Kulturnation Deutschland ohne Geld für Kultur?
3. Dezember 2024Kultur ist wichtig in Deutschland - das würden wohl viele unterschreiben. Doch wer dieser Tage nach Berlin schaut, wo heftig um die Finanzierung von Theatern und Orchestern, Kinos, Tanz- oder Literaturveranstaltungen gestritten wird, bekommt ernste Zweifel: Bis zu zwölf Prozent sollen die Budgets schrumpfen. Betroffen sind etablierte, traditionsreiche Häuser ebenso wie die Freie Szene. Der Grund: Das Land Berlin muss sparen. "Die Goldenen Zeiten der Kultur sind vorbei", konstatiert der Deutsche Kulturrat, die Dachorganisation deutscher Kulturverbände. Doch genaues Hinschauen scheint nötig.
Landauf, landab das gleiche Bild: Immer mehr Gemeinden, Landkreise und Bundesländer geraten finanziell in Schieflage. Auch der Bund als wichtiger Geldgeber fährt auf Sicht. Nach dem Bruch der Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP steht der Bund für 2025 ohne Haushalt da. Für die Kultur brechen damit unsichere Zeiten an: Womit können die Kulturmanager rechnen?
Geld vom Bund wird weniger
In Deutschland dominiert die staatliche Kulturförderung - anders als beispielsweise in Großbritannien oder den USA, wo ein Großteil durch Mäzene, Stifter und Sponsoren finanziert wird.
Bis zuletzt sah es für die Kulturfinanzierung in Deutschland noch gut aus. Die öffentlichen Kulturausgaben kannten, laut Kulturfinanzbericht 2022 des Statistischen Bundesamts, in den letzten zehn Jahren nur eine Richtung: nach oben. Sie kletterten von 9,3 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 14,5 Milliarden Euro im Jahr 2020. Das ist ein Anstieg um immerhin 55,1 Prozent. Doch diese Zeiten sind vorbei.
"Berlin ist arm, aber sexy" - der Slogan von Berlins früherem Bürgermeister Klaus Wowereit klingt heute in den Ohren vieler Kulturschaffender wie Hohn: Der CDU-geführte, schwarz-rote Senat kürzt seinen Haushalt um drei Milliarden Euro, allein die Kulturausgaben sinken um 130 Millionen Euro. Und die Kulturszene? Sie reagiert entsetzt: Von "harten Einschnitten" bis "Kahlschlag" reicht die Kritik. Die Kulturwelt läuft Sturm gegen die Beschlüsse.
Lange Streichliste in Berlin
Dabei treffen die Streichungen die Kulturbereiche- und Institutionen unterschiedlich hart: Die Berliner Schaubühne etwa, die eine GmbH ist (Kürzung: 1,8 Millionen Euro, kein Ausgleich für Tarifsteigerungen) befürchtet ihre Insolvenz noch 2025. Das Berliner Ensemble (1,75 Millionen Euro) sieht sich zu Produktionsstreichungen gezwungen. Die Volksbühne (2 Millionen) fürchtet um ihre Spielfähigkeit ebenso wie das Jugendtheater Grips (300.000 Euro), das Kinder- und Jugendtheater Theater an der Parkaue (800.000 Euro) oder das Deutsche Theater (drei Millionen).
Auf der Streichliste stehen außerdem das Konzerthaus am Gendarmenmarkt (1,8 Millionen Euro), der Friedrichstadt-Palast (1,6 Millionen Euro), die Berliner Kinos (3,5 Millionen Euro), Berlins Literaturhäuser (450.000 Euro) und viele andere. Außerdem stoppt der Senat die laufende Sanierung der Komischen Oper (Streichung: 10 Millionen Euro).
Wirtschaftliches Denken gefragt
Verliert Berlin damit seine internationale Strahlkraft? Wird aus der einst geteilten, dann wiedervereinigten Stadt, wie eine Theaterintendantin öffentlich fragte, ein "kultureller Zwerg", gar eine "seelenlose Schrumpfmetropole"? Angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Lage und - daraus folgend - sinkender Kulturausgaben sieht Dorothea Gregor, Kulturexpertin der Liz Mohn Stiftung, die deutsche Theater- und Kulturlandschaft vor "einem riesigen Strukturwandel".
