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Kroatien: Nach der Änderung des Präsidialsystems ist der Präsident Mitgestalter der Außenpolitik

26. Juli 2002

– DW-Interview mit Präsident Stjepan Mesic

https://p.dw.com/p/2Vfo

Köln, 25./26.7.2002, DW-radio/Kroatisch

Kroatiens Präsident Stjepan Mesic hat am Mittwoch (24.7.) in Berlin an einer internationalen Konferenz über Demokratie als Grundlage für Frieden und Sicherheit in der Welt teilgenommen. Diese Konferenz wurde anlässlich des 40. Jahrestages der internationalen Tätigkeit der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltet.

Mesic traf bei dieser Gelegenheit auch den Bundespräsidenten Johannes Rau. Bei seinem Berlin-Aufenthalt gab der kroatische Präsident DW-radio ein Exklusiv-Interview. Wir fragten ihn nach dem Weg Kroatiens in die euroatlantischen Institutionen, nach der aktuellen Lage im Lande sowie nach den Beziehungen zu den Nachbarstaaten.

Frage:

Sie kommen gerade von einem Treffen mit dem deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau. Worüber haben Sie gesprochen?

Antwort:

Präsident Rau hat vor allem die Situation in der Region interessiert, natürlich aber auch die Lage in Kroatien. Besonderes Interesse hat er für unsere Beziehungen zu unseren Nachbarn gezeigt: welche Fragen noch offen seien und welche Lösungswege es gebe.

Frage:

Die regionale Zusammenarbeit und die nachbarschaftlichen Beziehungen sind einige der Hauptpunkte, auf denen die internationale Gemeinschaft besteht. Diese beeinflussen - so können wir wohl sagen - die schnelle Aufnahme Kroatiens in die wichtigen europäischen Institutionen und den NATO-Rat. Vor einer Woche haben Sie an einem Treffen in Sarajevo teilgenommen, das von den Medien als historisch bezeichnet wurde. Dort haben sich erstmals nach dem Zerfall des alten Jugoslawiens die Präsidenten des heutigen Jugoslawiens, Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens getroffen. Wie schätzen Sie derzeit die Lage ein, mit welchem Nachbarn hat Kroatien die meisten Probleme und welche?

Antwort:

Ja, Sie haben Recht, vielleicht ist es übertrieben, von einem historischen Treffen zu reden. Aber es ist sicherlich richtig, dass es das erste und dass es ein bedeutendes Treffen in Sarajevo war. Wir sind von bestimmten Voraussetzungen ausgegangen. Diese wurden auch - das muss betont werden - mit der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung festgelegt. Denn darin wird bestätigt, dass die Grenzen nicht verändert werden, dass die Grenzen bestehen bleiben. Dies bedeutet, dass wir das Motiv aus dem Weg räumen, nämlich die Veränderungen der Grenzen hauptsächlich auf Kosten Bosnien-Herzegowinas. Das haben wir nun definitiv hinter uns gelassen. Wenn man von einem historischen Treffen sprechen will, dann ist es in diesem Bereich historisch, und zwar, dass die Grenzen unveränderlich sind. Allerdings haben wir damit nur das erneuert, was in Helsinki bereits verabredet worden war. Wir haben auch über die Rückkehr von Flüchtlingen gesprochen, die alle drei Seiten betrifft. Denn welche Seite auch immer die Reife ihrer Demokratie beweisen will, dass sie ein Rechtsstaat und eine sichere Zone ist, sie muss ihren Bürgern ermöglichen, in ihre Heimat zurückzukehren, in Frieden und Sicherheit zu arbeiten. Daran sind sowohl Jugoslawien, Kroatien als auch Bosnien-Herzegowina interessiert.... Der politische Wille besteht, und was Kroatien betrifft, wird es allen seinen Bürgern ihre Häuser wieder aufbauen. Der Wirtschaft jedoch geht es nicht sehr gut und da muss uns die internationale Gemeinschaft ein wenig unterstützen.

Frage

: Sie haben gesagt, der politische Wille bestehe und das sei wichtig. Indes muss aber auch der Wille in der Gesellschaft bestehen. Die Nation müsste sich für Themen öffnen, die vielleicht noch schmerzhaft und unangenehm sind. Sind die Kroaten bereit, sich mit der Vergangenheit der neunziger Jahre auseinander zu setzen? Gerade der Kriegsverbrecher-Prozess "Lora" (Militärgefängnis bei Split –MD) zeigt, dass das noch immer problematisch ist. Was kann einerseits der kroatische Staat dort tun und andererseits, in wie weit glauben Sie, sind die Kroaten und der kroatische Staat bereit zu dieser Auseinandersetzung?

