Streit um das "Krim-Gold" eskaliert
4. Februar 2022Die Grenze zwischen Russland und der Ukraine verläuft nicht nur zwischen Feldern und Wäldern und mitten durch die Gewässer des Schwarzen und Asowschen Meeres. Seit Ende Januar verläuft sie auch über die Schreibtische der Richter des Obersten Gerichts der Niederlande in Den Haag. Denn dort landete in nun dritter Instanz der bereits acht Jahre dauernde juristische Streit um das sogenannte "Krim-Gold".
Dieser etwas irreführende Name hat sich in der Presse für die Sammlung wertvoller archäologischer Objekte eingebürgert, die im Rahmen der Ausstellung "Die Krim: Gold und Geheimnisse des Schwarzen Meeres" präsentiert wurden. Nur knapp ein Viertel der 432 Objekte sind tatsächlich aus Gold. Die Ausstellung wurde von Juli 2013 bis Januar 2014 im LVR-Landesmuseum in Bonn gezeigt und ging dann ans Allard Pierson Museum, das Archäologiemuseum der Universität Amsterdam.
Die Macher hatten den Anspruch, die kulturellen Wechselwirkungen der antiken Zivilisationen der Halbinsel Krim für die Westeuropäer greif- und spürbar zu machen: der Griechen auf der einen, der nomadischen Steppenvölker auf der anderen Seite. Unter den Objekten fanden sich altgriechische Gefäße, Plastiken, filigrane Broschen und Juwelen ebenso wie skythische Waffen, Begräbnismasken und Helme oder wertvolle chinesische Lackkästchen aus der Han-Dynastie - war die Halbinsel doch einst ein Schmelztiegel der Kulturen des Orients und Okzidents.
Im Visier der Politik
Das Publikum wusste die Einmaligkeit des Projektes zu schätzen: Über 50.000 Menschen besuchten die Ausstellung - so weit, so gut. Wären da nicht die politischen Entwicklungen im Hintergrund: der Sturz der pro-russischen Regierung in der Ukraine im Februar 2014 und die darauffolgende Annexion der Halbinsel Krim durch Russland.
So geriet das Allard Pierson Museum unerwartet ins Visier der Politik: Fünf Museen hatten ihre Objekte für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. 19 Stücke der insgesamt 432 Kunstgegenstände stammten aus dem Museum für Nationalgeschichte in Kiew - dabei handelte es sich um die spektakulären Gold-Objekte der Skythen.
Die übrigen 413 kamen aber aus den vier wichtigsten Museen der Krim - beheimatet in den Städten Bachtschisaraj (215), Kertsch (39), Chersones (27) und Simferopol (132). Die Rückgabe an das Museum in Kiew stellte kein Problem dar. Wohin aber mit dem Rest? Die vier Krim-Museen befanden sich ja nun in einem anderen Land.
Schlachtfeld Gerichtssaal
In den darauffolgenden acht Jahren entfaltete sich ein juristischer Marathon, der Stoff für eine Gerichtsserie bieten könnte. Offiziell prozessierten die vier Krim-Häuser gegen das Allard Pierson Museum. De facto ging es aber um eine juristische Schlacht der Ukraine gegen Russland.
Im Schnelldurchlauf: In erster Instanz wurden die antiken Schätze der Ukraine zugesprochen. In der zweiten wurde den Krim-Museen Recht gegeben; die Gegenseite bezweifelte aber die Neutralität des niederländischen Richters Duco Oranje, der seinerzeit als Jurist für ein russisches Großunternehmen tätig war, und erwirkte seine Absetzung. Im Oktober 2021 fiel dann wieder ein Urteil zugunsten der Ukraine, das für einen kleinen nationalen Begeisterungssturm sorgte. So twitterte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach dem Urteil: "Wir holen uns immer zurück, was uns gehört. Zuerst holen wir das 'Skythengold' und danach die Krim."
Russlands Präsident Putin sprach dagegen von "klarem Diebstahl" und sicherte dem Chef der Krim-Republik, Sergej Aksjonow, seine Unterstützung zu. Ende Januar reichte die russische Seite Revision ein. Nun können wieder Monate oder gar Jahre vergehen, bis das höchste nationale Gericht der Niederlande zu einer Entscheidung findet.