Dennoch erwarteten viele Theater "zu selbstverständlich, dass Gelder weiter fließen wie bisher". Künstlerische Leitungen dächten zu wenig darüber nach: "Wie kann ich mein Haus effizienter führen und trotzdem weiterhin Top Qualität abliefern?" Da sei unternehmerisches Denken gefragt, so Gregor im DW-Gespräch, auch um neue Finanzierungsmöglichkeiten aufzutun.
Gesellschaftskitt: Theater sind nur nicht Bühnen
Einigermaßen ratlos blickt hingegen Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters im sächsischen Bautzen und zugleich Landesvorsitzender des Deutschen Bühnenvereins, auf die Berliner Streichdebatte. Denn auch im Bundesland Sachsen, wo Kultur über sogenannte "Kulturräume" per Umlage finanziert wird, ist die Haushaltslage vielerorts kritisch - mit gravierenden Folgen für die Kulturlandschaft aus Museen, Theatern und Orchestern. Hillmann zufolge fürchten die Theater in Zwickau, Freiberg, Annaberg-Buchholz, Görlitz/Zittau und sogar in Chemnitz um ihre Existenz.
"Welchen Stellenwert haben Kunst und Kultur?", fragt Hillmann. "Wenn Politiker entscheiden, Kultur ist nicht so wichtig im Konzert all der Aufgaben von Bund, Land, Städten und Gemeinden, dann wird das auch Wirkung zeigen." Theater und Orchester etwa erfüllten längst nicht mehr nur angestammte Aufgaben, Auftritte in einem festen Haus etwa.
"Wir sind soziale Begegnungsstätten, wir machen Kinder- und Jugendarbeit, wir gehen in die Fläche, wir vernetzen uns ." Denn gerade im ländlichen Raum seien Kulturangebote besonders wichtig. "Wenn wir das nicht im Blick behalten", warnt Hillmann, "werden wir noch katastrophalere Wahlergebnisse haben, weil die Menschen immer unzufriedener werden".
Demokratische Diskurse
In die gleiche Kerbe schlägt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. "Gerade jetzt werden die Kulturorte dringend gebraucht, um aktuelle Fragen zu verhandeln, um Orte des demokratischen Diskurses zu bieten, zum Nachdenken anzuregen oder einfach nur um Zusammenhalt zu stiften", schreibt Zimmermann in der aktuellen Ausgabe der Verbandspublikation "Kultur und Politik".
"Kürzungen bei den Institutionen werden sich auch in der Freien Szene und der Kultur- und Kreativwirtschaft auswirken", warnt der Verband. Ob in Köln oder Dresden, vielerorts drohten Einsparungen im Kulturetat, "die an die Substanz gehen". Doch trotz knapper Kassen dürften wichtige Projekte nicht auf der Strecke bleiben, etwa das Mindesthonorar für Künstlerinnen und Künstler, die Digitalisierung oder auch die Nachhaltigkeit des Kulturbereichs.
Entfremdung zwischen Kultur und Politik
Kommunikationsdefizite zwischen Kulturinstitutionen und ihren Geldgebern hat unterdessen Dorothea Gregor von der Liz Mohn Stiftung ausgemacht, sogar eine regelrechte "Entfremdung". Gerade jetzt sei es wichtig, dass beide Seiten sich an einen Tisch setzten und auf Augenhöhe über die nächsten Schritte berieten. "Man sitzt in einem Boot", so Gregor, "es gibt niemanden, auch nicht in Berlin, der sagt, wir brauchen keine Kultur mehr."
Und was erwarten die Menschen von der Kultur? Einem "Relevanzmonitor Kultur"des Liz Mohn Centers der Bertelsmann Stiftung zufolge möchte eine große Mehrheit (91 Prozent) der Menschen in Deutschland, dass die kulturellen Angebote etwa in Theaterhäusern für kommende Generationen erhalten bleiben, weil sie Teil der kulturellen Identität sind (82 Prozent). Drei Viertel der Befragten waren zudem der Meinung, dass Kulturangebote weiterhin mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sollten.
Nirgendwo auf der Welt, sagt Dorothea Gregor, die den Relevanzmonitor verantwortet, sei - historisch bedingt - die Dichte an Theatern, Orchester und Opernhäuser höher als in Deutschland. "Wenn ich dann ins Theater gehe", sagt sie, "ist das die schönste Art, meine Steuergelder wiederzusehen."