Antwort:

Also, wenn Kroatien in die euroatlantischen Strukturen will, weil da unsere Zukunft liegt, dann muss Kroatien auch für seine Bürger ein blühendes demokratisches Land sein, und zwar nicht jemand anderem zuliebe, nicht weil jemand Druck auf uns ausübt, sondern weil es in unserem eigenen Interesse ist. Wir müssen damit beginnen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der es völlig normal ist, dass Schuld individualisiert wird, in der bestimmte Leute für bestimmt Straftaten zur Verantwortung gezogen werden. Dadurch hört die kollektive Beschuldigung auf und das ist für jeden von Vorteil. Wenn für bestimmte Ereignisse, Taten oder besser Untaten, die im vergangenen Krieg begangen wurden, einzelne Serben, einzelne Kroaten, einzelne Bosnier zur Verantwortung gezogen worden sein werden, dann wird die kollektive Beschuldigung ein Ende haben. Dabei unterstützt uns der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (ICTY), aber es müssten uns auch die inländischen Gerichte dabei unterstützen. (...) Diejenigen, die versuchen, die eigene Justiz zu nutzen, um das Gesetz auszutricksen, schaden nicht nur den Angeklagten, sondern sie schaden auch der kroatischen Justiz. Denn damit darf man nicht spielen. Dort, wo unsere Gerichte nicht zufriedenstellend arbeiten, wird sich Den Haag einschalten und den Fall an sich ziehen. Mit anderen Worten: keiner kann seinem Schicksal entfliehen.... Das Den Haager Tribunal wird meiner Meinung nach am meisten dazu beitragen, Schuld zu individualisieren, so wie es das Nürnberger Tribunal und das Tribunal in Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht haben, die konkrete Personen und konkrete Organisationen verurteilt haben. Das also erwarten wir nun vom ICTY.

Frage:

Wenn wir schon von den Forderungen und Einwänden aus Brüssel reden, glauben Sie, dass Kroatien für eine Integration in die europäischen Institutionen bereit ist? Wo sind die größten Erfolge erzielt worden und wo gibt es noch die größten Defizite?

Antwort:

Sicher ist, dass Kroatien schon viel allein damit erreicht hat, dass es aus der Isolation herausgefunden hat. Allein damit, dass es sich von einem rigiden System gelöst hat. Allein damit, dass es sich von einer wie auch immer gearteten Hoffung auf fremdes Territorium, genauer gesagt gegenüber Bosnien-Herzegowina, gelöst hat. Was jetzt nötig ist und was jetzt geschieht, ist die Schaffung von Reglementierungen, die mit den Verordnungen der EU kompatibel sind. Das ist eine mühselige Arbeit, aber das ist noch nicht alles. Das einfachste ist in der Tat ein Gesetz zu verabschieden, weil dafür lediglich der politische Wille notwendig ist. Dann muss dieses Gesetz auch angewandt werden und das ist schon etwas schwieriger, insofern als daran alle Institutionen des Staates beteiligt sind. Daher muss es uns gelingen, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Gesetze, verabschiedete Gesetze, auch umgesetzt werden. Und nicht weniger wichtig ist, dass wir ein unternehmerisches Klima schaffen müssen, dass wir das menschliche und das wirtschaftliche Potential aktivieren, dass wir das Heer der Arbeitslosen verringern und die Zahl derer, die arbeiten, erhöhen, so dass wir neue Werte schaffen, damit wir dann auch die Probleme im Gesundheits- und Schulwesen und alle übrigen lösen können. Leider haben wir eine Privatisierung nach falschem Modell erlebt, die nicht auf der Spur des Kapitalaufbaus gelaufen ist, so dass der, der das Kapital geschaffen hat, auch die Aktien bekam. Es wurde der Eindruck erweckt, dass 200 reiche Kroaten, die auf die eine oder andere Weise an ihre Millionen gelangt sind, auf irgendeine Weise die Entwicklung in Kroatien voranbringen würden. Das war falsch, wir haben uns davon gelöst. Die Gerichte müssen jetzt feststellen, wer das Gesetz missbraucht hat und das aktuelle Parlament muss Vorschriften erlassen, die für die Gegenwart und die Zukunft ausschließen, dass es zu irgendeinem Gesetzesmißbrauch kommen kann.

Frage:

Kann es sein, dass Brüssel für Kroatien strengere Maßstäbe anlegt als bei anderen Ländern der Region?

Antwort:

Das, was man von den Beitrittskandidaten fordert, ist überall gleich. Es handelt sich um einen bestimmten Standard, und wer diesen Standard früher erreicht, wird früher aufgenommen werden. Für uns ist von Bedeutung, dass wir den euro-atlantischen Strukturen nicht im Konvoi-Modell beitreten werden, so dass alles vom letzten im Konvoi abhängt. Es ist vielmehr eher so etwas wie ein Regatta, bei der der erste auch als erster beitritt und den zweiten motiviert, sich auch Europa anzuschließen. Dies wäre einfach eine Aufforderung für die Länder, das zu erreichen, was das Land vor ihm bereits erreicht hat.

Frage:

Wie wir von Präsident Rau gehört haben, ist es undankbar, Prognosen für die Zukunft zu stellen. Würden Sie sich trauen, eine Prognose abzugeben, wann Kroatien tatsächlich mit einer Aufnahme in die EU rechnen kann?

Antwort:

Ich denke, es besteht für Kroatien die Möglichkeit, in zwei oder drei Jahren der NATO beizutreten und in fünf bis sechs, vielleicht sieben Jahren der EU beizutreten.