Der Streit aus der Perspektive einer Archäologin
Valentina Mordvintseva heißt die Frau, die dieser Entscheidung im fernen Den Haag wohl am meisten entgegenfiebert. Denn sie hält sich für "irgendwie an dem ganzen Schlamassel schuldig": Sie hat die Ausstellung vor zehn Jahren initiiert und kuratiert.
Mordvintseva ist in ihrer Welt keine Unbekannte: Als Mitarbeiterin des Archäologischen Instituts der Krim leitete sie Ausgrabungen, schrieb Bücher, trat bei Konferenzen auf. Als ehemalige DAAD-Stipendiatin ist sie auch mit der deutschen Archäologie-Community vertraut.
Aus Mordvintsevas Sicht verlief die Geschichte so: Ende der 1990er-Jahre habe sie und ihr damaliger Ehemann, der Archäologe Jurij Zajcev, in den Gräbern von Ust'-Al'ma in der Nähe von Bachtschisaraj, einer Nekropole der skythischen Elite aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert, Holzreste entdeckt. Diese Holzreste, die erst mal wie ein Häuflein Biomüll aussahen, identifizierten die Wissenschaftler als antike chinesische Schatullen. Das war "der westlichste Fund von Lackkunst-Objekten in der Geschichte" und damit eine Sensation in archäologischen Kreisen.
Für die Restauration und Aufbewahrung der kostbaren Funde fehlte aber das Geld. So bunkerte Mordvintseva die antiken Holzreste in ihrem Kühlschrank und begab sich auf eine Art internationales "Fundraising". Gut vernetzt war sie auch erfolgreich: Eine japanische Stiftung finanzierte die Restauration, und die deutschen Kollegen halfen bei der Organisation einer Ausstellung in Bonn. Samt Zweitverwertung in Amsterdam, um die Kosten aufzuteilen - internationale Archäologen-Solidarität halt. "Von den Einnahmen der Ausstellung sollten auf der Krim klimatisierte Vitrinen für die Aufbewahrung der Schatullen finanziert werden", so Mordvintseva im DW-Gespräch.
Ihr persönlich ging es, na ja, vor allem darum der internationalen Fachwelt, ihre Sensationsfunde, die Schatullen, zu präsentieren. Aber wen interessiert schon marodes Holz außerhalb des engen Spezialisten-Kreises? Um publikumswirksamere Objekte, etwa Stücke aus Gold, für die Ausstellung zu bekommen, hat Mordvintseva bei den fünf Museumsdirektoren mit ihrem guten Namen gebürgt. Dann wurde ihr Forschungsgebiet auf der Halbinsel Krim mitannektiert und die Geschichte nahm ihren Lauf. Seit acht Jahren kann die Archäologin nicht mehr gut schlafen.
"Krim-Gold" unterwegs in der Welt?
"Eine gute Lösung gibt es in dieser Geschichte nicht", sagt Mordvintseva, die heute an der Wirtschaftshochschule in Moskau Antike Geschichte unterrichtet. Eine Rückgabe der Objekte nach Russland würde "von den Menschen der Ukraine als ein Verrat an ihren nationalen Interessen wahrgenommen". Das verstehe sie sehr gut, schließlich lebt ein Teil ihrer Familie in der Ukraine.
In einer idealen Welt gehörten die Objekte, so die Wissenschaftlerin, "aber dahin, wo sie gefunden wurden" - nämlich auf die Krim. In ihrem Gastbeitrag für die unabhängige russische Zeitung "Novaja Gazeta" des Nobelpreisträgers Dmitri Muratow beschreibt sie weitere Nachteile einer Rückgabe nach Kiew: Die Objekte wären dann "ihrem Kontext entrissen", denn alle weiteren dazugehörigen Kulturgüter sowie die Dokumentation der Ausgrabungen lagern in den Krim-Museen, die auch die größte Forschungs-Kompetenz besitzen.
"Vielleicht wäre eine unbefristete Wanderausstellung eine Lösung?", überlegt die Archäologin. Eine Ausstellung, die durch die Welt touren würde, bis der Streit zwischen Russland und der Ukraine beigelegt ist. Das jedoch würde, so Mordvintseva ganz realistisch, "noch eine Weile dauern". Nach ihrer Meinung hat seit dem ersten Prozess sowieso niemand mehr gefragt - weder in Russland noch in der Ukraine. Auch nicht in Holland.