte zu lösen. Mitunter verschärfen sie sich sogar. Kultur, das wird allzu oft vergessen, ist mehr als flottes Event, mehr als Dekoration oder wohlfeile Verbrüderung.
Was soll ein Operndorf in Burkina Faso?
Was passieren kann, wenn Kultur auf Krise trifft, beschäftigt Künstler weltweit jeden Tag, das beschäftigt zunehmend aber auch Fachleute der Auswärtigen Kultur-, Bildungs- und Entwicklungspolitik. Das Bewusstsein für den Stellenwert des Themas ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen, wie auch die Bonner Tagung "Kunst.Kultur.Konflikt" zeigt, bei der in diesen Tagen Akteure vom Goethe-Institut über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) bis zur Deutschen Welle (DW) zusammenkamen.
Einigkeit ist da nicht zu erwarten: Soll man ein Operndorf als Projekt des verstorbenen deutschen Regisseurs Christoph Schlingensief in Burkina Faso einrichten? Wo sind die Grenzen des Kulturexports, wo beginnt echter Dialog? Und ist so etwas eurozentristisch? Soll Auswärtige Kulturpolitik künstlerische Avantgarden fördern, die internationale Anerkennung finden - oder doch lieber Künstler unterstützen, die sich an regionalen Traditionen orientieren?
Kino für Khartoum
Unstrittig scheint immerhin eines: Kultur und kulturelle Bildung sind unabdingbar für den Aufbau und Erhalt von Zivilgesellschaften. Die Ausgangslagen jedoch sind sehr verschieden. In Ländern mit eingeschränkter Kunstfreiheit etwa kann es darum gehen, Freiräume zu schaffen für die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Gesellschaft. Es kann aber auch heißen, erst einmal Grundlagen zu schaffen - wie zum Beispiel im krisengeschüttelten Sudan. "Die kulturelle Infrastruktur ist extrem schlecht entwickelt, so dass wir oft erst einmal dabei ansetzen, Knowhow zu vermitteln", berichtet etwa Lilli Kobler, Leiterin des Goethe-Instituts Khartoum.
Das heißt: Es fehlen Schulen, es fehlen Kunstakademien. Wer zum Beispiel Filme machen will, findet keinerlei Ausbildungs-Möglichkeit. Die Filmproduktion im Land liegt brach. Darum hat Lilli Kobler für junge Leute die "Sudan Film Factory" ins Leben gerufen, in der inzwischen sechs Dokumentarfilme entstanden sind. Der Erfolg ist überwältigend: Bei den Vorführungen gab es einen ungeahnten Publikumsansturm. "Man hatte 20 Jahre lang keinen sudanesischen Film gesehen, kein sudanesisches Kino, keine sudanesischen Geschichten", erklärt Lilli Kobler. "Die jungen Leute haben bei uns das Handwerkszeug bekommen und haben dann ihre Geschichten erzählt: über Hiphop-Kultur in Khartoum oder über einen Musikinstrumentenbauer. Der Hunger nach kultureller Bildung ist sehr groß!"
Kulturarbeit im Dilemma
Doch was passiert eigentlich bei solchen Unternehmungen, die von außen implementiert werden - gerade dann, wenn es wie im Sudan keine Strukturen im Land gibt, an die man anknüpfen kann? Exportiert man nicht ein fremdes Wertesystem - auch wenn es nur um die handwerkliche Machart von Filmen geht? Ein Dilemma. "Man kommt nie aus dem heraus, was man ist und wer man ist", sagt Lilli Kobler, "aber man kann es reflektieren und transparent machen. Und dann kann jeder entscheiden, ob ein Angebot für seine Werte in Frage kommt oder nicht". Der gewünschte Nebeneffekt: "Experten, die aus dem Ausland kommen, nehmen dabei etwas mit und lernen auch viel, weil sie sich in Frage stellen."
Kunst-Explosion am Tahrir-Platz
Weniger Aufbau- als Umbau-Arbeit steht derzeit etwa in Ägypten auf der Agenda. Dort fördern ausländische Kulturinstitutionen schon lange eine Kunstszene, die entsprechend international vernetzt ist, im Land selbst aber ein eher elitäres Image hatte. Doch diese Künstler gehörten zu den treibenden Kräften der Revolution.
Und dann geschah auf dem Tahrir-Platz in Kairo etwas, womit niemand gerechnet hatte: Plötzlich gab es spontane Performances oder Theater-Aktionen - von ganz normalen Menschen, die mit Kunst nichts zu tun hatten, erzählt Mohamed Shoukry, der selbst als Künstler dabei war. "Auf einmal wissen die Leute Kunst zu schätzen! Denn mit der Revolution hatten wir alle das gleiche Ziel. Da hat sich die Einstellung der Leute verändert. Vorher dachten sie, Kunst wäre nur etwas für eine Elite. Jetzt akzeptieren sie die Kunst und wollen sie unbedingt verstehen!"
Zu diesem veränderten Verständnis können auch die Medien beitragen - aus dem In- und Ausland. Eine wichtige Plattform nicht nur für die islamische Welt ist etwa das englisch-deutsch-arabische Kunstmagazin "nafas". Finanziert wird es vom Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen, doch es ist ein Forum innerhalb der arabischen Kunstszene sowie auf internationaler Ebene geworden, in dem man sich intensiv austauscht und vernetzt. Dass zum Beispiel die Kunst-Biennale Sharjah im Jahr 2003 völlig umgekrempelt wurde und eine aufregende neue Ära zeitgenössischer Kunst in der Golfregion einläutete, wäre ohne "nafas" kaum einem größeren Kreis von Kunst-Interessierten bekannt geworden, sagt Chefredakteur Gerhard Haupt. Denn fast niemand hatte sich damals, kurz nach Beginn des dritten Golfkrieges, überhaupt dorthin gewagt.
Zivile Weltgesellschaft als Fernziel
Doch auch andere Medien, die keine spezielle Kunst-Klientel, sondern ein breites Publikum ansprechen, sind in der Verantwortung für Kultur und kulturelle Bildung in Krisenregionen. Das gilt auch und besonders für die Deutsche Welle, sagt deren Intendant Erik Bettermann: "Wir wollen Brücken bauen und Verständigung herbeiführen. Die Vermittlung von Kultur ist eine Kernaufgabe für uns. Es lohnt sich allemal, über Kunst zu berichten, und das ist auch eine Chance, eines Tages vielleicht zu etwas wie einer zivilen Weltgesellschaft zu kommen."
Doch in Ägypten, findet der Künstler Mohamed Shoukry, ist nun die Zeit gekommen, sich auch auf die eigenen Kräfte zu besinnen. Das Engagement aus dem Ausland ist zwar weiterhin willkommen, nun aber wird es darum gehen, eigene Strukturen der Kulturförderung und Kunstvermittlung aufzubauen. "Wir brauchen jetzt einen Wechsel. Wir brauchen Unterstützung von unserer eigenen Regierung - und dafür kämpfen wir jetzt!"
Autorin: Aya Bach
Redaktion: Gabriela Schaaf