Frage: Wir haben bisher noch einen Punkt vergessen zu erwähnen und das sind die Beanstandungen, die aus den westlichen Ländern in Bezug auf die kroatischen Medien kommen. Glauben Sie, dass die kroatischen Medien noch immer von politischen Parteien instrumentalisiert werden? Meinen Sie, dass die Medien in ausreichendem Maße unabhängig und objektiv sind, vor allem das staatliche Fernsehen?

Antwort:

Sie sind es nicht. Weder ist das staatliche Fernsehen ein öffentlich-rechtlicher Sender geworden, noch sind die Medien zu freien Medien geworden. Einfluss üben sowohl die Politik als auch die Eigentümer aus, die durch den Willen der Politik an dieses Eigentum gekommen sind. Ich persönlich bin mit den Medien nicht zufrieden.

Frage:

Kroatien muß also, wie Sie selbst gesagt haben, all diese Forderungen für sich selbst erfüllen und nicht, weil dies jemand von ihm fordert. Die politische Stabilität ist eine der Grundforderungen für eine wie auch immer geartete Integration und für eine bessere Zukunft Kroatiens. Derzeit ist die Situation aber so, dass Kroatien seit Wochen, nein Monaten, von einer Regierungskrise geschüttelt wird. Wieweit ist Kroatien ein instabiles Land und als solches ein instabiler Faktor in der Region?

Antwort:

Ja, vielleicht ist es gut zu unterstreichen, dass nicht Kroatien in der Krise ist, in der Krise befindet sich die Koalitionsregierung, beziehungsweise die Beziehungen zwischen den Koalitionspartnern befinden sich in der Krise. Nun geht es darum, dass die Beziehungen innerhalb der Koalition wieder ausbalanciert werden. Damit werden auch alle Streitigkeiten darüber ob, wann und wie die Krise gelöst wird, aufhören. Dies wird relativ schnell geschehen. Dabei ist für mich das Wichtigste, dass die Regierung, die gewissermaßen jedoch in Übereinstimmung mit den Wahlergebnissen umgebildet wird, einen Ausweg aus der derzeitigen Situation findet. Und das heißt, dass sie ein Programm für die nächsten anderthalb Jahre bis zum Ende des Mandats anbietet und in dieser Zeitspanne die Wahlversprechen, die sie vor dem 3. Januar (2000) gab, wahr macht. Die Grundlage besteht, ein Teil ist erledigt, aber es gibt ganz sicher noch viel zu tun.

Frage:

Nach den letzten Wahlen vor zwei Jahren sind in der Verfassung Änderungen vorgenommen worden, was die Definition der Aufgaben des Präsidenten betrifft. Könnten Sie - sozusagen nach Ihrer Halbzeit - eine Bewertung Ihrer Befugnisse vornehmen, was Sie erreichen können und wo Ihre Grenzen liegen? Glauben Sie, dass das jetzt das richtige Modell für die Funktionen des Präsidenten ist?

Antwort:

Die Verfassung selbst, die Kroatien als ein halb-präsidiales System definiert hat, war gar nicht so schlecht. Schlecht war, dass viele Befugnisse des Präsidenten während der Zeit des Halb-Präsidialsystems extensiv ausgelegt wurden und dass dies darüber hinausging, was die Verfassung erlaubte. Gerade wegen dieser Erfahrungen sind wir damals im Wahlkampf davon ausgegangen, dass Kroatien nicht einem halb-präsidialen System verpflichtet sein sollte. Wir sollten vielmehr eine parlamentarische Demokratie anstreben - mit einem direkt von den Bürgern gewählten Präsidenten, der eine starke Rolle im Gesamtmodell spielt, und das ist uns gelungen..... Der Präsident spielt nun eine wichtige Rolle innerhalb des ganzen Systems. Dies war auch in der aktuellen Krise zu beobachten. Der Präsident ist der Oberbefehlshaber der Armee in Friedens- wie Kriegszeiten, so dass diese Regierungskrise in keiner Weise die Verteidigung des Landes berührt. Denn der Präsident ist auch der Mitgestalter der Außenpolitik, was sich als positiv und hilfreich erwiesen hat. Denn Kroatien ist nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen schnell aus seiner Isolation herausgekommen und zu einer erkennbaren Demokratie und zu einem erwünschten Land geworden.

Frage:

Gibt es Dinge, bei denen Sie sich wünschten, als Präsident direkteren, stärkeren Einfluss nehmen zu können?

Antwort:

Na, die gibt es natürlich, denn der Mensch denkt über Probleme nach und es passiert dir immer, dass du siehst, dass etwas dringend gelöst werden müsste und denkst, dass es vielleicht mit anderen Vollmachten schneller ginge. Aber soweit wir auch die Verfahren beschleunigen möchten, müssen wir uns doch an diese Verfahren gewöhnen, denn die Demokratie ist im Kern auch eine Prozedur. Man muss sich auch andere Positionen und andere Argumente anhören und über diese Verfahren die beste Lösung finden. (Interviewerin: Dunja Dragojevic) (md)